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434 Vischer: Kritische Bemerk, üb. d. ersten Theil v. Göthe’s Faust.
nicht aus. Denn er sagt von sich: „Ich bin der Geist, der stets
verneint“, und
„So ist denn Alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element’“ .
Die Durchführung auf dem magischen Boden ist vorzüglich ge-
lungen, und Ref. kann dem Hrn. Verf. auch hier nicht beistimmen,
dass es „des Hokuspokus zu viel sei“ (sic), und dass man auch
hier „den Vorwurf des Opernhaften wieder aufnehmen müsse“ (S. 10).
Gerade darin liegt das Schöne, dass ein „musikalisches Motiv“ zur
Verführung Faust’s von Mephisto gewählt wird, von welchem
unser Kritiker übrigens selbst gesteht, dass es „von grosser lyri-
scher, charakteristisch-traumhafter Schönheit“ sei. Er tadelt dabei,
dass Faust zu passiv sei, er sollte „thatkräftiger“ sein. Wenn es
wahr ist, was der Hr. Verf. S. 10 sagt, dass man „vielfach genug“
dem Dichter eines Dramas „mit Unrecht den Vorwurf ge-
macht habe“, dass er „die innern Motive der kämpfenden Per-
sönlichkeit ausserhalb derselben in mythische Figuren projicire“, so
sieht Ref. nicht ein, warum man den Dichter, der den Stoff der
Sammelsage aller Zauberer und Teufelsbündnisse des Mittelalters
zur symbolischen Darstellung der Menschengeschichte mit solcher
unübertroffener Meisterschaft erhebt, einen solchen Vorwurf machen
sollte. Die reinigenden und läuternden, wie die zerstörenden Kräfte,
wrnlche in der Natur liegen, werden im Sinne und Geiste des mit-
telalterlichen Volksglaubens von dem Dichter personificirt. Man
müsste also, wenn man den Faust in den Sinnenschlaf einwiegen-
den Gesang der kleinen Geister des Mephistopheles deshalb
tadeln wollte, weil Faust dabei nicht thatkräftig erscheint, zuletzt
die ganze Persönlichkeit des Mephistopheles hinwegwünschen,
weil das böse Princip im Menschen, nicht ausserhalb desselben in
dem personificirten Bösen liegt. Durch solche Aufhebung der my-
thischen Personification und der Benutzung der magisch-mittelalter-
lichen Staffage ginge aber gerade das Schöne der Dichtung ver-
loren. Entwicklung von Categorien und Begriffen ist noch lange
keine Dichtung. Als den ursprünglichen Plan Göthe’s deutet
unser Hr. Verf. an, dass nach dem Verschwinden des Erdgeistes
und nach Wagner’s Abgang Faust noch einmal den Erdgeist
beschwören, dieser ihm sodann, da er ihm nicht selbst dienen
konnte, den Mephistopheles als Führer zuscbicken sollte. Er
glaubt, dass Faust auch bei diesem Plane nach Wagner’s Ent-
fernung den Gedanken des Selbstmordes, jedoch ohne das Motiv
des Kirchengesanges fassen und hierauf die zweite Beschwörung
vornehmen könnte. Er glaubt, dass „Göthe bei diesem Plane
besser geblieben wäre“. Ref. gesteht, dass er sich in eine
solche Verbesserung nicht zurecht finden kann. Nicht nur würde dadurch
der herrliche Schluss des Faustmonologs verloren gegangen sein, son-
dern es müssten auch die übrigen ausgezeichneten Vermittlungsscenen?
 
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