forma geöffnet, und damit war Alles fertig. Ich war
namentlich froh wegen meiner Patronen, die ich ja gern
verſteuert hätte, von denen ich aber fürchten mußte, ſie
würden confiscirt werden.
Bald erreichten wir die ſüdliche Schneegrenze und in
ebenſo guten Poſtkutſchen gings weiter. Den herrlichen
Punkt, wo ein Gießbach ins Thal hinab brauſt und wo
man der Ausſicht halber eigends eine Art Kanzel erbaut
hat, von der man die ſchönſte Ausſicht genießen kann,
paſſirten wir noch eben bei Licht dann noch eine halbe
Stunde das ſchönſte Alpenglühen, wie ich es nie leuch-
tender und intenſiver geſehen habe, und tiefe Nacht ſenkte
ſich dann auf uns herab. Nach zwei Stunden, d. h. um
6½ Uhr Abends, waren wir in Chiavenna.
Das Holel zur Poſt, von dem Hrn. Schreiber gehalten, iſt
berühmt in ganz Italien und auch wir konuten mit dem
Nachtmahl, welches uns aufgetiſcht wurde, nur zufrieden
ſein, ja das Lob ſeines guten Valtelliner machte, daß er
uns noch eine Extra-Flaſche, natürlich für unſer Geld,
heraufholte. Wir ſchieden um 10 Uhr als gute Freunde
(im ganzen Hotel iſt nur deutſche Bedienung) und wei-
ter gings bis Colico, welchen Ort wir um 1Uhr Nachts
erreichten. In Colico ſelbſt wurde nur umgeiaden in ei-
nen anderen Wagen, der nach Lecco beſtimmt war.
Auf dieſer ſchönen Tour längs des Lago di Como,
die ich übrigens zu Lande ſchon einmal, zur See ſchon
mehrere Mal gemacht habe, merkten wir nun zwar nichts
von den Reizen der Natur, aber die milderen Lüfte und
zur Seite des Weges die belaubten Olivenbäume bekun-
deten auch ſo genug, daß wir uns auf der anderen Seite
der Alpen befänden. ö
In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Back-
fiſches ledig. Als wir uns aus dem Omnibus Einer
nach dem Andern entwickelten, ſtand ein Herr bereit:
„Sind Sie Fräulein Müller?“ (Meier, Schulze oder
Schmidt, ſo ungefähr klang der Name). „Ja, ich bin es
Und damit fiel die junge Dame in verwandſchaftliche
Arme.
Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der
Bahn bis Mailand weiter und direct ins Hotel Reich-
mann. ö
Ich ſchließe nun dieſen Brief nicht von Mailand aus,
ſondern von Brindiſi, wo wir geſtern Abend um 10 Uhr
anlangten. Von den anderen Herren iſt bis jetzt Nie-
mand hier, wahrſcheinlich ſind Alle wegen des Cholera-
Gerüchts über Trieſt gegangen. Zu meiner Freude hörte
ich aber bereits geſtern, daß ſtatt der Cholera ſich nur
eine ſtarke Dyſſenterie zeige. Ich werde alſo, da die
Quarantäne nicht verſchärft iſt, eher, als alle Uebrigen
in Alexandria ankommen, mindeſtens aber eben ſo früh.
* 2.
*
Brindiſi, 22. November 1873.
Wahrſcheinlich werden dieſe Briefe dicht nacheinander
kommen, aber dann wird wohl eine längere Pauſe ein-
treten, obwohl ich gleich aus Alexandria ſchreiben werde.
In meinem letzten Briefe haſt Du genaue Nachrichten
bis Mailand erhalten. Die Thor-Duane der Stadt war
nicht ſo coulant, als die an der Grenze, mitten auf der
Straße mußte ich meinen kleinen Koffer öffnen. Wenn
doch dieſes Uebel erſt beſeitigt wäre! Warum nehmen
ſich die großen Mächte nicht ein Beiſpiel an der kleinen
Schweiz, welche ohne Viſitation an allen Grenzen alle
Reiſende mit ihrer Bagage paſſiren läßt. Dazu kommt
noch, daß man in ganz Italien, wie auch in Frankreich
(wie Bismarck ſagt) zum Packet wird. Sobald man
ſein Billei gelöſt hat und den Warteſaal betritt, iſt man
der Außenwelt abgeſchnitten. Ein Reiſender, mit dem
ich über dieſe für die Reiſenden ſo langweilige Maßre-
gel ſprach, meinte, bald würde in Deutſchland, wenn der
Verkehr auf den Bahnhöfen bedeutender würde, auch dieſe
Maßregel eingeführt werden; als ob Deutſchland von
Reiſenden nicht den meiſten Verkehr hätte! Ich glaube,
blos die Thüringer Bahn befördert im Jahr an Paſſa-
gieren und Gütern zehn Mal mehr, als die Weltlinie
Brindiſi—Bologna, und doch wird nirgends der Perron
abgeſperrt.n)
Das Hotel Reichmann hat, ſeitdem ich zuletzt im
Jahre 1870 dort logirte, bedeutend gewonnen. Jetzt ſind
in der That alle Diener und Kellner Deutſche; gleich
im Treppenhauſe ſindet man die Coloſſalbüſte unſeres
Kaiſers; im fremden Lande ein erhebendes Gefühl für
den Deutſchen. Ich bekam ein ſehr hübſches Zimmer,
beſuchte dann den Dom (mit Noôl, was verurſachte, daß
wir immer einen Schwarm von Menſchen hinter uns.
