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Heidelberger Familienblätter — 1874

DOI Kapitel:
No. 96 - No. 103 (2. December - 30. December)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43704#0410

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wie ſag ich denn gleich?“ mumelte er für ſich — „hat
Dir's ein ſauberer Bub hinaufgeſteckt am Hut?“
Zuſammenzuckend ſchlug das Mädchen die Hände
vor die Augen und verſteckte das mit Purpur überhauchte
Geſicht in der Decke ihres Heubettes.
Betroffen bat der Wurzengraber in einſchmeichelndem
Tone!: „Geh', Chriſtl, mein Neſtſchlupferl, geh', ſag'
mir's!“ Und horchend neigte ſich der ſtruppige Graubart
über ſein Kind. Er hörte ihr tiefes Aufathmen und
wartete geduldig auf Antwort. Endlich hob ſich der in
die Decke vergrabene Kopf und machte eine leiſe beja-
hende Bewegung.
„Und wer iſt nachher der Bub? Geh', Chriſtel,
das geſteh' mir noch?“ ſagte der Vater in geſpannteſter
Erwartung. „Iſt's gar der Hies?“
Das Mädchen ſchüttelte eneraiſch den Kopf, dann
ſchien ſie plötzlich den Muth zu finden, dem Vater die
Wahrheit zu bekennen. Sie ſetzte ſich raſch auf, ſchaute
ihm einen Augenbiick voll in's Geſicht und wollte ſpre-
chen. Da überflog helle Gluth das liebliche Geſicht, ſie
ſenkte das Köpfchen tief auf die Bruſt und in einem
Tone, aus dem es halb noch wie ängſtliche Scheu, halb
wie ein unterdrücktes Jauchzen klang, flüſterte ſie: „Der
Hirſchgruberflori!“
„Was, der Flori!“ ſchrie der Wurzengraber außer
ſich vor Erſtaunen. „Geh, ſag's nochmal, Chriſtel, der
Flori?“ Und wieder folgte eine ſtumme bejahende Be-
wegung mit dem Kopfe
Einen langgedehnten Pfiff ließ Hannes nun verneh-

men und der Ausdruck der ehrlichſten väterlichen Beſorgs-

niß in ſeinem Geſichte verwandelte ſich mit Einem Schlage
in ein ſchlaues vergnügliches Schmunzeln.
„Das iſt ein ander's Körnel,“ murmelte er vor
ſich hin, „der Flori, der Hirſchgruberflori! Hm, hm!
das gibt der Sach' ein ander's G'ſicht.“
voll Mitleid gegen das Mädchen gewendet, ſetzte er halb-
laut bei: „Schau, ſchan, wie's der Sakrabub ſo ſauber
auf's Blatt 'troffen hat!“
In dem engen Raume raſtlos auf und nieder ſchrei-
tend und von Zeit zu Zeit an die Stirn greifend, als
wollte er ſeine Gedanken feſthalten, brummte er jetzt:
„Weiß nicht, ſoll ich lachen oder fluchen. Lieber wär'
mir ein armer Bub, als ſo ein reicher Baurnſohn, das
iſt kein Zuſammenſtand. Reſpekt vor'm Flori, iſt ein
ehrenbraver Burſch, aber auf den Hirſchgruberhof kommt
mein Diendl nicht, ſo viel kenn ich ſchon. Es wird halt
alleweil mehr Zeit, daß ich fortkomm', das könnt' ich
nicht anſchau'n, daß mir das Diendl verkümmern thät,
wie ein angeſchoſſenes Gambskitz. Druckt mir ſo ſchon '8
Herz ab, wenn ich ſieh, wie das Madel nimmer halb ſo
luſtig iſt.“
Er ſetzte ſich neben die Lieblingstochter und ſie leicht
an der Schulter rüttelnd, ſprach er ihr mit ſanftem Tone
zu: „Geh, Chriſtel, ſchau mir in's auf it und verzähl's
Dein' Vatern, wie der Flori da herauf 'kommen iſt.“
Langſam kehrte ſich die junge Chriſtel gegen ihn
herum, doch erglühend neigte ſie das holde Antlitz raſch
wieder auf ihren Schooß und ein kleiner Riß in ihrer
Schürze, worin noch der Stachel eines Weißdorns ſteckte,
ſchien ihr eine willkommene Entdeckung. Eifrigſt zupfte
ſie daran während ſie wie mit innerer Ueberwindung
tiefaufathmend ſagte: „Eine Wunderſalben hat er ge-
olt.“ —
„O Du verfluchte Salben!“ brummte Hannes ab-
gewendet, dann ſtieß er das Mädchen mahnend mit der
Schulter an: „Mach' weiter, weiter, Chriſtel, laß Dich
nicht ſo nöth'gen!“
„No, nachher bin ich in's Wurzengraben 'gangen,“
berichtete ſie mit ſichtbarem Widerſtreben — „und da
ſind wir halt hinauf miteinand' auſ's Hirſchhörnl.“ Hier

