An die Frauen.
Ein ſehr ernſtes Wort an die Frauen richtet ein
Feuilletoniſt des Wiener „Sonn⸗ und Feiertags⸗Courier“
anläßlich des kürzlich in der Donauſtadt zur Verhand-
lung gekommenen „Prozeß Raffelsberger“.
Wir entnehmen dem ſehr beherzigenswerthen Auf-
ſatz das Nachfolgende:
Man glaube übrigens nicht daß der Prozeß Raffels-
berger auf unſere Damenwelt einen abſchreckenden Ein-
druck gemacht hat ... Aber für die Männerwelt liegt
doch eine handgreifliche Moral in dem Raffelsberger'ſchen
Prozeß, die Moral nämlich, ja nicht zu heirathen, wenn
man nicht ein Kroſu t. Können die Frauen nicht
von ihrer Putzſucht laſſen, — nun gut, ſo ſollen die
Männer auch ihren Kopf aufſetzen und zu dem einzigen
Mittel greifen, das hier helfen kann: ſie ſollen einen
großartigen Heiraths-Strike machen. Ein ungeheurer
Junggeſellenbund möge die ganze heirathsfähige Männer-
welt von Wien zu dem feierlichen Schwur vereinigen, ſich
nicht früher unter Hymens Fahne zu ſtellen, bis die
Frauenzimmer von ihren Toilette-Prätenſionen geheilt und
zu jener Einfachheit des Coſtüms zurückgekehrt ſind, welche
es auch nichtmillionäriſchen Ehemännern möglich macht,
die Blößen ihrer Frauen zu bedecken. ö
So ſpaßig auch immer dieſer ſcherzhafte Vorſchlag
iſt, ſo liegt demſelben doch eine ſehr herbe Wahrheit zu
Grunde. Täuſchen wir uns nicht über die entſetzlichen
Dimenſionen, welche die weibliche Leichtfertigkeit in Folge
des unerſchwinglichen Kleiderluxus bereits bei uns ange-
nommen hat. Wer jemals die Koſten einer Haushaltung
beſtritten und für die Bedürfniſſe einer Frau geſorgt hat,
der wird ſich von Niemand einreden laſſen, daß Beamte,
kleine Kaufleute, Gewerbetreibende und ſonſtige auf ein
Jahreseinkommen von zwei⸗ bis dreitauſend Gulden be-
ſchränkte Ehemänner aus ihrer Caſſa den Kleiderluxus,
welchen ihre Frauen und Töchter zur Schau tragen, zu
beſtreiten im Stande ſind. Man rechne nur nach und
es wird ſich zur vollſten Evidenz herausſtellen, daß in
den meiſten ſolchen Familien die Frauenzimmer mindeſtens
ſo viel auf den Putz ausgeben, als das geſammte Ein-
kommen des reſpectablen Familien⸗Oberhauptes beträgt.
Die junge Frau mag eine noch ſo reine Tugend in die
Ehe mitgebracht haben: wenn der Mann nicht im Stande
iſt, jenen Anſprüchen zu genügen, welche die Welt gegen-
wärtig an die Toilette einer Dame aus den beſſeren
Ständen zu ſtellen gewohnt iſt, ſo wird ſich die junge
Frau bald unglücklich fühlen, und fühlt ſich eine junge
Frau nur erſt unglücklich, ſo iſt auch bald — ein Tröſter
bei der Hand. Das erſte Geſchenk, welches ſie von einem
Fremden nimmt, reißt ſie unrettbar ins Verderben und
von Stufe zu Stufe ſinkt ſie dann bis zur vollſtändigen
moraliſchen Verkommenheit herab. Es gehört ein hoher
Grad von Feſtigkeit und Charakterſtärke dazu, wenn ein
junges, hübſches Frauenzimmer es über ſich gewinnen
ſoll, ihre geputzten Freundinnen und Nachbarinnen neid-
los an ſich vorüberſtolziren zu ſehen und als Aſchenbrödel
im einfachen Kattunkleidchen reſignirt alle jene Zurück-
ſetzungen zu erdulden, welche die weibliche Eitelkeit ſo tief
verletzen. Tritt dann der Verſucher in Geſtalt eines
reichen Elegants heran und verſteht es nur halbwegs
ſein Handwerk, ſo iſt es bald um das arme Ding geſche-
hen. „Und wenn Dich nur erſt einer hat,“ ſagt Valentin
zu Gretchen, „ſo hat Dich bald die ganze Stadt.“ Das
