Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Mittwoch, den 18. März.
Co mödie.
Eulturbild aus dem vorigen Jahrhundert.
Von Otto Sigl.
(Schluß.)
VI.
„Biſt juft wie Richard!“ rief der Graf unwillig aus
„Was liegt dir daran, wenn eine achtbare Familie un-
glücklich wird. O das iſt herzlos, Philomene!“ ͤ
„Sie fanden doch einſt, Papa, daß ich zuviel Herz
hätte und haben mich durch eine geſchickte Operation von
dieſem Ueberfluß gründlich befreit!“ entgegnete Philomene
mit ſchneidender Stimme. ö
„Nichts davon, ma fllle, erinnere mich nicht an dieſe
Vergangenheit!“ wehrte der Graf ab. „Wollen die triste
Angelegenheit vollends ins Reine bringen. Die Sache
hat ihren Lauf, ob ich mich ſträube oder nicht, darüber
iſt leider kein Zweifel. Aber wie die Verlobung mit
Anna zurücknehmen? Bin nicht im Stande, es den Stei-
ners mitzutheilen, könnte den Anblick der braven Leute
nicht ertragen!“ 2
„Das ſollen Sie auch nicht, Papa. Ueberlaſſen Sie
mir dieſe Sorge; ich will heute noch zur Stadt fahren
und den Patrizier von dem Unvermeidlichen verſtändigen
Was die Rechtsförmlichkeiten anbelangt, mögen Sie mor-
gen Ihren Kanzleidirektor anweiſen, daß er mit Steiners
ſich abfindet. Iſt's Ihnen genehm, Papa, dann werde ich
in einer Stunde unterwegs ſein!“ ö
„Muß ja ſein — ſo ſei's in Gottes Namen gleich
heute!“ ſtieß der Graf hervor und mit bewegter Stimme
ſetzte er hinzu: „Wenn Dir eine Bitte des Vaters noch
etwas gilt, ma fille: Sei ſo ſchonend als möglich mit den
braven Leuten. Ich geſtehe es, habe ſie wirklich lieb ge-
wonnen!“
„Unbeſorgt, Papa, Sie werden zufrieden mit mir
ſein“, erwiderte die Gräfin. Nach einer Stunde fuhr ſie
nach Grünheim. Der Reichsgraf ſtieg zu Pferde, um auf
der Jagd Zerſtreuung zu ſuchen.
Ende.
Im Patrizierhaus gab es zahlreichen Beſuch; Anna's
Ausſteuer war fertig geworden, und die Baſen und
Freundinnen fanden ſich ein, um die Herrlichkeiten anzu-
ſtaunen, von denen man ſo viel Wunders ſich er-
zählte. ö
Wir verzichten darauf, alle die prächtigen Sachen
nur zu benennen, welche ein paar geräumige Zimmer im
Erdgeſchoß faſt bis zur Decke anfüllten. In der Zeit
als Urgroßvater die Urgroßmutter nahm, hielt man in
guten Häuſern noch darauf, die Tochter in nöthigen und
Luxusdingen ſo reichlich auszuſtatten, daß der nächſten
wöene en ſogar noch manches Ungebrauchte zu Gute
am. ö
IJeder, auch der kleinſte Gegenſtand von Annas Aus-
ſteuer trug die Grafenkrone zierlich geſtickt oder gemacht
und wo es nur irgend thunlich, namentlich an den Meu-
bles, welche nach Steiners Angaben gefertigt wurden,
war das gräfliche Wappen in Allianz mit dem von Stei-
ner'ſchen in Gold und Farben angebracht.
Mit einer Genugthuung, welche ſie für die gehabte
Mühe vollauf belohnte, führte Frau Katharina die Be-
wunderten umher.
Anna war inmitten dieſer ſchönen Sachen, der ſtum-
men Zeugen ihres künftigen Glücks, eine reizende, ſelige
Braut.
Das Rollen eines Wagens lockte die Mädchenwelt
ans Fenſter. „Es iſt eine Hohentann'ſche Karoſſe“, hieß
es. „Mein Gott, am Ende iſt's ſchon Richard!“ ſchrie
Anna auf und freudige Erwartung machte ihr alles Blut
zum Herzen ſtrömen.
Arme Anna! Das war der letzte Lichtblick in ihrem
fortan ſo düſtern Leben!
