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Heidelberger Familienblätter — 1865

DOI Kapitel:
No. 26 - No. 39 (1. März - 31. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43186#0126

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— 122 —

in dieſem Kreiſe. Lange Jahre war ich ſtets an Dresden vorübergefahren,
ohne dort Halt zu machen; erſt im Spätherbſt 1857 trat ich wieder einmal
bei Gutzkow vor. Er hatte inzwiſchen die „Ritter vom Geiſte“ beendet
und einen rieſigen Erfolg erlebt, aber auch die hartnäckigſten Angriffe er-
fahren. So reich auf der einen Seite ſein Ruhm heranwuchs, wie ein
Jungwald mit ragenden Kronen, ſo gierig war anderſeits eine Raupenbrut
bemüht, Alles kahl zu nagen, was ſie von ihm in den Bereich ihrer Netze
ziehen konnte: mit der Erkältung der Atmoſphäre, die in Folge der poli-
tiſchen Rückſchläge eingetreten, war dieſes Gezücht entſtanden. Gutzkow
wohnte, um von Beſuchern weniger beläſtigt zu werden, weit weg am letzten
Ende einer Vorſtadtſtraße, und ſtand in ſeinem mit Büchern und Papier-
ſtößen angefüllten Studirzimmer, im grauen Schlafrock, der einer Kutte
glich, das Kinn in der Hand, während die Augen immer etwas zu ſuchen
ſchienen. Nun hatte er ſchon zum ſteten Begleiter das Mißbehagen, die
Mißſtimmung, die Hamlet-Unzufriedenheit, die den Bodenſatz aller Dinge
aufwühlt. Er verhehlte nicht, wie die ſyſtematiſche Polemik Julian Schmidt's
an ihm zehre, und brachte ſogleich das Geſpräch auf den Gegenſtand. Ich
äußerte meine Verwunderung, daß er, der ſich auf ein ungeheures Publikum
ſtützen könne, ſich ſo afficiren laſſe. Ja, erwiderte er, ſtände er allein;
aber um dieſen Exponenten nihiliſtiſcher Kritik hat ſich ein ganzes Heer
geſchaart. Es iſt nicht die Stumpfheit gedankenloſer Schwätzer, die aus
dieſen Leuten herausredet, es iſt der Neid, der Aerger, daß irgend etwas
da ſei, der Grimm über ihre eigene Impotenz. Der Mann hat dieſes Volk
unter eine eigene Fahne zuſammengebracht. Sehen Sie nach Wien — ich ſehe
ſeit einiger Zeit dort eine ganze Clique, die in ſeinem Sinne ſchreibt. Seine
Stichworte: „einfach blödſinnig“, „ſittlich faul“ ꝛc., ſind leicht zu behalten,
und damit opponirt man trefflich. Die Kritik Julian Schmidt's iſt epi-
demiſch geworden. ö
Unter dem Einfluß dieſer Schule, fuhr Gutzkow nach einer Weile fort,
iſt die Jugend zu einem merkwürdigen Dünkel gelangt. Sie kennen den
jungen Mann (er nannte den Namen eines talentvollen jungen Dichters),
den ich ſelbſt in die Oeffentlichkeit einführte, indem ich deſſen erſte Novelle
— mit welcher Mühe — umgeſtaltete und ſo druckbar machte. Ich finde
ihn in Wien, wo meine „Ella Roſe“ gegeben wird. Früh liege ich noch
zu Bette, in der Abſpannung, die einer erſten Aufführung folgt. Da dringt
Jemand bei mir ein, ich ſchlage die Augen auf, es iſt mein junger Mann,
und er iſt zu mir gekommen, um mir zu beweiſen, daß mein Stück nichts
tauge. Ja, er fühlt ſich moraliſch gedrängt, mir anzukündigen, daß er
darüber ſtrenge zu Gerichte ſitzen werde. Seine Principien befehlen es
ihm. So geberdet ſich die Jugend von heute!
So empfindlich war Gutzkow, daß ihn die Selbſtüberhebung — oder
wie ſoll ichs nennen — des jungen Menſchen, den er protegirt, noch jetzt,
noch nach Jahren ſchmerzte! Es bleibe nicht unerwähnt, daß der junge
Dichter, von dem er ſprach, ein Talent, das ſich erſchöpfte, ebenfalls ge-
waltſam Hand an ſich legte und auf grauenhafte Weiſe aus der Welt
ging ... ö
Als ich damals Gntzkow ſah, im Beſitz eines ſo großen Namens und
einer, wie es ſchien, ſo glücklichen Häuslichkeit, konnte ich die Fülle von
Verſtimmung, die in ihm lag, kaum begreifen. Welches reizende Geſchöpf
erſchien mir ſeine Frau, eine Blondine, nur eben über das Mädchenalter
 
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