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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 79 - No. 87 (3. October - 31. October)
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ſtrauß zu binden im Begriffe war. Im ganzen H
herrſchte eine ungewöhnliche Bewegung.
hatten die beſte Liorée angelegt, um den Sohn des Hau-
ſes, ihren nunmehrigen Herrn, würdig zu empfangen.
Der Gräfin ſelbſt war die Idee gekommen, den lieben
Ankömmling mit einem paſſenden und zugleich werthool-
len Geſchenke zu überraſchen. Was konnte es wohl da
für den jungen Soldaten Paſſenderes geben, als eine
ſchöne originelle Waffe, wovon ſich eine überaus reiche
Sammlung im Arbeitskabinette des verſtorbenen Grafen
befand? Wie oft hatte nicht ſchon der Knabe ſeine

Mutter durch ſeine Leidenſchaft für alle möglichen Hieb-
und Stichinſtrumente, die er von dem Vater geerbt zu
haben ſchien, in Schrecken geſetzt, wenn er ſo plötzlich,
eine Gott weiß wo aufgefundene alte, ſcharfgeſchliffene

Klinge zückend, vor ſie hingetreten war! Deſſen einge-
denk ſtieg die Dame unverzüglich in das Arbeitskabinet
ihres Gemahls hinauf, wo ſich unter anderen mit reli-
giöſer Scheu in Ehren gehaltenen Möbeln ein alterthüm-
licher, wunderlich geſchnitzter Ebenholzſchrank befand, der

einen Waffenſchrank verbarg, in welchen alle orientaliſchen
Bazare ihren originellen Tribut geliefert hatten. Da gab

es eine Menge von Mordinſtrumenten, bizarrgeformte,
leichtgekrümmte, geradeſtarrende, ſchlangengewundene, die
einen Waffenſammler närriſch vor Freude gemacht hätten.

Neben reichverzierten Waffen aus den modernen berühm-

ten Manufacturen eines Devisme und eines Legage be-

fanden ſich ſpaniſche navajas und trabucos neben den

breiten mexikaniſchen machetes. Leichtgekrümmte Jatag-
hans, tſcherkeſſiſche Kamas und bosniſche Handſchars
kreuzten ſich mit zierlichen perfiſchen Baltas aus feinem
Tabanſtahl, alttürkiſchen Ladſchloßmusketen und plumpen
chineſiſchen Tokams oder Keulen. Hier hing ein ſchmaler

tartariſcher Golok oder Säbel zwiſchen einer ſchauerlichen

Collection maleriſcher Kriſe, deren dunkelblaue vom Upas-

ſafte vergifteten Klingen ſichern Tod bringen, und ein
Köcher voll giftgezähnter Pfeile lehnte ſich an ein Bündel

ſcharfgeſtätlter Sagajen, deren ſchlanke Spitzen hinter
einigen prächtigen Exemplaren jener einſchneidigen hand-
breiten, mit aſiatiſcher Verſchwendung verzierten Sumatra-
ſäbel, Siwa genannt, vorſchauten.

In dieſem ſeltſamen, durch die Varietät der Formen ſo-

wohl, als den Reichthum der Ausſtattung gleich werthvollen
Janitſcharenplunder wählte die Gräfin einige Zeit, bis endlich
ihre Wahl auf einen Dolch fiel, deſſen prächtige originelle

Arbeit ihre Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen hatte. Sicht-⸗

lich befriedigt, dieſes Prachtſtück gefunden zu haben, ſtieg
die Gräfin eilends in das Zimmer ihres Sohnes hinab,
um das koſtbare Geſchenk zwiſchen zwei friſchen Lorbeer-
zweigen über dem Bette des Lieblings zu befeſtigen.
Dies gethan, ſchien ſie mit der Anordnung des Ganzen
zufrieden zu ſein und ſchickte ſich an in den Garten hin-
abzuſteigen, um von einem am äußerſten Ende deſſelben
gelegenen chineſiſchen Pavillon aus, der die Poſtſtraße
von Kaluga beherrſchte, die Ankunft des lieben Gaſtes zu
erſpähen.
ein glückliches Lächeln auf den Lippen, mit dem von freu-
diger Erwartung ſtrahlenden Auge den Horizont befra-
gend. Zartduftendes Gaisblatt und leuchtende Hecken-
roſenranken ſchlangen einen wunderbarblühenden Rahmen
um die Mutter und draußen jubelte ein herrlicher Früh-

ling derweil durch die milden Läfte jene ewige, begeiſterte

Harmonie floß, worin Myriaden von Geſchöpfen einen
leuchtenden Frühlingsmorgen begrüßen. Bald erſcholl in
der Ferne das muntere Geklingel der ruſſiſchen Poſtpferde

und eine leichte Kaleſche flog, von vier kleinen, muthigen

Thieren, ſturmſchnell dahingetragen, dem Landſitze zu.