„Nein, nein, es iſt eine Dame im Wagen!“ riefen
die Mädchen. „Gräfin Philomene!“ ſeufzte Anna ent-
täuſcht. Steiner ward ſchnell gerufen und kam eben recht,
um der Gräfin aus dem Wagen zu helfen. Philomene
war ſehr bleich; ſie hatte weiße Schminke aufgelegt, um
ihrer Sendung gemäß angegriffen auszuſehen. Mit kur-
zer Höflichkeit erwiderte ſie die Begrüßung von Seite
Annas und ihrer Mutter, dann wandte ſie ſich zu Herrn
Tobias: „Darf ich um eine Unterredung unter vier Augen
bitten, Herr von Steiner?“ Der Patrizier geleitete ſeinen
Beſuch ins Prunkzimmer.
„Welch beſonderem Umſtand verdanke ich das Glück,
gnädigſtes Fräulein Gräfin in meinem Haus zu ſehen?“
fragte Steiner.
Gräfin Philomene hatte die Maske der Theilnahme
vorgenommen. ö
Sie ſenkte bekümmernd das Haupt und erwiderte mit
bebender Stimme:
„Was mich in Ihr Haus geführt, Herr von Steiner,
iſt ſo betrübend, daß ich vergebens nach Worte ringe, es
auszuſprechen!“ ö
„Sie erichrecken mich, gnädigſte Gräfin; es iſt doch
auf Friedrichsluſt nichts vorgefallen, ſollte Seiner Er-
laucht etwas zugeſtoßen ſein?“
„Ach nein, Papa iſt wohl, aber bekümmert wie ich?“
„Mon dieu, haben Sie am Ende ſchlimme Nachricht
vom Graf Richard?“
„Sie haben es ausgeſprochen, Herr von Steiner,
ſchlimme, unſelige Botſchaft! Hören Sie mich an, mein
beſter Herr von Steiner, und nehmen Sie im Voraus
von meinem Papa und mir die aufrichtigſte Verſiche-
rung, daß wir an dem Vorgefallenen völlig ſchuldlos
ſind.“
„Was werde ich hören müſſen, ich bin wie auf der
Folter!“ rief der Patrizier von Unruhe aus.
„Sie ſind ein Mann, der das Schlimmſte zu ertra-
gen gefaßt iſt, ich will Sie nicht länger in Ungewißheit
laſſen. Mein Bruder Richard — o Jammer, daß ich es
ausſprechen muß — hat treulos an Ihrer Tochter gehan-
delt, er hat ſeine heiligen Schwüre vergeſſen — und ſich
mit einer Anderen verlobt!“ Nach dieſen Worten preßte
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Mittwoch, den 18. März.
Co mödie.
Eulturbild aus dem vorigen Jahrhundert.
Von Otto Sigl.
(Schluß.)
VI.
„Biſt juft wie Richard!“ rief der Graf unwillig aus
„Was liegt dir daran, wenn eine achtbare Familie un-
glücklich wird. O das iſt herzlos, Philomene!“ ͤ
„Sie fanden doch einſt, Papa, daß ich zuviel Herz
hätte und haben mich durch eine geſchickte Operation von
dieſem Ueberfluß gründlich befreit!“ entgegnete Philomene
mit ſchneidender Stimme. ö
„Nichts davon, ma fllle, erinnere mich nicht an dieſe
Vergangenheit!“ wehrte der Graf ab. „Wollen die triste
Angelegenheit vollends ins Reine bringen. Die Sache
hat ihren Lauf, ob ich mich ſträube oder nicht, darüber
iſt leider kein Zweifel. Aber wie die Verlobung mit
Anna zurücknehmen? Bin nicht im Stande, es den Stei-
ners mitzutheilen, könnte den Anblick der braven Leute
nicht ertragen!“ 2
„Das ſollen Sie auch nicht, Papa. Ueberlaſſen Sie
mir dieſe Sorge; ich will heute noch zur Stadt fahren
und den Patrizier von dem Unvermeidlichen verſtändigen
Was die Rechtsförmlichkeiten anbelangt, mögen Sie mor-
gen Ihren Kanzleidirektor anweiſen, daß er mit Steiners
ſich abfindet. Iſt's Ihnen genehm, Papa, dann werde ich
in einer Stunde unterwegs ſein!“ ö
„Muß ja ſein — ſo ſei's in Gottes Namen gleich
heute!“ ſtieß der Graf hervor und mit bewegter Stimme
ſetzte er hinzu: „Wenn Dir eine Bitte des Vaters noch
etwas gilt, ma fille: Sei ſo ſchonend als möglich mit den
braven Leuten. Ich geſtehe es, habe ſie wirklich lieb ge-
wonnen!“
„Unbeſorgt, Papa, Sie werden zufrieden mit mir
ſein“, erwiderte die Gräfin. Nach einer Stunde fuhr ſie
nach Grünheim. Der Reichsgraf ſtieg zu Pferde, um auf
der Jagd Zerſtreuung zu ſuchen.
