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der lyrisch-beschauliche Anschein als tiefsinnige Allegorie
verstanden werden. Es soll gerade das Christentum des
späten Mittelalters sein, welches sich hier Ausdruck ge-
schaffen hat, nicht das kirchliche zwar, sondern das der
Mystiker des 15. und 16. Jahrhunderts mit ihren besonderen
pantheistischen Anwandlungen, wie wir sie gerade am
Oberrhein beobachten können. Das christliche Geheimnis,
welches unser Bild verbirgt, hat durchaus keine völkisch-
heidnischen Hintergründe, wenn man es auch mit gewissen
antik-griechischen Mysterienhandlungen vergleichen könnte.
Gemeint ist ein innerliches Geschehen, das der Marienweg
der Seele genannt wird: die „Verwandlung der einzelnen
menschlichen Seele auf ihrem Reinigungsweg bis zu Maria".
Wer Gottes Kind werden wolle, suche sich zu verwandeln
in die irdische Frau, in der ein solches Kind empfangen wer-
den konnte, in Maria, deren Leben die paradiesische, doch
durch den Sündenfall verlorengegangene Reinheit wieder
• hergestellt habe. Der angebliche „St. Bavo" sei die Haupt-
person, nämlich die Seele, der suchende Mensch selber,
welcher den Paradiesgarten betritt. Die beiden Sitzenden,
hier mit besonderem Nachdruck als St. Michael und St. Ge-
org angesprochen, stehen ihm auf dem Läuterungswege bei,
sie sind die Führer der Seele, wie einst die einweihenden
Priester in den antiken Mysterien. Die erlegte Echse und der
gefangene kleine Dämon bedeuten die Überwindung der nie-
deren Sinnlichkeit und Triebhaftigkeit, wie sie jeder inner-
lichen Läuterung vorauszugehen hat; sie sollen sich also
nicht nur auf die Heiligen beziehen, die ja diese schon hinter
sich haben, sondern auf den Suchenden selbst, dem der Weg
erst bevorsteht. Daß der Gruppe der drei Männer das Jesus-
kind am nächsten ist, soll bedeuten, daß die erste Stufe der
Verwandlung in einer neuen Kindschaft der Seele be-
steht (man könnte an das Heilandswort „so Ihr nicht werdet
wie die Kindlein" erinnern, aber auch an den sogenannten
Neophyten, den Neugeborenen der alten Einweihungen).
Dann wächst die Seele zum „magdlichen Wesen", wofür das

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