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Stellungen der sonst verehrten Heiligen das Übergewicht und setzen die Tradition der über die Jahr-
hundertwende kaum hinausreichenden Franztafeln fort. Der eigentliche Träger des nicht-franziskanischen
Heiligenbildes ist während des Dugento das Antependium, das häufiger als im übrigen Italien auftritt.
Im Hinblick auf die Gesamtentwicklung des toskanischen Altarbildes ist das Heiligen-Antependium
jedoch von untergeordneter Bedeutung. Ob vor der Mensa befestigt oder auf ihr stehend, setzt es in
einer Nebenlinie die Paliottotradition fort, über die es formal fast niemals hinausgelangt. Die wahlweise
Verwendungsfähigkeit ist sein Charakteristikum. Die Aufstellung über dem Altar bleibt ohne Wirkung
auf die Gestaltgebung der Tafel, die nur ausnahmsweise beim oberen Bildabschluß die einfache Recht-
eckform überwindet (Florenz, S. Croce, Kapelle des hl. Silvester).
Das Franziskanertum macht von dieser Bildform nur ganz selten Gebrauch und bedient sich ihrer nur
dort, wo, wie in Umbrien, kaum andere Typen zur Verfügung stehen (Abb. 129). Dieses Gebiet erweist
sich daher unter dem Gesichtspunkt der Heiligenpalen, ungeachtet der starken, jedoch auch entwicklungs-
mäßig etwas monotonen crocedipinta-Produktion, als ein höchst konservativer und in typenschöpferi-
scher Hinsicht steriler Boden, auf dem selbst die dem Bilde so zugeneigte Mendikantenbewegung nur
wenig auszurichten vermag.
Einen ganz anderen Widerhall hat, was die Bildkunst betrifft, das Franziskanertum in der nördlichen
Toskana gefunden. Hier ist der von den Bettelorden gestreute Same wirklich auf fruchtbaren Grund
gefallen. In Lucca, der Stadt, die am Anfang des Dugento mit den Berlinghieri über die künstlerisch
stärkste Potenz verfügt, entsteht aus dem gleichen Anlaß, der im aretinischen Gebiet und in Umbrien
die Einführung der isolierten Franziskusdarstellungen zur Folge hatte, deren nordtoskanisches Gegen-
stück, als Ergebnis eines in der bisherigen Entwicklung ohne Beispiel dastehenden Aktes, durch den die
seit Jahrhunderten gebräuchliche Ikone zum Retabel umgeschaffen wird. Der Weg, auf dem man diese
Lösung gewinnt, ist die in Lucca aus einer langen Praxis erwachsende Beigabe von Szenen. Zu der Figur
des Ordensgründers hinzugefügt und die Ereignisse seines Lebens erzählend, fordern sie nicht nur wie
eine Einzeldarstellung die devotio des Betrachters, sondern erfüllen seine Phantasie und regen seine
Vorstellungskraft an.
Das Bestreben nach Intensivierung der zum Gläubigen gesuchten Beziehung bewirkt die Überschreitung
der Schwelle von der Ikone zum Retabel, das man nicht wie in Rom oder Byzanz als reliquienhaft
verehrten Gegenstand auf dem Altar zur Verehrung ausstellt, sondern als ein Mittel praktischer Instruk-
tion - wie es vordem die monumentale Dekoration war - einsetzt. Die bei den Tafelkreuzen oder den
durch die Gestalt des Priesters verdeckten Antependienszenen nicht völlig beseitigte Schwierigkeit der
Erkennbarkeit besteht hier nicht, da die Vita-Retabel auf den Seitenaltären gut gesehen werden können.
Die proportionale Berücksichtigung der Altarform bezeugt, im Verein mit dem neu eingeführten Giebel-
abschluß der Palen, daß die Schmuckfunktion der auf die Mensa gestellten Bilder, obwohl von sekundärer
Natur, doch auch von vornherein in die theologisch-künstlerische Gesamtrechnung miteinbezogen worden
ist.
Die in unmittelbarem zeitlichen Vorangang der Heiligsprechung des Ordensgründers erfolgte Erfindung
des Retabels, die das Franziskanertum als Ergebnis seiner auf praktische Zwecke gerichteten Aktivität
für sich verbuchen darf und noch von der ältesten Schule der toskanischen Tafelmalerei geleistet wird,
öffnet den Weg zu einer Bewegung, die die ganze Tafelmalerei des Dugento ergreift, ja eigentlich erst
ermöglicht, da sie durch die Großflächigkeit aus den im Osten wie im Westen in gleicher Weise eng
gezogen gewesenen Grenzen der Ikonenkunst hinausführt und sogar das Aufblühen der Freskendekora-
tion aufzuhalten vermag, die in der Bardikapelle von S. Croce nur das auf den Vita-Retabeln Begonnene
monumental erweitert. In der bisherigen italienischen Malerei war es die Fresken- oder Mosaikendeko-
ration, aus der den Tafelbildern Impulse zugeflossen sind. Das Verhältnis hat sich nun umgekehrt, da
die letzteren in die Lage versetzt sind, die empfangenen Anregungen zurückzugeben. Das Vita-Retabel,
das, wie es scheint, nur ziemlich selten und erst mehr gegen Ende des Jahrhunderts eine Verbindung mit
dem Hochaltar eingeht, vollzieht am Anfang des Trecento im Bereich des Heiligenbildes einen Einbruch
in die Antependiennachfolge, wobei die spitzgiebelige Tafelform mit der von den Paliotti tradierten Dar-
stellung des hieratisch thronenden Heiligen eine Synthese eingeht, wie z. B. auf der lebensgroßen
Petruspala in Mulin del Piano96 oder der schon vom hochformatigen Marien-Retabel beeinflußten Riesen-
tafel des gleichen Heiligen in S. Simone zu Florenz (aus S. Pier Maggiore; 2,45 x 1,80 m; 1307), dessen
Thron von zwei stehenden Engeln flankiert wird97.

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