Ende.
Im Patrizierhaus gab es zahlreichen Beſuch; Anna's
Ausſteuer war fertig geworden, und die Baſen und
Freundinnen fanden ſich ein, um die Herrlichkeiten anzu-
ſtaunen, von denen man ſo viel Wunders ſich er-
zählte. ö
Wir verzichten darauf, alle die prächtigen Sachen
nur zu benennen, welche ein paar geräumige Zimmer im
Erdgeſchoß faſt bis zur Decke anfüllten. In der Zeit
als Urgroßvater die Urgroßmutter nahm, hielt man in
guten Häuſern noch darauf, die Tochter in nöthigen und
Luxusdingen ſo reichlich auszuſtatten, daß der nächſten
wöene en ſogar noch manches Ungebrauchte zu Gute
am. ö
IJeder, auch der kleinſte Gegenſtand von Annas Aus-
ſteuer trug die Grafenkrone zierlich geſtickt oder gemacht
und wo es nur irgend thunlich, namentlich an den Meu-
bles, welche nach Steiners Angaben gefertigt wurden,
war das gräfliche Wappen in Allianz mit dem von Stei-
ner'ſchen in Gold und Farben angebracht.
Mit einer Genugthuung, welche ſie für die gehabte
Mühe vollauf belohnte, führte Frau Katharina die Be-
wunderten umher.
Anna war inmitten dieſer ſchönen Sachen, der ſtum-
men Zeugen ihres künftigen Glücks, eine reizende, ſelige
Braut.
Das Rollen eines Wagens lockte die Mädchenwelt
ans Fenſter. „Es iſt eine Hohentann'ſche Karoſſe“, hieß
es. „Mein Gott, am Ende iſt's ſchon Richard!“ ſchrie
Anna auf und freudige Erwartung machte ihr alles Blut
zum Herzen ſtrömen.
Arme Anna! Das war der letzte Lichtblick in ihrem
fortan ſo düſtern Leben!
„Nein, nein, es iſt eine Dame im Wagen!“ riefen
die Mädchen. „Gräfin Philomene!“ ſeufzte Anna ent-
täuſcht. Steiner ward ſchnell gerufen und kam eben recht,
um der Gräfin aus dem Wagen zu helfen. Philomene
war ſehr bleich; ſie hatte weiße Schminke aufgelegt, um
ihrer Sendung gemäß angegriffen auszuſehen. Mit kur-
zer Höflichkeit erwiderte ſie die Begrüßung von Seite
Annas und ihrer Mutter, dann wandte ſie ſich zu Herrn
Tobias: „Darf ich um eine Unterredung unter vier Augen
bitten, Herr von Steiner?“ Der Patrizier geleitete ſeinen
Beſuch ins Prunkzimmer.
„Welch beſonderem Umſtand verdanke ich das Glück,
gnädigſtes Fräulein Gräfin in meinem Haus zu ſehen?“
fragte Steiner.
Gräfin Philomene hatte die Maske der Theilnahme
vorgenommen. ö
Sie ſenkte bekümmernd das Haupt und erwiderte mit
bebender Stimme:
„Was mich in Ihr Haus geführt, Herr von Steiner,
iſt ſo betrübend, daß ich vergebens nach Worte ringe, es
auszuſprechen!“ ö
„Sie erichrecken mich, gnädigſte Gräfin; es iſt doch
auf Friedrichsluſt nichts vorgefallen, ſollte Seiner Er-
laucht etwas zugeſtoßen ſein?“
„Ach nein, Papa iſt wohl, aber bekümmert wie ich?“
„Mon dieu, haben Sie am Ende ſchlimme Nachricht
vom Graf Richard?“
„Sie haben es ausgeſprochen, Herr von Steiner,
ſchlimme, unſelige Botſchaft! Hören Sie mich an, mein
beſter Herr von Steiner, und nehmen Sie im Voraus
von meinem Papa und mir die aufrichtigſte Verſiche-
rung, daß wir an dem Vorgefallenen völlig ſchuldlos
ſind.“
„Was werde ich hören müſſen, ich bin wie auf der
Folter!“ rief der Patrizier von Unruhe aus.
„Sie ſind ein Mann, der das Schlimmſte zu ertra-
gen gefaßt iſt, ich will Sie nicht länger in Ungewißheit
laſſen. Mein Bruder Richard — o Jammer, daß ich es
ausſprechen muß — hat treulos an Ihrer Tochter gehan-
delt, er hat ſeine heiligen Schwüre vergeſſen — und ſich
mit einer Anderen verlobt!“ Nach dieſen Worten preßte