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Heidelberger Familienblätter — 1865

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No. 104 - No. 116 (1. September - 29. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43186#0433

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Heidelberger Familienblätter.

108. Sonntag, den 10. September 1865.

Der ſchwarze Bettler

von Paul Féval.

CFortſetzung. I

Gegen zwei Uhr Morgens erſchien endlich Carral unter der Thür
des Hôtels. Er war bleich und angegriffen. Als er hereintrat, ſchlug er
die Augen nieder; er wagte nicht, ſeinen Freunden in's Angeſicht zu ſehen,
ſo ſehr fürchtete er ſich, mit höhniſchem Lächeln empfangen zu werden.
Er wußte, daß die Marquiſin nicht die Frau war, die leicht leere Droh-
ungen machte. ö
Als er ſich aber wie gewöhnlich aufgenommen ſah, wurde ſeine Bruſt
von einem zermalmenden Gewichte erleichtert. Er gewann daher bald einen
Theil ſeiner Faſſung wieder und ſchlich ſich in eine Fenſtervertiefung, in
der Hoffnung hier den Blicken der Marquiſin zu eh Hen.
„Ich will beobachten, vielleicht wagt ſie es nicht .. . Erſt wenn ſie
ſpricht, werde ich mich zeigen.“
Herr von Carral täuſchte ſich. Frau von Rumbrye hatte ohne Un-
terlaß auf ihn gewartet und die Eintrittͤͤthüre in den Saal auch nicht
einen Augenblick außer Acht gelaſſen. Sie hatte ihn daher ſogleich bemerkt
und ſich alsbald zurückgezogen, da ſie nun ihres Sieges gewiß war. Viel-
leicht hätte ſie nicht geſprochen, wenn er nicht gekommen wäre.
Allmälig ließ die Tanzluſt nach und bereits hatte ſich ein ziemlich
großer Kreis um die Gebieterin des Hauſes gebildet. Die Zeit des Abend-
eſſens nahete. Frau von Rumbrye war heute die Liebenswürdigkeit und
Heiterkeit ſelbſt; die ſchöͤnen Worte und geiſtreichen Bemerkungen wollten.
ihr nicht ausgehen, und zwei ſechszigjährige Akademiker hatten ſie bereits
mehreremale mit Madame du Deffant) verglichen.—
Ein Diener kündigte die Abendmahlzeit an. Die Marquiſin nahm
mit reizender Nachläſſigkeit Xavier's Arm und führte ihn zu der Gallerie,
woſelbſt die Tafel aufgeſtellt war. Als ſie an der Fenſtervertiefung vor-
über kam, in welce ſich Carral verborgen hielt, fing ſie laut zu lachen
an, wie wenn eine plötzliche Erinnerung in ihr aufgetaucht wäre und
dieſe lebhafte Heiterkeit veranlaßt hätte.
„Herr Xavier,“ ſagte ſie mit lauter Stimme, „tennen Sie die Ge-
ſchichie eines gewiſſen Jonquille?“
Xavier antwortete verneinend. Carral fühlte einen ſtechenden Schmerz
im Herzen, der Athem drohte ihm auszugehen.
„Und Sie, meine Herren?“ fuhr Frau von Rumbrye fort, indem ſie
ſich an diejenigen wandte, welche ihr folgten.

*) Eine geiſtreiche, franzöſiſche Schriſſtelerin aus dem achdehnten Jahrhundert
Aà m. d. Ueberſ.
 
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