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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 96 - No. 103 (2. December - 30. December)
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— 382 —

„Vor drei Wochen,“ ſagte er in dumpfem Tone,
„hat ſ'der Teufel hingeführt auf das Fleckel, wo ſie am
Puſterthaleck das Eingeweid und das Geweih von einem

Zehender gefunden haben, und vorige Wochen treffen ſie

einen Forſtgehülfen in der Scharmütz drüben an, der hat
einen Schuß durch den Kopf gehabt — und überall ſoll
ich die Hand im Spiel gehabt haben, Alles ſoll ich ge-
than haben. Seitdem ſind ſie mir am Fuß nach, die
Spürhund', die verdammten, ich kann mich nirgends recht
halten. Jetzt hab ich meine Hütten aufgſchlagen im
Dickicht droben am Staffel, wo man in's Hirſchhörnl
hinübergeht. Das Wurzengraben und Enzianſuchen weißt
ſelber, tragt nicht viel ein, und mein Wunderbalſam geht
auch nimmer recht. Kann ich mir mit dem Stutzen nicht
noch ein biſſel was verdienen, nachher iſt's gefehlt um mich.
Droben am Fall gibt's Gambſen (Gemſen) und Hochwild
grad genug, aber ich kann nicht hinaus. Die Jager ha-
ben mich in der Naſen, wie der Schweißhund einen an-
geſchoſſenen Hirſchen. Sie geben's nicht nach bis ich wie-
der Einem Eins hinaufbrenn', daß er's Schnaufen ver-
gißt — hinaus muß ich zum Schießen, ſonſt mag ich
auch nimmer leben!“
Er ſchwieg einen Augenblick und ſchielte verſtohlen
auf die Frau, die mit ſtarren Augen in ihren Schooß
blickte und mechaniſch die Betkorallen des Roſenkranzes
durch die Finger gleiten ließ. Trotz dieſer ſcheinbaren
Ruhe war jede Muskel ihres Geſichtes angeſpannt und
mit vorgeneigtem Haupte horchte ſie auf jedes Wort.

„Ich weiß nicht wo aus und wo ein,“ fing der

Wurzengraber wieder an, „und wenn Eins nicht wär,
was mich noch zurückhalt', wüßt' ich mir ſchon eine ge-
ſchwinde Hilf' mit der Kugel. Ja hätt' ich nur grad
hundert Kronenthaler, kein Menſch thät mich mehr ſeh'n
in die Berg' herinn', nicht im Bairiſchen und nicht in
Tyrol,“ murmelte er mit geſenktem Kopf in ſich hinein.
„Was ſagſt, Hannes, hundert Kronenthaler!“ fuhr
die Hirſchgruberin wie elekriſirt empor. Erſchrocken hielt
ſie inne, als fürchte ſie, den ſchwarzen Gedanken, mit dem
ſie ſich längſt getragen, durchblicken zu laſſen. Sie fuhr
mit der Hand über das Geſicht wie um das brennende
Roth wegzuwiſchen, womit das mahnende Gewiſſen es
überzogen, und mit erkünſtelter Ruhe bemerkte ſie: „Vet-
ter, das Geld machts nicht allemal aus. Es gibt reiche
Leut', die nichts Gutes haben auf der Welt.“
Die vertrauliche Anſprache verfehlte ihre Wirkung
auf den Wurzengraberhannes nicht, der leicht begriff, daß
dahinter irgend eine Abſicht verborgen ſei und mit for-
ſchendem Blicke rückte er der Hirſchgruberin näher.

„Schau, Vetter, ich hab Geld genug im Kaſten,“

fuhr dieſe im Ton der Klage fort, „und was Du ſiehſt
an Holz, Feld und Vieh, gehört zu unſerem Hof, aber

was hilft mir das Alles, wenn ich meinen alten Mann

anſchau? Sag's ſelber, Vetter, wir paſſen nicht zuſam-
men. Ich bin gewiß noch ein wenig ſauber und ein
ſchneidiges, richtiges Weib,“ meinte ſie und warf ſelbſt-
gefällig den Kopf zurück — „und muß ſo öd' und trau-
rig mein Leben zubringen mit dem alten Krüppel. Frü-
her, wo er noch richtiger geweſen iſt, ſind wir doch noch
zu Zeiten auf ein Schießet (Schützenfeſt) gekommen, aber
jetzt, ſeitdem ihn der Fuchs geſchlagen hat und ſein Knie

