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Heidelberger Familienblätter — 1874

DOI Kapitel:
No. 61 - No. 69 (1. August - 29. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43704#0250

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Dieſe gleichgültige Weiſe brachte Arthur von Sinnen.
„O ja!“ erwiderte er, „Sie hören! und dabei — prüfen
Sie, was die Dankbarkeit des Prinzen Ihnen gab! Bei
Gott! mein Fräulein, meine Erkenntlichkeit wird nicht

minder groß und — — werthvoll ſein, als die des

Prinzen!“
Mathildens dunkles Auge flammte jäh empor, doch
nur einen Augenblick, dann entgegnete ſie lächelnd: „Sie
ſind nicht beſcheiden, Graf. Ich denke, der Werth, welchen
man auf die Erkenntlichkeit einer Perſon legt, hängt ledig-
lich von der Theilnahme für dieſe Perſon ſelbſt ab.“ —
„Und Ihre Theilnahme für den Prinzen iſt groß?!
Verzeihen Sie, ich vergaß das,“ unterbrach Arkhur
ſpöttiſch.
„Meine Theilnahme für ihn iſt unbegrenzt, Herr
Graf!
war ein Moment in meinem Leben, da ſtand ich allein,
freundlos, ohne Eltern, ohne Vermögen, ohne Fähigkeiten
meinen Unterhalt zu erwerben. Mein Geiſt war gelähmt,
mein Herz zertrteten; die Erfahrungen und der Schmerz
eines Menſchendaſeins lagen hinter mir, — und ich war
ſechszehn Jahre alt. In dieſer hülfloſen Lage war der
Prinz, ein ſehr entfernter Verwandter, mein Retter! Er
ſprach mir Muth und Hoffnung ein zu leben; er gab
mir die Mittel, mich zur Bühne auszubilden, und hat
ſich mir von jener Stunde an in zahlloſen Fällen als
Freund bewieſen — —“ ö
Der Graf ſenkte düſter die Stirn; die zuſammen-
gepreßten Lippen verriethen, wie ſchmerzlich ihn der Ver-

gleich mit ſeinem Gegner berühre; er hatte ſie ſchamlos

verlaſſen, während der Prinz — —. Mathilde unterbrach
ſich plötzlich. „Aber da erzähle ich Ihnen meine Erleb-
niſſe, ich wollte ja nur Ihren Wunſch erfahren.“

„Prinz Friedrich muß Rüſing verlaſſen!“ ſagte Arthur

entſchteden. „Helfen Sie mir dazu, Mathilde, Sie ſind

die Einzige, welche hier Einfluß hat, auf die Herzogin

und auf den Prinzen. Suchen Sie letzteren zu über-
reden, daß er ſich entfernt; er wird ja leicht die Prinzeſſin
an einem anderen Orte treffen können! Iſt er unbeug-
ſam, — ſo vermögen Sie Sophie Clotilde, ihn zu ver-
bannen.“
„Sie reden im Fieber, Graf!“ unterbrach Mathilde,
mit dem koſtbaren Bouquet ſpielend, „ich bitte Sie, wes-
halb ſollte ich das thun? Meinen Freund verrathen um
eines Fremden willen?!“ ö
„Ein Fremder? Mathilde! — im Ernſt, ſelbſt die
die Erinnerungen könnten Sie verleugnen?“ ö
„Welche Erinnerung? Ich lernte Sie vor einigen
Tagen im Salon Ihrer Hoheit kennen; Ihnen vordem
jemals begegnet zu ſein, kann ich mich wirklich nicht ent-
ſinnen.“ ö ö
Der Graf wurde todtenbleich; „Sie ſind mehr als
hart,“ brachte er mühſam hervor. „Nicht ein Wort des
Haſſes, nur Verachtung für mich — — — bei Gott!
was ich opferte, wie ich litt! — doch ſtill! vorbei, vor-
bei! — Mathilde, ich bitte nicht um meinetwillen! aber um
meiner armen Schweſter willen, welche Sie niemals be-
leidigte, für die ſie ſtets ein großmüthiges Intereſſe heg-
ten, — laſſen Sie die Comteſſe nicht ſein Ofer werden!“
„Das Opfer geſellſchaftlicher Vorurtheile, wollen Sie
ſagen Graf! Weshalb ſoll gerade ich für ſie ein ſolches
Mitleid haben?“
„Erbarmen! Begreifen Sie denn nicht, wie ich lei-
den muß, daß ich als Bettler vor Ihnen ſtehe? Ich habe
mich dennoch überwunden! Helenens Leben häugt ja von
ſeiner Entfernung ab,“ flehte Arthur dringend.
„Und des Prinzen Zukunft von dem Erfolge ſeines
Aufenthaltes hier.“ ö

„Sie ſchlagen mir dieſe Bitte unwiderruflich ab?“

— 22 —

letztes Wort!

