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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 61 - No. 69 (1. August - 29. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43704#0280

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— 272 —

Die Wege in der Nachbarſchaft des Schloſſes waren
ungewöhnlich leer; im Schritt ließen wir unſere Pferde
gehen; Skinner und Landells plauderten, ich ſelbſt war
mit meiner Telegramm⸗Angelegenheit beſchäftigt und er-
wog immer wieder hin und her, was wohl zu thun das
Beſte ſein würde. Es feſtigte ſich dabei in mir die
Ueberzeugung, daß es zu einer Verſtändigung kommen
müſſe, andernfalls ich gezwungen ſein würde, das Haupt-
quartier zu verlaſſen. Meine Gefährten, bei aller Sym-
pathie, die ſie mir bezeugten, nahmen die Sache minder
ſchwer, ſtimmten aber bei und billigten meine Entſchlüſſe.
Wir waren mittlerweile bis an die Biegung eines klei-

nen Sees gelangt, deſſen Spitze hier nach Satory hin

gerichtet iſt, und beſchloſſen nun umzukehren. Als wir,
im Zurückreiten, jene in unmittelbarer Nähe der Fontai-
nen gelegene Raſenfläche erreicht hatten, die, den Raum
zwiſchen dem Waſſer⸗Baſſin und der großen Teraſſe aus-
füllend, den Namen „Tapis Vert“ führt, rief Freund
Landells plötzlich: „Irr' ich nicht, ſo iſt das der Graf.“
In der That, kaum 400 Schritt in Front von uns, aber
mehr nach der kleinen Fontaine hin, wurden zwei Reiter
ſichtbar: erſichtlich ein Offizier in Begleitung einer Or-
donnanz, und mein ſcharfes Glas, das ich raſch benutzte,
belehrte mich unſchwer, daß der Offizier Graf Bismarck
war, derſelbe Mann, den ich zu ſehen wünſchte, und auf
dem Wege, zu dem ich mich eben befand. Ich trieb ſo-
fort mein Pferd an und ritt raſch vorwärts, um ihn
womöglich noch zu erreichen; die beiden Freunde folgten.
Ob er nun ſeinerſeits uns ebenfalls bemerkt und zugleich
wahrgenommen hatte, daß wir befliſſen waren, an ſeine
Seite zu kommen, vermag ich nicht zu ſagen, nur ſo viel
iſt gewiß, daß er ſeinem Pferde die Sporen gab, die
Esplanade oder Teraſſe zu erreichen trachtete, abſtieg, die
Zügel der Ordonnanz zuwarf und mit großen Schritten,
oft zwei, drei Stufer zu gleicher Zeit nehmend, die große
Freitreppe hinanſtieg, die zum Schloſſe führt. Hätte ich
nun den Fehler gemacht, meine Richtung auf denſelben
Esplanaden⸗Punkt hin zu nehmen, wo er abgeſtiegen

war, ſo würde ich ihn — bei nur bipedaler Durchſchnitts-

Statur, die mein Erbtheil iſt — nie und nimmer er-
reicht haben; raſch aber überzeugte ich mich, daß ich ihm
vielleicht die Flanke abgewinnen könne und einen ziem-
lich abſchüſſigen Kiesweg hinaufreitend, der zu einer
der kleiner Seitentreppen führt, gewann ich, abſpringend
und meinem Reitknecht die Sorge für mein Pferd über-
laſſend, wohl dreiviertel der Wegſtrecke, die mich vom
Grafen getrennt hatte. Ich erkannte ihn jetzt in aller
Deutlichkeit; er ſchritt auf die Schildwachen zu, die in
Front des großen Portales ſtanden; die Entfernung
zwiſchen ihm und mir betrug keine hundert Schritte
mehr.
unmöglich mich in Trab ſetzen oder wohl gar den Grafen
anrufen konnte — auch an dieſen hundert Schritten noch

geſcheitert, wenn nicht, plötzlich um eine Ecke biegend,

der amerikaniſche General Haſen, begleitet von dem Spi-
ritualiſten und Geiſterbeſchwörer Mr. Home, in Front
des Grafen erſchienen und an ihn herangetreten wäre.
Dieſe Herren zu vermeiden, war, in Rückſicht der guten
Beziehungen, die zu dem amerikaniſchen General obwal-
teten, unausführbar, und ſo wurden meinerſeits zwei
koſtbare Minuten gewonnen, die gerade ausreichten, mich
in demſelben Moment, wo dieſe Begrüßungsſcene endete,
an die Seite des Grafen zu führen.
„Darf ich,“ ſo begann ich, „Ew. Excellenz um we-
nige Augenblicke Gehör bitten?ꝰ
Er ſchien etwas überraſcht. Ich hatte ihn, mit Aus-

nahme einer flüchtigen Begegnung im Hotel des Reſer-

voirs, ſeit Reims nicht wiedergeſehen, wo er überaus
freundlich und huldvoll gegen mich geweſen war; auch