ſteif geblieben iſt, ſitzt er in der Stuben und hat im

letzten Winter die Gicht auch noch dazu kriegt. Ueber ein
halbes Jahr kommt er ſchon nimmer vom Fleck, und ſo
kann ich ihn auswarten und muß daheim hocken wie an-
gemalen, ſtatt wie eine richtige Bäurin auf einen Kirter,
(Kirchweih) auf einen Markt oder ein Schießet zu fah-
ren, wo's doch auch ein wenig luſtig hergeht. Wär' kein
Wunder, wenn Einem andere Gedanken kommen thäten,
denn das Leben, Vetter, halt ich nimmer aus. Für
das hab ich nicht geheirathet, daß ich eine Kranken-

wärterin mach und meine beſten Jahr' ſo truͤbſelig hin-

bring.“
Aufmerkſam beobachtete ſie während des Sprechens
den Eiudruck den ihre Schilderung auf Hannes hervor-
brachte und als ſie ſah, daß er kopfnickend Allem zu-
ſtimmte, wandte ſie ſich offenbar an ihn.
„Sag's ſelber, kann man eine Freud' haben mit

einem ſolchen Menſchen? Kannſt mir's verargen, wenn
mir ein Anderer beſſer gefallen thät? Ich wär' gewiß

noch einen Richtigeren werth.“
„Hätt' ihm ſchon lang gern eine Suppe ein'brockt,
dem heimtückiſchen Hallunken, dem,“ fiel ihr der Vetter
mit boshaftem Schmunzeln in's Wort, „verdient hat er's
an mir. Siehſt, Baſen, ich käm' öfzers auf den Hirſch-
gruberhof, in' Heimgarten zu meiner Gundel, aber wie
ich nur von weitem d'rauf zukomm', da kocht's ſchon alle-
mal in mir vor Zorn und Wuth. Das kann ich nie
vergeſſen, wie vor zwölf Jahren — ſo was wird's grad
ſein — der Forſtner in Walchenſee einen Schuß 'kiegt
hat durch den Arm. Der Hirſchgruber hätt' mir leicht
hinaushelfen können, ſelbig's Mal, er iſt auch dabei ge-
weſen, aber der reiche Bauer hat ſich recht ſchön hinaus-

geputzt und ich bin hängen geblieben und hab' vier Jahr

Woll ſpinnen können in der Stadt drinn'. Hat mir
wohl verſprochen, er nimmt die Gundel in's Haus und
ſorgt dafür. Das hat er auch gethan, aber was nutzt's
mich jetzt? Das Gütel iſt drauf gegangen und mir iſt
nichts über'blieben, als mein Elend, und ich ſag Dir's,
Baſen, wenn das Madel, die Chriſtel, nicht wär, hätt ich
ſchon lang anders mit ihm abgerechnrt. Aber wegen dem
Diendl mag ich nichts mehr anſtellen, ich hab's zu viel
gern.“ ö
„Was geht das die Chriſtel an?“ warf die Hirſch-
gruberin haſtig ein. „Wenn's grad gefehlt wär' Vetter,
kann ich für die Chriſtl ſo gut ſorgen, wie der Bauer
für die Gundel.“
Eine erwartungsvolle Pauſe trat ein, Hannes zogerte
mit ſeiner Antwort, die Hirſchgruberin ſcheute ſich, etwas
Weiteres hinzuzufügen. Sie hatten einander verſtanden
und es ſchien, als überlege nur ein Jedes noch, wie weit
es dem Andern trauen dürfe.
Die Bäuerin unterbrach zuerſt die Stille. Auf den
Waldboden vor ſich hinſtarrend, ſagte ſie, während ein

Reſt von Schamgefühl wieder eine flüchtige Röthe über

ihr Geſicht jagte, mit vorſichtig⸗gedämpfter Stimme: „Ja,
ja ließ' mir gern ein ſchön's Stück Geld koſten, wenn
unſer Herrgott meinen Bauern einmal von ſeinen Schmer-
zen erlöſen möcht' und zu ſich nehmen thät' in ſeiner
Gnad' und glaub mir's Hannes“ — damit kloofte ſie ihn
auf die Lederhoſe — „kein Menſch kann mir's für ungut
nehmen, daß ich nicht lang trauern thu, wenn meinen
Alten ſo zufällig einmal was zuſtoßt draußen im Holz.“
Unter dem breiten Hutrande hervor ſtreifte das
ſchwarze Auge mit raſchem Blick den Wurzengraber von
der Seite und voll innerer Unruhe wartete ſie auf ſeine
Erwiderung, als ein luſtiger Jodler den Brandkopf her-
unter ertönte und gleich darauf ein Juhſchrei aus voller
Mannesbruſt durch das Thal hallte.
Die Beiden fuhren überraſcht vom Felſen auf und
in eines Jeden Miene prägte ſich der Unmuth über die
ungelegene Störung aus. ö ö
„Hannes, da drüber reden wir noch mehr, ſagte die
Hirſchgruberin, indem ſie eilig in der Taſche kramte und
dem Manne ein großes Stück Geld reichte. „Darfſt
keinen Gang für mich umſonſt machen, Vetter, und daß
wir uns recht verſteh'n“ fügte ſie mit ſtarkem Nachdruck
flüſternd bei, „wenn dir der Hirtenbub einen Butterwecken
hinaufbringt am Staffel, ſo triffſt Du mich da auf dem
nämlichen Platze bei dem Steinblock. Tragt er Dir aber
ein Käslaibel hinauf, nachher gehſt fröhlich gleich am
 
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