hatten), die großartige Paſſage, die ſchönſte von
Europa, das Cavourdenkmal ꝛc. und um 6 Uhr ging's
zu Tiſch.
Einſchalten muß ich hier, daß ich jetzt um 5 Uhr
Abends bei offenem Fenſter ſitze und, ohne kalt zu ha-
ben, ſchreiben kann. Glückliches Italien, aber das eigent-
liche, ewig warme Klima beginnt erſt bei Foggia oder.
Bari.
Abends 10 Uhr verließen wir Mailand, um ohne
Unterbrechung bis geſtern Abend 10 Uhr hierher zu fah-
ren. Auf dieſer großen Route, auf der die engliſche
Mail von Oſtiendien befördert wird und welche ebenſo
wichtig iſt, wie die von Paris —Berlin —Petersburg oder
die von New⸗Vork —St. Francisco, merkt man aber recht,
wie weit in jeder civiliſatoriſchen Beziehung Italien noch
zuruck iſt; man merkt auf Schritt und Tritt, wohin
Pfaffenwirthſchaft ein begabtes Volk, das im Beſitze des
ſchönſten Landes von Europa iſt, hat bringen können.
Da iſt der Aufenthalt, der doch bei einem ſo lange dauern-
den Courierzuge den Reiſenden gewährt werden muß,
ſchlecht geregelt, die Waggons ſind faſt ſo ſchmierig, wie
die der ägyptiſchen Bahnen, alle Augenblick wird Einem
das Billet abgefordert, die Reſtaurationen ſind ſchlecht
und theuer, kurzum Alles iſt miſerabel In Foggia, wo
man um 4 Uhr Nachmittags Zeit hat zu eſſen, bekamen
wir ein Stückchen Fleiſch, ſo groß wie mein Handteller
ſo dick wie ein Buchdeckel: Roaſtbeef wurde es benannt,
indeß war es wenigſtens zäh und ſehr trocken, aber die
dazu gegebenen Kartoffeln höchſtens acht Tage alt, d. h.
vor ca. 8 Tagen abgebrüht. ö
In Brindiſi iſt aber ein vorzügliches Hotel, das des
Indes orientales Die Abſicht, in eine Locanda zu gehen
gab ich auf, da ein italieniſcher Reiſegefährte mir unter-
wegs ſagte, man bekäme dort unfehlbar pedocchi, d. h.
die Thierchen, welche die Franzoſen im Gegenſatze zu den
Flöhen, der leichten Cavallerie, die ſchwere nenuen. Näher
brauche ich dieſe menſchenfreundlichen Thierchen wohl
nicht bezeichnen. Ich dachte aber, es iſt noch früh genug,
wenn man ſich ihrer in Afrika nicht wird erwähren kön-
nen, dann muß man mit ihnen haushalten.
Komiſch war mir die Extravaganz der italieniſchen
Damen in den neueſten Moden: Fußhohe Chignons al-
ler möglichen Formen, ſelbſt die Hörner der Pulo-
Frauen⸗), die Wulſte der Mandara-Damen“ r) ſind
nicht ausgeſchloſſen; ich glaube, keine Damen der Welt
entwickeln ſo viel Phantaſie in der Herſtellung aller nur
möglichen Haartouren, als die ſchönen Milaneſerinnen.
6) Auch di im Königreiche Sachſen z. B., wo im
Jahre 1872Jabbein auf den Staatsbahnen 9469029 Perſonen be-
fördert wurden. ö
Kl ö 4991 Inſeln
) Eingeborene der hinterindiſchen Inſeln.
