Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Ganzfigurige Heilige begegnen auch auf dem fünfgiebeligen Polyptychon von Pacino di Bonaguida, das
den Hochaltar der Kirche S. Firenze zierte107, der, wie im alten Dom und in S. Miniato al Monte, in einem
1276 erweiterten Hochchor gelegen war (zwischen 1315-1330)108. Der Grund für die Darstellung der die
Galeriezone eliminierenden Assistenzheiligen als stehende Personen (links Nikolaus und Bartholomäus,
rechts Florentinus und Lukas) ist hier durch ihren Anschluß an die Klagefiguren gegeben, die von den
croci dipinte auf das Mittelfeld des Pentaptychons übertragen worden sind. Wie in S. Pancrazio hat es
die doppelte Breite der seitlichen Abteilungen, besitzt aber durch die größere Höhe, die schon etwas
weiter fortgeschrittene Lösung vom Rechteckschema und den Verzicht auf kleinteilige Kompartimente
ein höheres Maß an zentrierender Kraft.
Die in S. Firenze gefundene Form wird im dritten Viertel des Trecento von Tomaso Pisano bei seiner
Hochaltarancona in S. Francesco zu Pisa auf eine Steinarchitektur angewandt109. Im Vollzüge dieser
Umsetzung eines Flächenvorbildes in eine Raumkomposition bildet er die seitlichen Arkaden zu Nischen
aus, die durch die plastisch hervortretenden, zu Baldachinen gewordenen Giebeltympana verdacht wer-
den. Analog sind die Heiligenfiguren neben der stehenden Muttergottes, hinter der Engel ein Tuch aus-
breiten, nicht als realiter anwesende Gestalten, sondern, wie in der Bauplastik, als auf Sockeln stehende
Standbilder wiedergegeben. In der Predella sehen wir den Schmerzensmann zwischen Szenen aus dem
Leben Christi.
Mit diesem Vorblick auf die zweite Hälfte des 14. Jhs. haben wir bereits die uns gesteckte zeitliche
Grenze unserer Untersuchungen, die nur dem Beginn der toskanischen breitformatigen Retabel-
typen gelten, weit überschritten. Ihre Entwicklung wird eingeleitet durch die auf die Mensa gesetzten
Antependien, in Übereinstimmung mit den Verhältnissen nördlich der Alpen und im Gegensatz zum
übrigen Italien, wo sich am Hochaltar, wegen des Bischofthrons, ja meist nur niedrige Aufsätze zu
behaupten vermögen.
Der Termin des Hinaufrückens läßt sich in Siena ziemlich genau zwischen dem Antependium der Abbazia
Berardenga von 1215 (Abb. 142) und der Sieneser Dompala (Abb. 144), die 1260 schon auf dem altare mag-
giore gestanden hat, fixieren. Wir gelangen so zum gleichen Resultat wie bei den Heiligenpalen der Paliot-
totradition, die ungefähr vom selben Zeitpunkt an in der Retabelfunktion sicher nachweisbar waren.
An die beiden eben genannten, zunächst nur als Surrogate für Metallfrontalien geschaffenen und darum
noch plastischen Tafeln schließt sich die Pala in S. Maria a Tressa an, die wohl auch noch als Vorsatz-
tafel gearbeitet worden ist. Mit ihr beginnen sich die bemalten Palen von den Metallvorbildern zu lösen
und auf die ihnen eigenen, vornehmlich in der Polychromie begründeten Wirkungsmöglichkeiten zu
verlassen, durch die sie dem getriebenen Paliotto nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen sind.
Der Typus setzt sich um 1265-1275 im aretinischen Raum durch Margarito fort, vermutlich schon in der
neu erlangten Funktion, für die dort das Triptychon von S. Maria in Vertighe das zur Nachahmung an-
regende Beispiel gewesen ist.
In Florenz beginnen die Marienpalen um 1270, halten sich aber kaum zwei Jahrzehnte. Gleichzeitig
treten bis zum Anfang des Trecento die antependienföimigen Tafeln auch in Umbrien auf, wo gegen Ende
des Dugento in der Umgebung von Perugia der Salvatortypus noch einmal auflebt, der im toskanischen
Bereich schon nach 1215 nicht mehr anzutreffen ist, ganz im Gegensatz zu der in der Paliottoverwendung
viel stärker verharrenden spanischen Tafelmalerei, die wohl, wie die Norwegens110 das Vordringen des
Marienthemas kennt, das aber nicht die weitaus häufigeren christozentrischen Frontalien verdrängt111.
Ausläufer dieser Tradition, die bemerkenswerterweise weder in Lucca noch in Pisa über Beispiele verfügt,
sind uns am Anfang des Trecento in Rimini begegnet. Was für die Heiligenpalen bereits gesagt wurde,
gilt im wesentlichen auch in bezug auf die Salvator- und Marientafeln. An die neu gewonnene Aufgabe
werden kaum Konzessionen gemacht. In der Regel läßt man es mit der einfachen Fortführung des
Paliottoschemas bewenden. Der schon in der zweiten Hälfte des 13. Jhs. auslaufende Typus bleibt daher
so gut wie unverändert und hält sich am längsten in den künstlerischen Rückzugsgebieten. Das Mendi-
kantentum hat zu ihm kaum eine Beziehung gewonnen112, obwohl der hl. Franz, der in der Marienkirche
bei Gemini den Altar mit einem Vorsatz versehen ließ, auf dem Engel, Menschen, Vögel und Bäume sowie
verschiedene Sprüche sichtbar waren, in denen alle Kreaturen aufgefordert wurden, das Loblied des
Herrn zu singen113, selbst einen Versuch zur franziskanischen Neubelebung der Antependienikono-
graphie unternommen hatte. Durch die Überladung muß es jedoch sehr unbeholfen gewirkt haben und
ist wohl darum auch ohne Nachfolge geblieben.

8*

115
 
Annotationen