Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1867

DOI Kapitel:
No. 39 - No. 50 (3. April - 28. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43664#0169

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Jamilienblätter.

Il. ennag, den 1. AUUt 1867.

Der Sandackerherr.

Von Alfred Hartmann.

CJortſetzung.)
Oas Wirthshaus zu Gottmarchingen führte den Schild „zum grünen
Affen.“ Dieſes Hotel war zwar nicht für Engländer eingerichtet; die Gäſte
wüurden keineswegs von Kellnern in ſchwarzen Thum kine Zvei Wachs and-
ſchuhen bedient, und wer da über Nacht bieb, bekam keine zwei Wachskerzen
angezündet, ſondern ein ſimples Unſchlittlicht. Nichtsdeſtoweniger ſtand der
grüne Affe im guten Rufe, einen Tropfen ſehr trinkbaren, achten, unver-
fälſchten Weines auszuſchenken, was heutzutage in manchem Wachslichter-
hotel nicht immer der Fall iſt. Ich nahm deßhalb keinen Anſtand, den
klaſſiſch gebildeten yvenator murium zu einer Flaſche einzuladen, bei welcher
ſich, der nöthigen Anfeuchtung wegen, beſſer erzählen laſſe, als hier mitten
auf der weiten Wieſe. — „Bene dixisti,“ erwiederte mein neuer Freund.
„Wo ließe ſich beſſer plaudern als bei einer Flaſche edlen Falerners ? Post
multa secula pocula nulla! ſagt das Lied.“ — Wonach er noch ſchnell
einigen von ihm ausgeſteckten Sprenkeln nachging, während ich die Block-
hütte feſt im Auge behielt. Einmal bedünkte es mich, es zeige ſich ein

pblaſſes Menſchengeſicht mit eingefallenen Wangen und tief liegenden Augen

am Fenſter, das ſich jedoch ſozleich wieder zurückzog, ſobald es bemerkte,

daß ſich Jemand auf der Wieſe befinde. Trotz meines Lauſchens konnte ich ö

nichts Weiteres erſpähen.

Die Gaſtſtube im grünen Affen war mit ſchwarzbraunem Holz ausge-
getäfelt, welches ſeinen Lack von hundert Generationen unzählbarer Fliegen
erhalten hatte, von denen es an der Decke, den Wänden und dem Tiſche
wimmelte. Einen ſtarken Viertheil des Quadratinhalts der Stube nahm
der große grüne Kachelofen ein. Die Fenſter waren nur niedrig und mit
in Blei gefaßten ſogenannten Kreuzerſcheiben geglast. Längs der Wand
lief eine ſchmale Bank, und vor derſelben ſtand ein Tiſch, der vom näm-
lichen Naturlacke glänzte. mit dem Wände und Decke überzogen waren.
Nichtsdeſtoweniger bedünkte es mich ganz heimlich und gemüͤthlich zwiſchen
dieſen braunen Wänden, als die Halbmaßflaſche aus weißem Glas mit dein
goldgelben Wein vor uns ſtand, und durch das offene Fenſter die Abend-
ſonne hineinſchien und das Rauſchen des Fluſſes hörbar wurde, der un-
mittelbar vor dem Hauſe ſeine Wogen zwiſchen Schiff und weidenbewachſenen
Ufern wälzte. Der Mäuſevertilger halte ſich zwiſchen Tiſch und Wand ein-
gekeilt, dem Lieblingsplatze ländlicher Wirthshaushocker; ich ſelbſt hatte mich
auf einen uralten braunledernen Lehnſtuhl niedergelaſſen, den ich entdeckt
und aus ſeinem dunkeln Verſtecke hervorgezogen. Sonſt war die Stube
leer, da es Melkenszeit und alſo nicht Klubſtunde war bei den Bauern von
Gottmarchingen, und die Frau Wirthin, die uns den Wein gebracht, draußen

in der Küche den Schweinen kochen mußte.
 
Annotationen