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PARALLELEN

Der Entwurf eines „psychogenetischen Grundgesetzes", das in der
menschlichen Entwicklung von der Geburt bis zur Reife eine
kurze Wiederholung des Menschheitswerdens erblicken will, hatte uns
Licht geworfen auf den eigentlichen Sinn des kindlichen Träumens
und Spielens. Auch jede Art von bildnerischem Gestalten gehört,
wie wir nachwiesen, bei Kindern unter die Gattung des Spiels im
weiteren Sinne. Gerade an diesem Gestalten hat man aber schon
wiederholt, ohne dabei der Beziehung auf das Spiel zu gedenken,
die Gültigkeit des Gesetzes nachzuweisen versucht. Die Überein-
stimmung der typischen Kinderzeichnung gewisser Altersstufen mit der
Stilweise gewisser Abschnitte in der vorgeschichtlichen Entwicklung
und der ihnen heute entsprechenden Naturvölker, deren Art sich bis
zu einem gewissen Grade auch unsere eigentliche Land- und Bauern-
kunst anschließen, fallen ins Auge und konnten nachgewiesen werden1.
Vergleiche z.B. Abb.45,46,48. Aber man berücksichtigte dabei immer
nur die verschiedenen „ideoplas tischen" Stufen der Kunstgeschichte,
denen man oft in ganz schlagenden Parallelen gegenüberstellen
konnte, was wir den ideographischen Stil des Kindes nennen
wollen — also das wissensgemäße (schriftartige, der „Seh-Vor-
stellung" entsprechende) Aneinanderreihen von „Zeichen" in allen

1 Wundt u. a. fragen, wo sich das „Kritzelstadium" des kindlichen Zeichnens
in der Vorgeschichte fände. Brasilianische Felszeichnungen, auf die man sich
berufen hat, kommen nicht in Betracht, es sind nur Rückfälle innerhalb einer
schon ideographischen Stufe (so wie sie Krötzsch als Ermüdungserscheinung
auch beim Kinde selbst nachwies und wie auch der Erwachsene sie kennt).
Aber damit, daß eine solche Stufe aus der Frühmenschheit sich nicht erhalten
hat, ist noch nichts gegen ihre vormalige Existenz bewiesen. Wundt geht dabei
von der eben nur halbrichtigen Voraussetzung aus, daß das erste Kritzeln des
Kindes lediglich Nachahmung der Lehrerarmbewegung sei. Gerade aus Krötzsch
geht aber hervor, daß das erste Kritzeln nur durch Nachahmung angeregt,
nach solchem ersten Anstoß aber ein Selbsttätigkeitsspiel ist, aus eigenem
Rhythmus erwachsend —, dem dann später Bedeutung unterlegt wird. Nichts
steht der Annahme im Wege, daß den ersten Menschen ihr rhythmisches
Gekritzel erster Anlaß war, ihre inneren Zeichen und Gesichte in es hinein-
zufühlen und ihm zu unterlegen, was dann späterhin zur Darstellung führte.

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