Nr. 19.
HEIDELBERGER
1852.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Kurze Anzeigen.
Drei Vorlesungen zur Einleitung in die Differential und Integralrechnung. Ge-
halten zur Eröffnung der Winter-Vorlesungen 1850—51. Von Dr. Th. Will-
st ein. Hannover. Hahn sehe Hofbuchhandlung. 1S51. S. in 8.
Das vorliegende, interessante Schriftchen enthält, wie bereits der Titel an-
deutet, die drei ersten Vorlesungen eines Kursus über Differential- und Inte-
gralrechnung, die der der mathematischen Welt schon anderweitig bekannte Ver-
fasser vor einem Kreise von Zuhörern, wie er in den einleitenden Worten an-
gibt, während seiner Musestunden als Lehrer an der Kadettenanstalt in Hannover,
las. Er hat in diesen drei Vorlesungen gesucht, durch einen Ueberblick über
den Gang der mathematischen Wissenschaften bei denjenigen Völkern, welche
dieselben förderten, in so weit wir davon Kunde haben, die Zuhörer auf den
Weg zu führen, dessen Endergebniss die heutige Spitze der mathematischen Wis-
senschaft ausmacht. Er betrachtet daher zuerst (in der ersten Vorlesung) den
Zustand der Mathematik bei jenem reichbegabten Volke, dessen Meisterwerke
des schöpferischen Gedankens und der bildenden Kunst die Nachwelt noch im-
mer ansta.unt — bei den Griechen. Thales, Pythagoras, Euklid und
als Erster Archimedes haben die Geometrie namentlich vervollkommnet. Auch
die Trigonometrie, namentlich zu astronomischen Zwecken, bildeten sie aus,
während ihre Arithmetik, schon gehemmt durch die höchst unbequeme Methode
der Zahlendarstellung zurückblieb. Als endlich das siegende Schwert des Islams
die Wissenschaften zurückscheuchte, Alexandrien unterwarf, erlosch der Glanz
griechischer Wissenschaft. Aber gerade diese fanatischen Eroberer waren es,
die berufen waren, die Wissenschaften, wenn auch nicht fortschreiten zu las-
sen, doch zu erhalten und zu verbreiten, und namentlich aus den maurischen
Schulen in Spanien hat das Abendland nach der langen Nacht der Barbarei, die
sich über Europa nach dem Sturze des Römerreichs gelagert hatte, die Wis-
senschaften der Vorzeit wieder kennen lernen. Abendländische Gelehrte haben
dann gesucht, das so Erhaltene zu erweitern und auszudehnen, bis Vieta die
Buchstaben als allgemeine Zahlzeichen einführte and Descartes durch dieEr-
findung der analytischen Geometrie der heutigen Mathematik die Bahn brach.
Auf diese Errungenschaften gestüzt, legte der grosse deutsche Denker, einer der
ersten Geister aller Zeiten, Leibnitz, den Grund zur heutigen Differential- und
Integralrechnung, die neben und mit ihm in den Händen der Bernoulli, II o-
pitals, Eulers u. s. f. zu einem Gebäude erwuchs, auf das der menschliche
Geist als auf eine seiner stolzesten Schöpfungen blicken kann.
Dies ist im kurzen der Gang dieser kleinen Schrift. Sie ist sehr gut ge-
schrieben, klar und bestimmt in der Darstellung und ebendesshalb angenehm und
lehrreich zugleich. Referent ist überzeugt, dass jeder Leser sie mit Vergnügen
lesen wird, und wenn natürlich auch eine Geschichte der Mathematik nicht er-
XLV. Jahrg, 3. Doppelheft. 19
HEIDELBERGER
1852.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Kurze Anzeigen.
Drei Vorlesungen zur Einleitung in die Differential und Integralrechnung. Ge-
halten zur Eröffnung der Winter-Vorlesungen 1850—51. Von Dr. Th. Will-
st ein. Hannover. Hahn sehe Hofbuchhandlung. 1S51. S. in 8.
Das vorliegende, interessante Schriftchen enthält, wie bereits der Titel an-
deutet, die drei ersten Vorlesungen eines Kursus über Differential- und Inte-
gralrechnung, die der der mathematischen Welt schon anderweitig bekannte Ver-
fasser vor einem Kreise von Zuhörern, wie er in den einleitenden Worten an-
gibt, während seiner Musestunden als Lehrer an der Kadettenanstalt in Hannover,
las. Er hat in diesen drei Vorlesungen gesucht, durch einen Ueberblick über
den Gang der mathematischen Wissenschaften bei denjenigen Völkern, welche
dieselben förderten, in so weit wir davon Kunde haben, die Zuhörer auf den
Weg zu führen, dessen Endergebniss die heutige Spitze der mathematischen Wis-
senschaft ausmacht. Er betrachtet daher zuerst (in der ersten Vorlesung) den
Zustand der Mathematik bei jenem reichbegabten Volke, dessen Meisterwerke
des schöpferischen Gedankens und der bildenden Kunst die Nachwelt noch im-
mer ansta.unt — bei den Griechen. Thales, Pythagoras, Euklid und
als Erster Archimedes haben die Geometrie namentlich vervollkommnet. Auch
die Trigonometrie, namentlich zu astronomischen Zwecken, bildeten sie aus,
während ihre Arithmetik, schon gehemmt durch die höchst unbequeme Methode
der Zahlendarstellung zurückblieb. Als endlich das siegende Schwert des Islams
die Wissenschaften zurückscheuchte, Alexandrien unterwarf, erlosch der Glanz
griechischer Wissenschaft. Aber gerade diese fanatischen Eroberer waren es,
die berufen waren, die Wissenschaften, wenn auch nicht fortschreiten zu las-
sen, doch zu erhalten und zu verbreiten, und namentlich aus den maurischen
Schulen in Spanien hat das Abendland nach der langen Nacht der Barbarei, die
sich über Europa nach dem Sturze des Römerreichs gelagert hatte, die Wis-
senschaften der Vorzeit wieder kennen lernen. Abendländische Gelehrte haben
dann gesucht, das so Erhaltene zu erweitern und auszudehnen, bis Vieta die
Buchstaben als allgemeine Zahlzeichen einführte and Descartes durch dieEr-
findung der analytischen Geometrie der heutigen Mathematik die Bahn brach.
Auf diese Errungenschaften gestüzt, legte der grosse deutsche Denker, einer der
ersten Geister aller Zeiten, Leibnitz, den Grund zur heutigen Differential- und
Integralrechnung, die neben und mit ihm in den Händen der Bernoulli, II o-
pitals, Eulers u. s. f. zu einem Gebäude erwuchs, auf das der menschliche
Geist als auf eine seiner stolzesten Schöpfungen blicken kann.
Dies ist im kurzen der Gang dieser kleinen Schrift. Sie ist sehr gut ge-
schrieben, klar und bestimmt in der Darstellung und ebendesshalb angenehm und
lehrreich zugleich. Referent ist überzeugt, dass jeder Leser sie mit Vergnügen
lesen wird, und wenn natürlich auch eine Geschichte der Mathematik nicht er-
XLV. Jahrg, 3. Doppelheft. 19