84
Toech’e: Kaiser Heinrich VI.
nicht dem guten Willen des Kaisers seine Freilassung verdankte.
Dies Moment ist es denn auch, welches bei der Beurtheilung jenes
Konflikts für die Meisten den Ausschlag zu Gunsten von Richard
Löwenherz gibt. Es ist nicht blos Mitleid ohne Sinn und Ver-
stand, wie es die Menge allezeit einem von Mächtigen verfolgten
Unglücklichen zuwendet, sondern es ist der Antheil, dem wir einen
mit Tücke und Treulosigkeit Ringenden nicht versagen können.
Toeche selbst, der sich vor der herkömmlichen Lobrednerlust der
Biographen in verständiger Weise auszeichnet, bemerkt, dass die
Masslossigkeit, mit welcher Heinrich VI. Rache zu üben und den
Glücksfall auszubeuten beflissen war, den englischen König in unse-
rer Empfindung zum Helden des Kampfes erhebt. Dass der Kaiser
trotz aller Verträge noch im letzten Augenblick den Anerbietungen
Frankreichs unwürdiges Gehör schenkt, das entfärbt und verun-
staltet sein Bild, das enthüllt, dass ihm die Ritterlichkeit seines
grossen Vaters fehlte und er nicht nur seinen weltumfassenden
und politischen Plänen, sondern auch den untergeordneten An-
reizungen seiner Begierde keine Schranken zu setzen wusste. Gegen-
über dieser Unersättlichkeit des Kaisers, die nichts nach Recht
und Ehre fragt, erscheint der unerschütterliche Widerstand des
Königs doppelt ritterlich, und seine geduldige Ergebung rührt um
so tiefer. Wir gehen noch weiter als der Verf. und behaupten,
dass diesem psychologischen Moment gegenüber auch das politische
in unserer Empfindung zurücktritt, und dass wir die Gestalt des
Kaisers auch hier keineswegs als grossartiger bezeichnen können,
wie die seines Gegners. Heinrich mag planmässiger gehandelt und
eine bewusstere Consequenz entfaltet haben, wie Richard; aber war
denn überhaupt das Terrain ein Gleiches, Licht und Schatten zwi-
schen den Gegnern gleich bemessen? Wenn der Verf. sich über
das bewundernswerthe Spiel diplomatischer Freiheit und Klugheit
erfreut, das Heinrich frei vor unsern Augen entfalte, während
Richard fast machtlos den Zügen des Gegners zu folgen gezwungen
sei, so gemahnt uns ein solches Urtheil an das Lob des Jägers der
einen von allen Seiten durch seine kläffende Meute umstellten Eber
mit grossartiger Ruhe zu überwältigen und zu erlegen weiss. Hein-
rich gehört zu den Naturen die im Unglück bewundernswerther
erscheinen als im Glück. Und so vermag uns die Art, wie er den
Glücksfall der Gefangennahme Richards benutzte ebenso wenig für
ihn einzunehmen, wie sein Auftreten nach dem unerwarteten Glück,
welches ihn mit dem Ableben seines gefährlichsten Gegners Tan-
kred zu Theil ward. Tankred war am 20. Februar 1194 seinem
Sohn Roger ins Grab gefolgt; ein Schicksal furchtbarer Art, wie
es die antike Tragödie zu entrollen pflegt, brach über sein Ge-
schlecht herein und vernichtete die Arbeit und Mühe seines Lebens.
Dass ein schwacher Knabe wie Wilhelm III. die trotzigen Barone
nicht im Zaum zu halten vermöge, war unschwer vorauszusehn.
Das Reich war als völlig aufgelöst und herrenlos zu betrachten,
Toech’e: Kaiser Heinrich VI.
nicht dem guten Willen des Kaisers seine Freilassung verdankte.
Dies Moment ist es denn auch, welches bei der Beurtheilung jenes
Konflikts für die Meisten den Ausschlag zu Gunsten von Richard
Löwenherz gibt. Es ist nicht blos Mitleid ohne Sinn und Ver-
stand, wie es die Menge allezeit einem von Mächtigen verfolgten
Unglücklichen zuwendet, sondern es ist der Antheil, dem wir einen
mit Tücke und Treulosigkeit Ringenden nicht versagen können.
Toeche selbst, der sich vor der herkömmlichen Lobrednerlust der
Biographen in verständiger Weise auszeichnet, bemerkt, dass die
Masslossigkeit, mit welcher Heinrich VI. Rache zu üben und den
Glücksfall auszubeuten beflissen war, den englischen König in unse-
rer Empfindung zum Helden des Kampfes erhebt. Dass der Kaiser
trotz aller Verträge noch im letzten Augenblick den Anerbietungen
Frankreichs unwürdiges Gehör schenkt, das entfärbt und verun-
staltet sein Bild, das enthüllt, dass ihm die Ritterlichkeit seines
grossen Vaters fehlte und er nicht nur seinen weltumfassenden
und politischen Plänen, sondern auch den untergeordneten An-
reizungen seiner Begierde keine Schranken zu setzen wusste. Gegen-
über dieser Unersättlichkeit des Kaisers, die nichts nach Recht
und Ehre fragt, erscheint der unerschütterliche Widerstand des
Königs doppelt ritterlich, und seine geduldige Ergebung rührt um
so tiefer. Wir gehen noch weiter als der Verf. und behaupten,
dass diesem psychologischen Moment gegenüber auch das politische
in unserer Empfindung zurücktritt, und dass wir die Gestalt des
Kaisers auch hier keineswegs als grossartiger bezeichnen können,
wie die seines Gegners. Heinrich mag planmässiger gehandelt und
eine bewusstere Consequenz entfaltet haben, wie Richard; aber war
denn überhaupt das Terrain ein Gleiches, Licht und Schatten zwi-
schen den Gegnern gleich bemessen? Wenn der Verf. sich über
das bewundernswerthe Spiel diplomatischer Freiheit und Klugheit
erfreut, das Heinrich frei vor unsern Augen entfalte, während
Richard fast machtlos den Zügen des Gegners zu folgen gezwungen
sei, so gemahnt uns ein solches Urtheil an das Lob des Jägers der
einen von allen Seiten durch seine kläffende Meute umstellten Eber
mit grossartiger Ruhe zu überwältigen und zu erlegen weiss. Hein-
rich gehört zu den Naturen die im Unglück bewundernswerther
erscheinen als im Glück. Und so vermag uns die Art, wie er den
Glücksfall der Gefangennahme Richards benutzte ebenso wenig für
ihn einzunehmen, wie sein Auftreten nach dem unerwarteten Glück,
welches ihn mit dem Ableben seines gefährlichsten Gegners Tan-
kred zu Theil ward. Tankred war am 20. Februar 1194 seinem
Sohn Roger ins Grab gefolgt; ein Schicksal furchtbarer Art, wie
es die antike Tragödie zu entrollen pflegt, brach über sein Ge-
schlecht herein und vernichtete die Arbeit und Mühe seines Lebens.
Dass ein schwacher Knabe wie Wilhelm III. die trotzigen Barone
nicht im Zaum zu halten vermöge, war unschwer vorauszusehn.
Das Reich war als völlig aufgelöst und herrenlos zu betrachten,