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ERFINDUNG UND GESINNUNG

Zwischen dem, was eine ältere Kunstlehre „Form" und was sie
„Inhalt" (Ideen, Gegenstand) nannte, steht vermittelnd als aus-
strahlende Einheit jene Tatsache, in der das künstlerische Schaffen
urständet und die es gegen die wesentlich im Denken gründende
Sphäre des wissenschaftlichen Verhaltens abgrenzt: das Gefühls-
erlebnis. Dieses im Künstler durch seine individuell ausgezeichnete
Berührung mit der Welt angeregte und kraft seines inneren Reich-
tums zu einzigartiger Färbung erwachsene Gefühl sucht sich einer-
seits als Darstellungsvorwand, Formgelegenheit den angemessenen
Gegenstand (etwa den religiösen, den bürgerlich genrehaften, den
geschichtlichen) und verkörpert sich andererseits unmittelbar in den
Urbestandteilen der künstlerischen Erscheinung, es wird gebärden-
haft ausgedrückt in Linie, Fläche, Farbe, Körper und Raum.
Deute ich formalkritisch die Mittel dieser Gebärdensprache und
ihre Grenzen, so erfasse ich ein dem Künstler auf Grund seiner
Daseinsbedingungen zugemessenes Verhältnis zur Welt, wie es eben
in jener Urtatsache des Gefühls unmittelbar zum Ausdruck gekommen
war. Beschäftige ich mich mit dem Inhalt, dem Gegenstand und
seiner „Auffassung", so berühre ich auf einer anderen Ebene nur
denselben Grundsachverhalt. Beide Wege der Kunstbetrachtung,
der moderne formalstilistische, wie der „veraltete" der Inhalts-
erklärung führen in den Kern der künstlerischen Persönlichkeit,
beide sind freilich nicht immer gleich fruchtbar, da es manche
Gefühlserlebnisse gibt, die nur ein sehr unbestimmtes, für die
begriffliche Erfassung unzugängliches Gegenstands-Korrelat haben
(Stilleben, Aktbilder) oder auch gar keines (man denke an Kan-
dinskys abstrakte Malerei). Andere freilich wieder gehen ganz in
gegenständliche Charakteristik ein, so daß auch ein färb- und form-
unempfindlicher Mensch z. B. durch Betrachtung von Mienenspiel
und Gebärden auf Rembrandts Bibelbildern das Erlebnis „Rem-
brandt" gewinnen kann. —

Bei dem kunstähnlichen Bilden des Kindes ist die Inhalts-
betrachtung im allgemeinen besonders lohnend. Persönlich geht das

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