Das Weltbild des Mittelalters
FRITZ PETER KNAPP
Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo
eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte; ein
großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen
dieses weiten geistigen Reichs.
Dies die berühmten Anfangsworte der Schrift Die Christenheit oder Europa
von Novalis (1799), Worte, welche auf eine historisch höchstens ansatzweise
konkretisierte harmonische „Urzeit", eine Art rückwärtsgewandter Utopie,
zielten, den Zeitgenossen des romantischen Dichters aber von Anfang an als
Lobpreis des „christlichen Mittelalters" erschienen. Von der konservativen
Restauration und dem politischen Katholizismus vereinnahmt, von deren
Gegnern als Ausdruck finsterster Reaktion verdammt, an der viel heterogene-
ren historischen Wirklichkeit gemessen und falsifiziert, enthalten die Worte,
von ihrer subjektiven Wertungshaltung abgesehen, doch ein gar nicht so klei-
nes Körnchen Wahrheit.
Gewiss, die Christenheit war seit Anfang gespalten. Es gab neben und in-
mitten der katholischen, der „allgemeinen" Kirche Arianer, Donatisten, Pela-
gianer, Monophysiten, Patarener, Amalrikaner, Waldenser, Averroisten usw.,
seit 1054 das Schisma zwischen Papstkirche und Orthodoxie, später weitere
Spaltungen in verschiedene päpstliche Obödienzen. Selbst an NichtChristen
fehlte es nicht. Es lebten nicht nur an den Rändern Europas die heidnischen
Skandinavier, Slawen (im Frühmittelalter) und Balten (die Preußen bis ins 14.
Jahrhundert), die muslimischen Araber in Spanien und Sizilien, sondern auch
in christlichen Ländern die manichäischen Bogumilen und Katharer sowie
die Juden. Aber die Anhänger aller dieser Religionen und Sekten stimmten in
Teilen ihres Weltbildes überein, mit gradmäßigen Abstufungen natürlich. Und
das okzidentale, das abendländische Europa war im großen und ganzen
tatsächlich katholisch und damit in seiner Weltanschauung einheitlich ausge-
richtet wie später nie mehr, auch nicht zur Zeit des päpstlichen Zentralismus
und königlichen Absolutismus im 17. Jh. Diese Einheit wurde nicht zuletzt
durch die eine Sprache der Religion und der Wissenschaft, das Lateinische,
gewährleistet.
FRITZ PETER KNAPP
Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo
eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte; ein
großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen
dieses weiten geistigen Reichs.
Dies die berühmten Anfangsworte der Schrift Die Christenheit oder Europa
von Novalis (1799), Worte, welche auf eine historisch höchstens ansatzweise
konkretisierte harmonische „Urzeit", eine Art rückwärtsgewandter Utopie,
zielten, den Zeitgenossen des romantischen Dichters aber von Anfang an als
Lobpreis des „christlichen Mittelalters" erschienen. Von der konservativen
Restauration und dem politischen Katholizismus vereinnahmt, von deren
Gegnern als Ausdruck finsterster Reaktion verdammt, an der viel heterogene-
ren historischen Wirklichkeit gemessen und falsifiziert, enthalten die Worte,
von ihrer subjektiven Wertungshaltung abgesehen, doch ein gar nicht so klei-
nes Körnchen Wahrheit.
Gewiss, die Christenheit war seit Anfang gespalten. Es gab neben und in-
mitten der katholischen, der „allgemeinen" Kirche Arianer, Donatisten, Pela-
gianer, Monophysiten, Patarener, Amalrikaner, Waldenser, Averroisten usw.,
seit 1054 das Schisma zwischen Papstkirche und Orthodoxie, später weitere
Spaltungen in verschiedene päpstliche Obödienzen. Selbst an NichtChristen
fehlte es nicht. Es lebten nicht nur an den Rändern Europas die heidnischen
Skandinavier, Slawen (im Frühmittelalter) und Balten (die Preußen bis ins 14.
Jahrhundert), die muslimischen Araber in Spanien und Sizilien, sondern auch
in christlichen Ländern die manichäischen Bogumilen und Katharer sowie
die Juden. Aber die Anhänger aller dieser Religionen und Sekten stimmten in
Teilen ihres Weltbildes überein, mit gradmäßigen Abstufungen natürlich. Und
das okzidentale, das abendländische Europa war im großen und ganzen
tatsächlich katholisch und damit in seiner Weltanschauung einheitlich ausge-
richtet wie später nie mehr, auch nicht zur Zeit des päpstlichen Zentralismus
und königlichen Absolutismus im 17. Jh. Diese Einheit wurde nicht zuletzt
durch die eine Sprache der Religion und der Wissenschaft, das Lateinische,
gewährleistet.