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EINFLÜSSE - UMWELT

Das reine, absolute, ideale Kind ist eine Fiktion, deren Urbild auf
Erden nicht besteht. So sehr wir immer wieder das unbewußte
Beharrungs- und Selbstbehauptungsstreben des echten Kindes
betonen, so sehr wir den Trieb zum Respektlos-Komischen und den
zum Romantischen als Grundtatsache seines Spielens und Träumens
anerkennen müssen, mit der sich der Unmündige unbewußt wider
die zeitgenössische Wirklichkeit auflehnt — so grenzenlos sehen
wir doch andererseits seinen Nachahmungstrieb, seine Anpassungs-
fähigkeit und Einfühlungsgabe, die ja im Hinblick auf das gegen-
wärtige Leben gerade in dem idealisierenden Glauben noch zunächst
eine besondere Stütze finden. Stellen wir uns einmal auf den
religiösen Standpunkt, wonach jedem Menschen ein schlechthin un-
teilbares (in-dividuelles) geistiges Formprinzip (eine „unsterbliche
Seele") innewohnt, das sich die entsprechenden „irdischen", leib-
seelischen Verhältnisse nur ansaugt und angestaltet, so ist sogar die
aus Generationen überkommene Erbmasse, aus der ein Kind seine
gesamte Wesensart aufbaut, schon Stoff, Zufluß, Einfluß, den das
metaphysische Ich sich erwählt und verarbeitet, oder der ihm als
förderliche Aufgabe zur Bearbeitung von Gott zugewiesen wird.
Was dann zu den angeborenen Eigenschaften der Vorfahren als an-
erzogen durch Umgebung und Erziehung hinzukommt, wäre nur die
organische Fortsetzung der ersten embryonalen „Beeinflussung".

„Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu." Auch bei der
bildnerischen Anlage und Betätigung der Kinder ist die Frage,
worauf das Kind unbeeinflußt von selber kommen und wann es
darauf kommen würde, zuletzt gegenstandslos. Natürlich hat jedes
Kind, das sich mit Schere, mit Blei und Buntstift oder Wasser-
farbe versucht, etwas gesehen: Bilderbücher, illustrierte Journale,
Ansichtskarten, Gemäldewiedergaben an der Wand oder in Schau-
fenstern, und vor allen Dingen Plakate. Bilder machen auf die mei-
sten Kinder einen uns kaum mehr vorstellbaren Eindruck; man denke
nur, mit welcher Sorge wir einst gewisse Abbildungen in unseren
Märchenbüchern überschlugen, eben weil der Eindruck zu schauerlich

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