Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1867

DOI Kapitel:
No. 103 - No. 115 (1. September - 29. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43664#0465

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Beidelberger Tamilirnblitter.

M 113. — Mittwoch, den 25. September 1867.

Die Braut des Verſchollenen.
Von Karl Teſchner.

ö FCortſetzung. )
Dies war die Erzählung der Unglücklichen — Thereſe Heilmann, wie
ſie auf Befragen mir ſagte. Wahn und Geſchichte, klares, logiſches Denken
und fixe Ideen floſſen darin in einander. Ich konnte mir das Uebrige
leicht ergänzen. Bereits im Jahre 1817, als die Polen völlig enttäuſcht
waren über die Hoffnungen, die Napoleon in ihnen klug erregt hatte, ent-
ſtanden in allen Theilen des ehemaligen polniſchen Reiches geheime politiſche
Verbindungen; ſo in Warſchau die „Geſellſchaft der Freunde“, wozu auch
Deutſche, z. B. Dr. phil. Mauersberger, gehörten. Möglichſt harmloſe
Vorwände undtFormen mußten die mit den ſchwerſten Strafen bedrohten wah-
ren Beſtrebungen verhüllen; beſonders waren derartige Hüllen: die Geſel-
ligkeit, Bildungsdrang, Wohlthätigkeit, Freimaurerei, der Tempelherrenorden,
Studentenverbindungen. National⸗ und Deutſchpolen (ſelbſt Solche, die
nicht einmal in Polen naturaliſirt waren) warfen ſich zu Führern auf, ein
Lukaſinski, Uminski, Jablonowski, Radziwill, Koſakowski, Marawski, Szre-
der, Romer, Mauersberger, Losberg, Jell ꝛc. Die polniſchen Bünde traten
mit den ruſſiſchen Republikanern in Verbindung. Von den Univerſitäten
Warſchau und Krakau verpflanzten ſich politiſche Burſchenſchaften auf deutſche
Hochſchulen, namentlich Berlin und Jena, denn nicht in Polen allein, ſon-
dern auch in Deutſchland hatte das gedrückte und getäuſchte Volk zu klagen
über Fürſtenwillkür und Beamtendruck. ö
Sturmvögel waren die geheimen Verbiudungen, welche allerwärts mit
finſterem Geiſte in's Leben traten oder wenigſtens verſucht wurden, Sturm-
vögel des Freiheits⸗ und Rachedranges. Ehrenwort und ſchwere Eide ver-
pflichteten die Verſchwörer, wie das Grab zu ſchweigen, dem Wohle der Ver-
bindungen und des Vaterlandes Alles willig zu opfern. Aber viele junge
Leute ſchloſſen ſich begeiſtert den gefahrvollen Plänen an, ohne die gebotenen
Mittel und die ſchrecklichen Folgen in Betracht zu ziehen. ö
Da griff die eiſerne Fauſt der Staatspolizei in das geheimnißvolle Ge-
triebe. In Preußen erfolgte 1822 die erſte Entdeckung. Unglückliche Bur-
ſchen und junge Beamte wanderten wegen Theilnahme an der „Polonia“,
Nan der „Geſellſchaft der Freunde“ ꝛc. auf viele Jahre in den Kerker. Manche
arme Braut hatte den Verluſt des Geliebten zu beweinen. Friedrich Wil-
helm III. war unerbittlich. ö
In Warſchau ging die Unterſuchung langſam vorwärts. Kaiſer Niko-
laus beſtieg den Thron ſeiner Väter. Die ruſſiſchen Republikaner brachen
los; Tod und Verderben war ihr Lohn. Nach Sibirien ging der Weg
Derer, die am mildeſten wegkamen.
Und jetzt kam die Hand des kaiſerlichen Grolles über Polen. Die
freiſprechenden Urtheile des polniſchen Senatsgerichts gegen die Theilnehmer
an der „National⸗Freimaurerei“, an der „Geſellſchaft der Freunde“, an der
 
Annotationen