Dennoch wäre mein Vorhaben — da ich doch-

jetzt reichte er mir ſeine Hand, doch war unverkennbar-
etwas Reſervirtes in ſeiner ganzen Haltung. Dann ant-
wortete er: „Gewiß! was giebts?“ ö
„Ich muß eine Frage wegen eines Telegramms an
Ew. Excellenz richten, das ich eben durch Zufall geleſen
und das Ihre Namensunterſchrift trägt. Es beſagt, daß
mein Bericht über die Begegnung des Königs und des
Kaiſers der Franzoſen nach der Schlacht von Sedan un-
begründet ſei.“
„Ich habe mein Lebelang meinen Namen nicht unter
ein Zeitungstelegramm geſetzt.“ ö
„Aber hier ſteht er gedruckt.“ Dabei überreichte ich
ihm die Notiz, die ich aus dem „Standart“ ausgeſchnit-
ten hatte. ö
Er las die Notiz aufmerkſam und ſagte dann:
„Von mir iſt die Ermächtigung, dieſes Telegramm ab-
zuſchicken, nicht ausgegangen. Ich hätte Ausdrücke wie
ſie ſich hier vorfinden, niemals auf einen von Ihnen
geſchriebeneu Bericht angewendet, zum mindeſten nicht,

ohne Sie früher davon verſtändigt zu haben. Der Ge-

brauch meines Namens in dieſer Mittheilung war ein
unermächtigter. Laſſen Sie mir den Ausſchnitt hier.
Ich werde Erkundigungen einziehen.“ ö
„Somit darf ich dann wohl auf Ew. Excellenz Er-
mächtigung erklären, daß das der Reuter'ſchen Agentur
übermittelte Telegnamm ohne Ihr Wiſſen und Ihre Ge-
nehmigung erſchienen ſei?“ ö
Wir hatten mittlerweile, im Weiterſchreiten, den
Schloßhof erreicht, und der Graf, ſtatt meine Frage di-
rekt zu beantworten, erwiderte nur, mit einem Anfluge
von Humor: „Es iſt dann und wann unbequem, Be-
richte, wie den über die Zuſammenkunft in Schloß Belle-
vue, erſcheinen zu ſehen; Reſerve iſt nöthig.“

(Schluß folgt).

Verſchiedenes.

(Ein ſchlaues Mittel.) Vielfach ſind die
Klagen, welche über die übermäßig hohen Friſuren und
Hüte der Damen laut werden, weil ſie den hinter ihnen

ſitzenden Perſonen in den Theatern jede Ausſicht auf die

Bühne benehmen. Beſchwerden, Bitten, ſcharfe Satyre
— nichts vermochte aber dieſem Unfug zu ſteuern; im
Gegentheil: auf den eigenſinnigen Köpfen der ſchönen
Hälfte thürmten ſich die mit undefinirbaren Hüten ge-
krönten Haarberge immer mehr in die Höhe. Der Di-
rector einer franzöſiſchen Provinzialbühne hat endlich ein
Mittel gefunden, den in ihrer Schauluſt beeinträchtigten

Beſuchern ſeines Theaters zu ihrem Rechte zu verhelfen,

ohne hierbei die Damen zu verletzen. Da ſich das
Mittel als probat erwieſen hat, ſo glauben wir, dasſelbe
auch unſeren Theater⸗Directionen auf's Angelegentlichſte
empfehlen zu müſſen. Beſagter franzöſiſcher Bühnen-
leiter ließ nämlich auf die Theaterzettel folgendes Aviſo
ſetzen: „Die Direction des Theaters erſucht die hüb-
ſchen Damen, ihre Hüte abzunehmen. Die alten und
häßlichen können dieſelben aufbehalten.“ Von dieſem
Augenblicke an blieben alle Damenhüte in ihren Schran-
ken, ja einige alte Jungfern kamen ſogar ohne den minde-
ſten Haarſchmuck in's Theater.

(Fräulein Mutter.) Die Teplitzer Kurliſte mel-
det unter der Rubrik: Angekommene Badegäſte: „Herrn

Tomati di Baſſanti nebſt Fräulein Tochter mit Kind.—

Redaction, Druck und Verlag von Adolph Emm erling in Heidelberg.
 
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