Da ertönte aus dem Pavillon ein Freudenſchrei, der un-
ten in dem vorüberbrauſenden Wagen ſein Echo fand.

Noch einen Augenblick und die Pferde hielten dampfend

tzen Hauſe
Alle Diener

Freudenthränen floſſen.

Da ſtand ſie, eine hohe, ariſtokratiſche Geſtalt,

am unteren Pafkgitter an, deſſen Eiſenthor klirrend auf-
flög, um einem ſchlanken, blühenden Jüngling von etwa

20 Jahren in eleganter blauweißer Lanciernniform ein-

Pat kter An

zulaſſen. Kaum hatte er einige Schritte gethan, ſo
laͤg erauch ſchon im den Armen der Mutter.

Lange
lange hielten ſie ſich umarmt; ihre Herzen verſchmolzen
einen Augenblick in namenloſem Entzücken und reiche

Cortſetzung folgt.)

Um die Baut.
— Eine ſehr gefährliche Geſchichte. —

(Nach einer Mittheilung in den Memoiren des Grafen Segur
ö ö aus dem „P. Ll.)„ ö ö ö

Verſetzen wir uns in das Rußland Katharinens der
Zweiten zurück, und in das Petersburg dieſes Rußland,
und in einen der prächtigen Paläſte dieſes Petersburg,
und in eines der koſtbarſten Gemächer dieſes Palais.
Von einem barbariſchen Roco umwuchert, ſehen wir
daſelbſt zwei diſtinguirte Perſönlichkeiten intime Zwiege-
ſpräch pflegen. Die eine iſt Herr Süderland, der erſte
Geldmann der ruſſiſchen Reſidenz und Banquier Ihrer
Majeſtät der Selbſtbeherrſcherin aller Reuſſen, ein ein-
gewanderter Fremdling, aber naturaliſirter Moskowite;
die andere iſt Fräulein Afanaſja, die einzige Tochter, Er-
bin, Göttin und Tyrannin des ruſſiſchen Kröſus.
Das Geſchräch ſcheint ſehr intereſſant zu ſein, denn

Herr Süderland dreht eine mit Brillanten beſetzte Taba-

tiere im Werthe von 4500 Rubeln mit einer Geſchwin-
digkeit von 50—60 Umdrehungen in der Minute zwiſchen
ſeinen dicken, weißen Fingern, um und um, während

Fräulein Tochter mit einem goldeneu Fächer, dem ein
galantes Tableau von Boucher einen Werth von 6—7000
Francs verleiht, wahre Aequinoctialſtürme zur Kühlung
ihres aufgeregten Blutes erzeugt.

Kein Wunder, denn es iſt die Rede von einem
Freier, der ſich ſeit Langem ſchon auf's Eifrigſte um beide
Hände des Fräuleins — und Alles, was ſich eben in
denſelben befinden möchte — bewirbt. Notabene es iſt

ein Freier von Gewicht und Stellung, der es verdient,

auf die Goldwage väterlicher Erwägung gelegt zu werden,

nämlich der Oberſt Relejeff, Polizeimeiſter und allerhöchſt
autoriſirte Vice⸗Allmacht von St. Petersburg.
der That, wenn er nicht ſchon einundfünfzig ruſſtſche
Winter durchfroren hätte, täglich einen Vierteleimer Spi-
rituoſe zu ſich nähme, eine Naſe von wahrhaft kaiſerlichem

Und in

Purpur im Geſicht trüge, die ſchweren Juchtenſtiefel auf

die Platte des Theetiſches zu ſtemmen liebte, ſich nur an

allen griechiſchen Feſttagen wüſche und nebenbei auch ſein
ganzes Vermögen verſpielt hätte, — Vater und Tochter
würden der Verbindung nicht abgeneigt geweſen ſein.

So aber, wie die Sachen ſtanden, erklärte Fräulein Afa-

naſja hinter dem galanten Fächerbilde Boucher's ganz
peremptoriſch, ſie wolle lieber einen Popen heirathen mit
der Ausſicht auf 14 Kinder, als dieſen Ritter vom Wutky

mit der Ausſicht auf die Newa, Herr Süderland aber
gab der Tabaksdoſe im Werthe von 4500 Rubeln eine

erhöhte Geſchwindigkeit von weiteren 20 Umdrehungen in
der Minute und ſagte: „Einverſtanden, mein Kind.“
In dieſem Augenblicke meldete ein 78 Schuh hoͤher
Lakai Se. Excellenz den Polizeimeiſter Oberſt Relejeff.
Dieſer deus ex machina verfehlte einer gewiſſen
Wirkung keines. Die Brillanten der väterlichen Tabaks-
 
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