E*) Mandara iſt eine Landichaft in Nordamerika, welche
von einem eigenthümlichen Negervolke von übrigens ausg ezeichne-
ter Körperbildung bewohnt wird. 1 —
*
namentlich froh wegen meiner Patronen, die ich ja gern
verſteuert hätte, von denen ich aber fürchten mußte, ſie
würden confiscirt werden.
Bald erreichten wir die ſüdliche Schneegrenze und in
ebenſo guten Poſtkutſchen gings weiter. Den herrlichen
Punkt, wo ein Gießbach ins Thal hinab brauſt und wo
man der Ausſicht halber eigends eine Art Kanzel erbaut
hat, von der man die ſchönſte Ausſicht genießen kann,
paſſirten wir noch eben bei Licht dann noch eine halbe
Stunde das ſchönſte Alpenglühen, wie ich es nie leuch-
tender und intenſiver geſehen habe, und tiefe Nacht ſenkte
ſich dann auf uns herab. Nach zwei Stunden, d. h. um
6½ Uhr Abends, waren wir in Chiavenna.
Das Holel zur Poſt, von dem Hrn. Schreiber gehalten, iſt
berühmt in ganz Italien und auch wir konuten mit dem
Nachtmahl, welches uns aufgetiſcht wurde, nur zufrieden
ſein, ja das Lob ſeines guten Valtelliner machte, daß er
uns noch eine Extra-Flaſche, natürlich für unſer Geld,
heraufholte. Wir ſchieden um 10 Uhr als gute Freunde
(im ganzen Hotel iſt nur deutſche Bedienung) und wei-
ter gings bis Colico, welchen Ort wir um 1Uhr Nachts
erreichten. In Colico ſelbſt wurde nur umgeiaden in ei-
nen anderen Wagen, der nach Lecco beſtimmt war.
Auf dieſer ſchönen Tour längs des Lago di Como,
die ich übrigens zu Lande ſchon einmal, zur See ſchon
mehrere Mal gemacht habe, merkten wir nun zwar nichts
von den Reizen der Natur, aber die milderen Lüfte und
zur Seite des Weges die belaubten Olivenbäume bekun-
deten auch ſo genug, daß wir uns auf der anderen Seite
der Alpen befänden. ö
In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Back-
fiſches ledig. Als wir uns aus dem Omnibus Einer
nach dem Andern entwickelten, ſtand ein Herr bereit:
„Sind Sie Fräulein Müller?“ (Meier, Schulze oder
Schmidt, ſo ungefähr klang der Name). „Ja, ich bin es
Und damit fiel die junge Dame in verwandſchaftliche
Arme.
Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der
Bahn bis Mailand weiter und direct ins Hotel Reich-
mann. ö
Ich ſchließe nun dieſen Brief nicht von Mailand aus,
ſondern von Brindiſi, wo wir geſtern Abend um 10 Uhr
anlangten. Von den anderen Herren iſt bis jetzt Nie-
mand hier, wahrſcheinlich ſind Alle wegen des Cholera-
Gerüchts über Trieſt gegangen. Zu meiner Freude hörte
ich aber bereits geſtern, daß ſtatt der Cholera ſich nur
eine ſtarke Dyſſenterie zeige. Ich werde alſo, da die
Quarantäne nicht verſchärft iſt, eher, als alle Uebrigen
in Alexandria ankommen, mindeſtens aber eben ſo früh.
* 2.
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Brindiſi, 22. November 1873.
Wahrſcheinlich werden dieſe Briefe dicht nacheinander
kommen, aber dann wird wohl eine längere Pauſe ein-
treten, obwohl ich gleich aus Alexandria ſchreiben werde.
In meinem letzten Briefe haſt Du genaue Nachrichten
bis Mailand erhalten. Die Thor-Duane der Stadt war
nicht ſo coulant, als die an der Grenze, mitten auf der
Straße mußte ich meinen kleinen Koffer öffnen. Wenn
doch dieſes Uebel erſt beſeitigt wäre! Warum nehmen
ſich die großen Mächte nicht ein Beiſpiel an der kleinen
Schweiz, welche ohne Viſitation an allen Grenzen alle
Reiſende mit ihrer Bagage paſſiren läßt. Dazu kommt
noch, daß man in ganz Italien, wie auch in Frankreich
(wie Bismarck ſagt) zum Packet wird. Sobald man
ſein Billei gelöſt hat und den Warteſaal betritt, iſt man
der Außenwelt abgeſchnitten. Ein Reiſender, mit dem
ich über dieſe für die Reiſenden ſo langweilige Maßre-
gel ſprach, meinte, bald würde in Deutſchland, wenn der
Verkehr auf den Bahnhöfen bedeutender würde, auch dieſe
Maßregel eingeführt werden; als ob Deutſchland von
Reiſenden nicht den meiſten Verkehr hätte! Ich glaube,
blos die Thüringer Bahn befördert im Jahr an Paſſa-
gieren und Gütern zehn Mal mehr, als die Weltlinie
Brindiſi—Bologna, und doch wird nirgends der Perron
abgeſperrt.n)
Das Hotel Reichmann hat, ſeitdem ich zuletzt im
Jahre 1870 dort logirte, bedeutend gewonnen. Jetzt ſind
in der That alle Diener und Kellner Deutſche; gleich
im Treppenhauſe ſindet man die Coloſſalbüſte unſeres
Kaiſers; im fremden Lande ein erhebendes Gefühl für
den Deutſchen. Ich bekam ein ſehr hübſches Zimmer,
beſuchte dann den Dom (mit Noôl, was verurſachte, daß
wir immer einen Schwarm von Menſchen hinter uns.