Warum ſollt' ich es leugnen? Sehen Sie, es

„So gern ich: Sie verpflichtet hätte, Graf; Sie ſe-

hen ſelbſt, daß es unmöglich iſt. Ich kann nicht zum

Verräther an dem Freunde werden.“
Arthur erhob ſich ſchnell. „So hören Sie mein
Sie opfern Helene dem Heirathsproject
des Prinzen, — aber bei Gott! wenn er Rüſing nicht
verläßt, ſo werde ich dieſen Plan, an welchem Ihr Herz
hängt, durchkreuzen. Prinzeß Ulrike ſoll die Geſchichte
Helenens erfahren, und noch weit mehr! Ich zweifle
denn doch, daß die Verbindung zu Stande kommt, wenn
ſie und Sophie Clotilde von den liebenswürdigen Aben-
teuern des Prinzen unterrichtet ſind!“

CFortſetzung folgt.)

Im Hochgrebirge verirrt.

Schluß.

Ich bekam ihn auch den ganzen Nachmittag, den ich
in ziemlicher Langeweile verbrachte, nicht mehr zu ſehen.
Erſt Abends erſchien er anſcheinend ruhig, wie ſonſt, als
ob gar nichts vorgefallen wäre. Einen Groll wider mich
ſchien er nicht zu hegen, denn er hörte meinen Geſprächen
und Erzählungen, mit denen ich über den Abend hinweg
zu kommen ſuchte, wieder mit ſichtlichem Intereſſe zu, ohne
indeß ein Wort mehr zu ſprechen. Trotzdem gelang es
mir nicht, einer gewiſſen unbehaglichen Stimmung, welche
die Nachmittagsſcene hervorgerufen hatte, Herr zu werden
und ſo ſchloß ich denn Abends die Augen mit dem herz-
innigen Wunſche, es möge über Nacht der verhängnißvolle
Nebel ſich empfehlen — ich ſehnte mich nach Menſchen.
Es ſollte anders kommen. Um Mitternacht unge-
fähr wurde ich durch ein eigenthümliches Geräuſch geweckt.
Mein Schlafkamerad, der, wie es ſchien in voller Geſund-
heit ſein Lager aufgeſucht hatte, warf ſich wie in wüthen-

den Krämpfen auf demſelben hin und her, wobei er von

Zeit zu Zeit in dumpfen Tönen ächzte, wimmerte, ſeufzte.
Das Alles klang ſo unheimlich, daß ich mich mit einem
raſchen „Was gibt's?“ erhob. Keine Antwort. Eine lange
Minute war Alles ſtill; ich hörte nur ſchwere Athemzüge;

er ſchien einen großen Schmerz gewaltſam zu unterdrücken.

Bald aber begann das Aechzen wieder, nur ein wenig ge-
dämpfter. Da ſprang ich auf und machte Licht. Beim
Scheine deſſelben ſah ich das Geſicht meines Wirthes tod-
tenbleich, ſchmerzverzerrt, die Fäuſte geballt, die Füße ein-
gezogen, den Körper in gekrümmter Lage, ſich beſtändig

drehend und windend — ein Anblick, bei dem mir's kalt

über den Rücken lief.
Er wollte ſprechen, das war ihm anzumerken; aber
er vermochte nur zu ächzen und zu ſtöhnen, wobei von
Zeit zu Zeit Schaum auf ſeine Lippen trat, mitunter die
Zähne ſichtbar wurden, einmal auch das Weiße der gräß-
lich verdrehten Augen. ö
Endlich brachte er mit ungeheurer Anſtrengung die
Worte hervor: „Löſcht das Licht aus. Geht ſchlafen. Ich
werde ſchon allein fertig.“ Das wollte ich nicht, ich wollte
helfen. Aber er deutete nochmals ſo energiſch auf den
flammenden Span, daß ich daraus ſchloß, er wolle durch-
aus im Dunkeln ſein und ihm den Willen that. Unge-
fähr eine Stunde noch dauerte das Stöhnen und Aechzen,
doppelt unheimlich zu hören im Dunkel der abgelegenen
Höhle, während ich auf dem Lager neben dem Schwer-
gepeinigten ſaß und vergebens auf Hilfe ſann.
Dann wurde er ruhig allmälig ruhig und immer ru-

higer. Nur ſein Athem ging ſchnell, ſchwer, unregelmäßig.
 
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