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Bardikapelle sich anbahnenden Lösung, bei einem Ableger der Tradition, die innerhalb der eigentlichen
Folge unterbliebene Endstufe erreicht. Sie sieht für die Darstellung des verehrten Heiligen eine nicht
unterteilte Bildfläche vor und weist dem dekorativen Beiwerk d^s szenischen Apparats den ihm gemäßen
Platz in der Sockelzone zu.
Betrachtet man die Standorte, an denen die Franziskus-Retabeln auftreten, dann fällt ein Umstand sofort
ins Auge, der uns bereits bei den einfachen Franzpalen auffällig erschien. Fast immer handelt es sich um
Stätten, an denen der Heilige geweilt hat und die Gründung der Niederlassung auf ihn selbst zurückzu-
führen ist78.
In S. Miniato al Tedesco unterstreicht, wie auf der Fresko-Ikone in Subiaco, das Fehlen des Nimbus den
Andenkencharakter. Daher kann die Tafel, trotz ihrer Entstehung im Jahre der Kanonisation des
Heiligen, mit der sie wohl in einem allgemeinen und zeitlichen Zusammenhänge sich befindet, noch nicht
als ein direkter Reflex der schon erfolgten Heiligsprechung gelten. Als erstes nachweisbares Bild ihrer
Gattung könnte sie für das Vita-Retabel die Rolle eines Archetypus gespielt haben. Im Hinblick auf die
älteste erhaltene Pala in Pescia von 1235 hält Garrison Bonaventura di Berlinghiero für den mutmaß-
lichen Erfinder und betont u. a. die Bedeutung der mit Szenen versehenen, schon vorher retabelmäßig
verwandten Tafelkreuze als ,,potent source of Inspiration
Die croci dipinte sind in der Tat, wie bereits oben angedeutet, als die wichtigsten Vorbilder für die
Hinzufügung seitlicher Szenen zu den einfachen, nur durch das Halbfigurenfresko des 12. Jhs. in S. Pon-
ziano zu Lucca (Abb. 111) dort in ihrer Existenz bezeugten Heiligenikonen anzunehmen, da in den beiden
Ursprungsstätten der toskanischen Tafelmalerei szenengeschmückte Kruzifixe mit großem zeitlichem
Vorsprung, der in Lucca fast hundert Jahre beträgt, vor den ersten Franziskus-Retabeln in Gebrauch
gewesen sind, gemalte Antependien dagegen weder vor noch nach deren Einsetzen nachweisbar sind.
In Pisa kann man sogar beinahe von einer regelrechten Ablösung sprechen, da die szenischen Tafelkreuze
ungefähr mit dem Jahre 1240 auf hören, während das Vita-Retabel erst um die Jahrhundertmitte nach-
weisbar ist. Diese direkte Übernahme der Szenen von den croci dipinte durch den neuen Zweig der unter
dem Einfluß des Franziskanerordens erweiterten Tafelbildproduktion, bedeutet eine Rückübertragung
des ursprünglich von den Metallantependien herkommenden Motivs auf ein wieder mit der Mensa un-
mittelbar verbundenes Bild.
Der Altaraufsatz bezieht also nicht wie vordem die Paliotti seine Anregung aus der monumentalen
Dekoration, deren Stoße auf der Fläche der Tafeln in konzentrierter Form reproduziert und erneut in den
Raum reflektiert werden, sondern geht der in der Toskana bis zum fortgeschrittenen Dugento ver-
nachlässigten Wandmalerei voraus79. Letztere empfängt nun ' on der Tafelbildkunst her einen Stimulus
und knüpft in der Bardikapelle von S. Croce in Florenz auf den Seiten wänden mit den Legendenszenen
des hl. Franz an die nun schon beinahe ein Jahrhundert alte Tradition des Vita-Retabels an80.
Steht die Verwendung dieser Palen durch ihre Form außer jedem Zweifel, so bleibt doch noch die Stand-
ortfrage innerhalb des Kirchengebäudes zu klären, die für uns hier von ganz besonderem Interesse sein
muß, da es darum geht, die Ansatzpunkte der ersten wirklichen Retabel kennenzulernen und ihre
Position in der Entwicklung zum Hochaltar-Retabel zu bestimmen.
Um die Standortfixierung des Bonaventura-Retabels in Pescia (Abb. 130) hat sich Garrison81 durch eine
Quelleninterpretation verdient gemacht, die die Inkongruenzen und Irrtümer der bisherigen Auslegung
beseitigt. Die Aufstellung über dem dritten Altar an der rechten Wand der einschiffigen, schon im Dugento
vergrößerten Kirche (die Fassade entstand 12 9 8)82, stammt erst aus der Zeit um 1715-172083. Früher
befand sich die Tafel laut der unter ihr befestigten Inschrift auf einem 1614 erneuerten Altar der Familie
Mainardi. Nahe dem Eingang nahm er die Stelle des ersten Altars ein und hat dort schon mindestens
1506 gestanden. Aus diesem Jahre datiert eine Inschrift, die sich durch das Wappen der Familie Mainardi
als zu deren Grabmal zugehörig erweist, das nach der Überlieferung des anonymen Chronisten von 1650
die Front des Altars unterhalb der Mensa bildete. Da nun Wadding berichtet, daß die Mainardi 1235
ein Sacellum in S. Francesco errichtet haben, vermutet Garrison, daß es sich an dieser Stelle und die
Franzpala in ihm befunden habe. Die Möglichkeit eines Einwandes sieht Garrison in dem Umstand,
daß das 1235 datierte Bild die Quelle der Nachricht Waddings gewesen sein könnte. Dieser Einwand ist
jedoch keineswegs zwingend, da Wadding sehr wohl über heute nicht mehr zugängliche Belege verfügt
haben kann und sich aus der Altarbildtradition in Heiligenoratorien keine Bedenken gegen den Inhalt
seiner Nachricht erheben lassen.

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