hatten), die großartige Paſſage, die ſchönſte von
Europa, das Cavourdenkmal ꝛc. und um 6 Uhr ging's
zu Tiſch.
Einſchalten muß ich hier, daß ich jetzt um 5 Uhr
Abends bei offenem Fenſter ſitze und, ohne kalt zu ha-
ben, ſchreiben kann. Glückliches Italien, aber das eigent-
liche, ewig warme Klima beginnt erſt bei Foggia oder.
Bari.
Abends 10 Uhr verließen wir Mailand, um ohne
Unterbrechung bis geſtern Abend 10 Uhr hierher zu fah-
ren. Auf dieſer großen Route, auf der die engliſche
Mail von Oſtiendien befördert wird und welche ebenſo
wichtig iſt, wie die von Paris —Berlin —Petersburg oder
die von New⸗Vork —St. Francisco, merkt man aber recht,
wie weit in jeder civiliſatoriſchen Beziehung Italien noch
zuruck iſt; man merkt auf Schritt und Tritt, wohin
Pfaffenwirthſchaft ein begabtes Volk, das im Beſitze des
ſchönſten Landes von Europa iſt, hat bringen können.
Da iſt der Aufenthalt, der doch bei einem ſo lange dauern-
den Courierzuge den Reiſenden gewährt werden muß,
ſchlecht geregelt, die Waggons ſind faſt ſo ſchmierig, wie
die der ägyptiſchen Bahnen, alle Augenblick wird Einem
das Billet abgefordert, die Reſtaurationen ſind ſchlecht
und theuer, kurzum Alles iſt miſerabel In Foggia, wo
man um 4 Uhr Nachmittags Zeit hat zu eſſen, bekamen
wir ein Stückchen Fleiſch, ſo groß wie mein Handteller
ſo dick wie ein Buchdeckel: Roaſtbeef wurde es benannt,
indeß war es wenigſtens zäh und ſehr trocken, aber die
dazu gegebenen Kartoffeln höchſtens acht Tage alt, d. h.
vor ca. 8 Tagen abgebrüht. ö
In Brindiſi iſt aber ein vorzügliches Hotel, das des
Indes orientales Die Abſicht, in eine Locanda zu gehen
gab ich auf, da ein italieniſcher Reiſegefährte mir unter-
wegs ſagte, man bekäme dort unfehlbar pedocchi, d. h.
die Thierchen, welche die Franzoſen im Gegenſatze zu den
Flöhen, der leichten Cavallerie, die ſchwere nenuen. Näher
brauche ich dieſe menſchenfreundlichen Thierchen wohl
nicht bezeichnen. Ich dachte aber, es iſt noch früh genug,
wenn man ſich ihrer in Afrika nicht wird erwähren kön-
nen, dann muß man mit ihnen haushalten.
Komiſch war mir die Extravaganz der italieniſchen
Damen in den neueſten Moden: Fußhohe Chignons al-
ler möglichen Formen, ſelbſt die Hörner der Pulo-
Frauen⸗), die Wulſte der Mandara-Damen“ r) ſind
nicht ausgeſchloſſen; ich glaube, keine Damen der Welt
entwickeln ſo viel Phantaſie in der Herſtellung aller nur
möglichen Haartouren, als die ſchönen Milaneſerinnen.
6) Auch di im Königreiche Sachſen z. B., wo im
Jahre 1872Jabbein auf den Staatsbahnen 9469029 Perſonen be-
fördert wurden. ö
Kl ö 4991 Inſeln
) Eingeborene der hinterindiſchen Inſeln.
E*) Mandara iſt eine Landichaft in Nordamerika, welche
von einem eigenthümlichen Negervolke von übrigens ausg ezeichne-
ter Körperbildung bewohnt wird. 1 —
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