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TRÄUMEN UND SPIELEN

„ihr habt, fürs reckenalter nur bestimmte
und nacht der urweit, später nicht bestand,
dann müßt ihr euch in fremde gaue wälzen;
euer kostbar tierhaft, kindhaft blut verdirbt."

(Stefan George.)

Zwei Erlebnisformen sind jedem Kinde gegeben, damit es sein
Eigenstes, Geheimstes darin entfalte; nur als Reste und Rück-
stände kennt sie der Erwachsene noch. Wir wollen die beiden, den
Sprachgebrauch jedesmal etwas erweiternd, bezeichnen als Formen
des „Traums" und Formen des „Spiels", uns aber dabei bewußt
halten, daß beide sich nicht scharf voneinander trennen lassen,
vielmehr ineinander überfließen fast in jedem einzelnen Fall.

„Träumen": das sei uns (in einem weitesten Sinne) alle Erschei-
nung und Bekundung, in der dem bewußten Ich gegenüber ein
scheinbar Anderes, jenes vielberufene Unterbewußte diktierend
auftritt. Die ungeheure Traumarbeit im engeren Sinne des Schlaf-
traumes mit ihrem mächtigen, organisch entfalteten Reichtum von
Symbolen für innere und äußere Zustände und Reize bleibt für
das Kindesalter größtenteils doch unerforschlich. Wohl aber können
wir gelegentlich kindliche Äußerungen beobachten, die nach ihrer
ganzen Beschaffenheit tag- und wachtraumartig sind, und ganz mit
Recht spricht man in solchen Fällen von „verträumten, mit offenen
Augen träumenden" Kindern. Zunächst dürfte die neuerdings
vielerörterte Gabe der kindlichen „Eidetiker" (vgl. S. 148) dem
„Mit-offenen-Augen-Träumen" mindestens verwandt sein, wenn auch
das leibhaftige Hinausprojizieren von Vorstellungen bei manchen
Eidetikern durch ganz bewußten Willensakt gelingt, während das
eigentliche Wachtraumbild nicht „befohlen" werden kann. Traumartig
mutet aber auch jenes begleitende spontan-bewußtlose Laut-Denken,
jenes Monologisieren vieler kleinerer Kinder an, die die Gestalten
und Vorgänge ihrer Phantasiewelt sich selber zugleich „er-zählen"
und gerade dadurch vielleicht zur vollen Räumlichkeit „beschwören".
Ihre Äußerungen, soweit sie nicht innerlich als ein stummes
„Phantasieren" verlaufen, geschehen nicht selten in der Form der

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