Und wieder

ſtockte ſie wieder und fuhr erſt nach einer Pauſe zögernd
fort: „Da hat er geſagt, er wär' ſchon lang hinaufgeſtie-
gen auf'n Staffel, wenn er gewußt hätt', daß der Vetter
ſo ein — ſo ein Dirndl hätt', und hätt' uns ſchon lang
einmal heimgeſucht.“
„Dank ſchön für ſo einen Beſuch,“ murmelte der Alte,
indem er mit ſpöttiſcher Miene den Hut lüftete, und mit
einem aufmunternden Stoße drängte er Chriſtel zum
Weitererzählen.
„Und das hat er auch geſagt“ — hier glitt wider
ihren Willen ein lächelnder Zug um den blühenden
Mund — „ich hätte' ſo ſchöne Augen, es wär' ihm grad,
wenn ich ihn anſchau, als wenn der Peter 's Himmels-
thür aufmachet und er möcht halt gern ſein Lebtag da
hineinſchau'n.“ Dabei hatte ſie mit ſtarkem Ruck den
Dorn aus der Schürze geriſſen, in ihrer Verlegenheit
bohrte ſie jedoch mit dem Finger immer weiter in der
Oeffnung fort, und faſt jedes Wort einzeln herorſtoßend,
erzählte ſie auf des Wurzengrabers hartnäckig erneuerte
Aufforderung: „So ſind wir halt auf's Hochlager hinauf
kommen, da hab ich einen Enzian geſeh'n, hab ihn aber
nicht kriegen können, weil er ganz auf der Schneid'
draußen geſtanden iſt. Der Flori hat ſich nachher nie-
dergelegt und ſo weit über die Schneid' hinausgeſtreckt,
daß er ihn hat ausgraben können — ich hab ihn aber
feſt an ſeine Schuh gehalten dabei. Kann ihn doch nicht
über die Wand hinabfallen laſſen,“ ſetzte ſie wie zur
Entſchuldigung laut und raſch bei und ſchaute während
ihrer Herzensbeichte jetzt zum erſten Mal mit den großen,
ängſtlich fragenden Augen zum Warzengraber auf.
„Natürlich, das darf nicht ſein, das hätt'ſt am Ge-
wiſſen,“ entgegnete dieſer mit komiſchem Ernſte und
drängte auf's Neue: „Und nachher, nachher, Chriſtel!“
„Ja, da hat er mich halt gefragt, ob ich wohl ge-
weint hätt' wenn er hinuntergefallen wär', hat mich lang
angeſchaut und mich um die Mitten genommen. Ich hab
nichts d'rauf geſagt, aber g'ſpürt hab ich, daß mir ganz
heiß worden iſt. So haben wir uns auf einen Stein
niedergeſetzt, haben einander die Hand 'geben, haben aber
nichts mehr gered't, und da iſt uns die Zeit ſo gſchwind
vergangen, ſo g'ſchwind, daß ſ' drunten ſchon Mittag ge-
läutet haben, wie er fort iſt.“
Ein unbeſchreiblich glückliches Lächeln flog bei der
Erinnerung an jene ſelige Stunde über das tiefgeröthete
Geſicht des jungen Mädchens, unter deſſen emſig arbei-
tenden Fingern die Schürze längſt entzwei geriſſen wäre,
wenn der ſtarke Stoff nicht all' ihren Bemühungen ge-
trotzt hätte. ö
„Und was hat er denn geſagt, wie er fort'gangen
iſt.“ Dieſe Frage mußte der Alte zweimal eindringlich
ſtellen, ehe Chriſtel ſich mit einem tiefgeholten Athemzug
zur Antwort anſchickte, und ſchalkhaft ſchielte Hannes nach
der Seite auf das Mädchen, als ſie mit raſcher Bewe-
gung aufſtand, die Hände vor das Geſicht drückte und
einen Schritt zurückweichend zwiſchen die Finger hindurch
hauchte: „Ein Bußl hat er mir geben.“ Und wie vom
Sturmwind weggeblaſed, war ſie mit einem Satze aus
der Thüre und im Freien.

(Fortſetzung folgt.)

Geſchichte eines Bankhauſes.

Keine reiche Erbin der Gegenwart iſt häufiger ge-
nannt worden, als Miß Angela Burdett⸗Coutts. Man
hält ſie für eine Großmillionärin, oder mit anderen Wor-
ten, man ſchätzt nicht nur ihr Vermögen, ſondern ihr jäͤhr-
 
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