150 Spielhagen: Faust und Nathan.
Entwicklung der Parallele rechtfertigen. Der Vortrag setzt näm-
lich die genaueste Kenntniss des Inhaltes der beiden Dichtungen
Göthe’s und Lessing’s, ja selbst eine genaue Kenntniss des
Charakters und Lebens dieser beiden Dichter voraus. Dies ist aber
eine Voraussetzung, die kaum auf die grössere Masse der so ge-
nannten Gebildeten, geschweige denn auf einen Handwerkerverein
eine Anwendung zulässt. Doch sehen wir von dieser subjectiven
Beziehung des Vortrages ab und halten wir uns an den objectiven
Bestand desselben. Wir erhalten jedes Jahr einen oder einige
Fauste. Schon der Anfang dieses Jahres bringt uns einen neuen.
»Faust ist ein Typus, sagt Leutbecher in seiner Schrift über
den Faust von Göthe (1838) S. 93, wovon jeder eine mehr oder
minder gelungene Kopie ist und nehmen kann, worin jeder also
ein fruchtbares Thema für seine Einbildungskraft, für sein Denken,
für seinen Menschenhass und für seine Menschenliebe, für seine
Gläubigkeit und seine Abergläubigkeit, für seinen Schmerz und für
seine Freude findet« »Daher diente er den Dichtern auch von
jeher zu Allem und damit wird es auch so bleiben. Er diente und
dient wohl auch noch ferner als Held des Lustspiels und der Tra-
gödie , als Held des Romans und des Epos, er konnte und kann
noch heute im Melodrama, im Vaudeville, sogar im Ballet auftre-
ten. Kurz, Faust war und ist ein Name, eine Idee, und diese
Idee konnte und kann, sobald sie einmal in eine nach Ideen hun-
gernde und lungernde Welt von Dichtern und Literaten eintrat
und eintritt, einem Menschen zu Theil werden, welcher ihr die
bunte Jacke eines Hanswursts anzog, oder einem andern, der sie
in eine Mönchskapuze oder in einen Tartüffe versteckte, oder
einem dritten, dem es gefiel, sie sogar in einen Journalisten
zu verkleiden, der überall seine literarischen Fluggedanken
oder seine politischen Saalbadereien auslegt; oder sie konnte
endlich einem Manne von Geist zu Theil werden, der sie mit
Liebe und Erbarmen empfing, von allem ihr um- und ange-
legten Unrath und Schmutz sie säuberte, in seiner eigenen Glorie
sie verherrlichte und in der edelsten Haltung und Fassung erschei-
nen liess.« Die Faustidee kehrt in den verschiedensten Gestalten
unter unsern Literaten immer wieder, daher die vielen Werke
über die Faustsage, über den Göthe’schen Faust und nun auch
die Faustparallele. Man will aus der Gährung der über die Schran-
ken des Endlichen hinausstrebenden Faustseele Allerlei herauskochen
und das Produkt in einen Parallelismus mit der Faustidee bringen.
So hat im vorigen Jahre Licentiat Dr. P. Kleinert in einem
Vortrag vor dem evangelischen Vereine zu Berlin zu zeigen ver-
sucht, dass aus dem rechten Faust ein Augustin werden muss,
als wenn das ganze orthodoxe evangelische Glaubensbekenntniss als
Embryo im Dr. Faust stacke und zuletzt in Augustins kirchlichem
Systeme zum Durchbruche zu kommen hätte. Jetzt wird uns von
Friedrich Spielhagen gezeigt, dass der wahre Faust ein
Entwicklung der Parallele rechtfertigen. Der Vortrag setzt näm-
lich die genaueste Kenntniss des Inhaltes der beiden Dichtungen
Göthe’s und Lessing’s, ja selbst eine genaue Kenntniss des
Charakters und Lebens dieser beiden Dichter voraus. Dies ist aber
eine Voraussetzung, die kaum auf die grössere Masse der so ge-
nannten Gebildeten, geschweige denn auf einen Handwerkerverein
eine Anwendung zulässt. Doch sehen wir von dieser subjectiven
Beziehung des Vortrages ab und halten wir uns an den objectiven
Bestand desselben. Wir erhalten jedes Jahr einen oder einige
Fauste. Schon der Anfang dieses Jahres bringt uns einen neuen.
»Faust ist ein Typus, sagt Leutbecher in seiner Schrift über
den Faust von Göthe (1838) S. 93, wovon jeder eine mehr oder
minder gelungene Kopie ist und nehmen kann, worin jeder also
ein fruchtbares Thema für seine Einbildungskraft, für sein Denken,
für seinen Menschenhass und für seine Menschenliebe, für seine
Gläubigkeit und seine Abergläubigkeit, für seinen Schmerz und für
seine Freude findet« »Daher diente er den Dichtern auch von
jeher zu Allem und damit wird es auch so bleiben. Er diente und
dient wohl auch noch ferner als Held des Lustspiels und der Tra-
gödie , als Held des Romans und des Epos, er konnte und kann
noch heute im Melodrama, im Vaudeville, sogar im Ballet auftre-
ten. Kurz, Faust war und ist ein Name, eine Idee, und diese
Idee konnte und kann, sobald sie einmal in eine nach Ideen hun-
gernde und lungernde Welt von Dichtern und Literaten eintrat
und eintritt, einem Menschen zu Theil werden, welcher ihr die
bunte Jacke eines Hanswursts anzog, oder einem andern, der sie
in eine Mönchskapuze oder in einen Tartüffe versteckte, oder
einem dritten, dem es gefiel, sie sogar in einen Journalisten
zu verkleiden, der überall seine literarischen Fluggedanken
oder seine politischen Saalbadereien auslegt; oder sie konnte
endlich einem Manne von Geist zu Theil werden, der sie mit
Liebe und Erbarmen empfing, von allem ihr um- und ange-
legten Unrath und Schmutz sie säuberte, in seiner eigenen Glorie
sie verherrlichte und in der edelsten Haltung und Fassung erschei-
nen liess.« Die Faustidee kehrt in den verschiedensten Gestalten
unter unsern Literaten immer wieder, daher die vielen Werke
über die Faustsage, über den Göthe’schen Faust und nun auch
die Faustparallele. Man will aus der Gährung der über die Schran-
ken des Endlichen hinausstrebenden Faustseele Allerlei herauskochen
und das Produkt in einen Parallelismus mit der Faustidee bringen.
So hat im vorigen Jahre Licentiat Dr. P. Kleinert in einem
Vortrag vor dem evangelischen Vereine zu Berlin zu zeigen ver-
sucht, dass aus dem rechten Faust ein Augustin werden muss,
als wenn das ganze orthodoxe evangelische Glaubensbekenntniss als
Embryo im Dr. Faust stacke und zuletzt in Augustins kirchlichem
Systeme zum Durchbruche zu kommen hätte. Jetzt wird uns von
Friedrich Spielhagen gezeigt, dass der wahre Faust ein