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Heidelberger Familienblätter — 1867

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No. 64 - No. 76 (2. Juni - 30. Juni)
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Heidelberger Tamilienblätter.

Ri. ano den 26. Intt.. 1867

Eine Epiſöbe aus dern letten holniſhen uſtande.

Cortſetzung.) 111..
Er verſicherte, daß er einem Unſchuldigen nicht die geringſte Unan-
nehmlichkrir bereiten möchte, daß ein eben eingetretener Fall aber ihm ver-
doppelte Wachſamkeit auferlege. Es ſeien nämlich Exemplare einer im höch-
ſten Grade aufregenden und verbrecheriſchen Proclamation aufgefunden wor-
den, welche allem Anſcheine nach noch unlängſt an den Mauern der Häu-
ſer und an den Bäumen angeſchlagen geweſen wäre. Die ſtrafbare Procla-
mation war in polniſcher Sprache abgefaßt und vom Centralcomité (aus
welchem ſich ſpäter die bekannte „Geheime Volksregierung“ bildete) unter-
zeichnet und verbot unter Androhung der öffentlichen Schande und des To-
des die Zahlung der von der ruſſiſchen Regierung ausgeſchriebenen und
jetzt eingetriebenen Steuern. Ein armer Gänſehirte — ſo erzählt der Of-
fizier weiter — habe ihm mitgetheilt, daß er geſehen habe, wie ein junger
Mann zu Pferde die Proclamation an die Bäume geheftet habe: „Das
iſt der Grund — ſo ſchloß er — weßhalb mein Verdacht auf Sie fiel.“
Mieine Aufflärung ſchien dem Officier ſo vollſtändig befriedigend, daß
er jetzt nicht für nothwendig hielt, meinen Gefährten beſonders zu befragen.
Er hielt es für ganz natürlich, daß Otto Szablinski zugleich mit mir P..
verlaſſen habe und daher in keiner Weiſe an der Verbreitung der aufrüh-
reriſchen Proclamation betheiligt ſein konnte. Ich vermied es abſichtlich,
in dieſer Beziehung irgend ein überflüſſiges Wort zu ſprechen, weil mir ein
derartiges unvorſichtiges und unbedachtſames Beginnen von Seiten des
jungen Szablinski⸗immerhin nicht unmöglich erſchien. ö
Auf dieſe Weiſe verlief das für uns durchaus nicht ungefährliche Zu-
ſammentreffen ohne üble Folge. Der Officier empfahl ſich freundlich, nach-
dem er die ihm angebotene Cigarre von mir angenommen, und ſprengte mit
ſeinen Koſgken davon. ö ö
Als die Schaar ſich hinter Staubwolken verlor, athmete Graf Otto
tief auf, als ob eine gewaltige Laſt ihm vom Herzen fiele.
8 Minuten darauf befanden wir uns im Schloſſe des Herrn

Wie das Schloß ſelbſt, ſo bot auch der Beſitzer deſſelben eine jener
originellen Erſcheinungen dar, die man nur in Polen und Ungarn antref-
fen kann. Das alte Gebäude zeigte keinen Mangel an Thürmchen und
Warten, ja ſogar ein Graben umgab daſſelbe; aber die Thürme waren
von ſehr beſcheidenem Maßſtabe, die Warten dem Verfall nahe und der
Graben ſeit vielen Jahren ausgetrocknet und theilweiſe zugeſchüttet, ſo daß
er zu einer Art von Küchengarten benutzt wurde. Die Mauern beſtanden
theils aus Stein, theils aus Ziegeln und waren an einigen ſchadhaften-
Stellen mit Holzſtämmen ausgebeſſert. In gleicher Weiſe war das Dach
theils mit Ziegeln, theils mit Stroh bedeckt. Urſprünglich hatte das Schloß,
wie noch einige wenige Stellen zeigten, ein Bleidach, aber das Blei war
bereits vor langer, langer Zeit von dem Großvater Plotzki's verkauft wor-
den, ſowie derſelbe auch, um die Koſten der Erneuerung der Scheiben zu
 
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