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in zwei sich umschlingende Stämme gabelt, was unver-
kennbar eine sinnbildliche Bedeutung haben muß, eine
besondere gegenüber der bekannten Sinngebung als „Minne-
baum", wie sie im Zusammenhang weltlicher Liebesgärten
am Platze wäre. Weiter befindet sich im Vordergründe,
zwischen der Männergruppe und den Insassinnen des
Gartens, ein abgehauener oder abgestorbener kleiner
Baumstumpf, welcher ein junges grünes Reis treibt.
Dieses Zeichen findet man auf alten Gemälden nicht
selten. Daß es sich um eine Pfropfung auf dem alten, un-
fruchtbar gewordenen Holze handelt, ist unwahrscheinlich;
eher entsendet dieser Stumpf, wie man es zum Beispiel an
alten Weidenstümpfen beobachten kann, aus eigener Kraft
dieses Zweiglein, oder es hat hergewehter Same im lockeren
Erdreich der morschen Rinde Wurzeln geschlagen. Immer
handelt es sich um ein Gleichnis der Erneuerung des Lebens
aus dem Tode, geistlich gesprochen der Auferstehung der
Toten. Beides, der geheimnisvolle Doppelbaum sowie das
verborgene Lebenszeichen, weist darauf hin, daß mit dem
ummauerten Gartenbezirk zunächst das wirkliche Paradies
im christlichen Verstände gemeint ist. Freilich nicht das ur-
zeitliche mit Adam und Eva, auch nicht das endzeitliche
Gottesreich im Himmel, in dessen Fluren wir auf Bildern
von Lochner, Memling und Fra Angelico die Seligen ein-
ziehen sehen, sondern dasjenige, welches (wie wir zum Bei-
spiel aus Christi Worten vom guten Schächer wissen) „immer"
und zeitlos da ist, um die Seelen der abgeschiedenen Ge-
rechten und wohl auch die vorgeburtlichen aufzunehmen.
Immer wird uns — bei den Kirchenvätern, bei den Ver-
tretern der Scholastik und Mystik, in den erbaulichen Be-
trachtungen der Predigten, nicht zuletzt in der geistlichen
Dichtung —- dies Paradies, wenn nicht als Stadt (himmlisches
Jerusalem, Zion), so eben als ein gleichfalls umhegter Garten
geschildert; Paradies heißt im Altiranischen wörtlich „Ge-
hege". Zu den sich beinahe formelhaft wiederholenden Zügen
dieses Wunschraums gehören die zwei (aus dem urzeitlichen

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