Kattunkleidchen macht einer reichen Seidenrobe Platz, und
wenn der gefallene Engel ſich dann mit ſeiner neuen
Herrlichkeit im Spiegel beſchaut, ſo treten ihr wohl auch
Gretchens Worte auf die Lippen: „Man ſieht doch gleich
ganz anders drein. Was nützt Euch Schönheit, junges
Blut? Das iſt wohl alles ſchön und gut allein mar
läßt's auch Alles ſein. Man lobt Euch halb mit Er-
barmen — nach Gold drängt, am Golde hängt doch
Alles!“
Nicht überall iſt es ſo, wie in Wien. In Deutſch-
land kennt man den Toilettenluxus, wie er bei uns graſ-
ſirt, nur dem Namen nach. Ich erinnere mich noch ſehr
gut des verblüffenden Eindruckes, welchen vor etwa
zwanzig Jahren, als ich das erſtemal nach Deutſchland
ging, die ſchönere Hälfte des Münchener Hoftheater⸗Pu-
blikums auf mich machte. Ich war an die glänzenden
Toiletten gewöhnt, die man in Wien und Prag im Thea-
ter ſieht. Das Münchener Damen⸗-Publikum kam mir
wie eine Verſammlung von Dienſtmädchen vor. Nichts
wie Zitzkleider, kein Schmuck, keine Blumen im Haar,
keine „Friſuren“ — ich wußte nicht, was ich in den
Zwiſchenacten mit meinem Operngucker anfangen ſollte.
Es verlohnte ſich wirklich nicht der Mühe, irgend wohin
zu ſehen. Ebenſo fand ich es in Stuttgart, Karlsruhe,
Mannheim, Mainz, nur in Frankfurt gab es einigen
Putz. Ju Norddeutſchland fand ich es wo möglich noch
ärger. Ich beſuchte das Theater in Kaſſel, Hannover,
Braunſchweig, Weimar — überall ſah ich die Damen in
den allereinfachſten Hauskleidchen im Parquet und ſogar
in den Logen ſitzen, und ſelbſt in Berlin war es nicht
viel anders. In München habe ich ſelbſt noch vor zwei
Jahren während eines vierzehntägigen Aufenthaltes nicht
ein einziges Seidenkleid geſehen. Wenn in einer deutſchen
Stadt eine Bürgersfrau oder ihre Töchter ſolchen Staat
auf ſich hängen wollten, wie ſich ihn bei uns ſchon faſt
jede Magd erlaudt, man würde mit Fingern auf ſie
zeigen.
Alſo herunter mit dem Flitterkram, dem Brandmal
des Laſters und der Entehrung! So lange anſtändige
Frauen und Mädchen wie Loretten gekleidet gehen, müſſen
Sie es ſich auch gefallen laſſen, daß man ſie für Loretten
hält. Der permanente häusliche Zwiſt, die eheliche Un-
treue, die Zerrüttung des Familienlebens kommt in den
meiſten Fällen von dem Toilettenluxus her. Freilich ſind
aber auch die Männer mitſchuldig daran, denn ſo lange
bei ihnen die geputzteſte Dame auch die geſchätzteſte iſt,
kann man es einem eitlen Weibe nicht übel nehmen, wenn
ſie ſich das einzige Mittel, den Herren der Schöpfung zu
gefallen, mit ihrer Ehre zu erkaufen ſucht.
Brief eines preußiſchen Bramten nach der
Schlacht bei Jena.
Die „Darmſt. Zig.“ veröffentlicht den nachſtehenden
Brief eines preußiſchen Beamten an die Gemahlin eines
heſſiſchen Beamten nach der Schlacht bei Jena, derſelbe
lautet wörtlich, wie folgt: „In dieſen Tagen des Elends
und der Trübſale, wovon leider nur wenige deutſche Pro-
vinzen frei ſind, habe ich oft jeden meiner Freunde glück-
lich geprieſen, der in einer beſſern Welt, den zunehmenden
Jammer in unſerm Vaterland nicht mehr ſehen kann.
Daß den Preußiſchen Staat endlich die Reihe treffen
würde, konnte man zwar vorher ſehen, aber wer konnte
ein ſolches Ende ahnden? Daß der Staat in einer ſo
kurzen Zeit ſo herunterkommen ſollte, daß er ſich in 100
Jahren nicht erholen kann, konnte niemand einfallen, und
Gott weiß es, wann wir in Ruhe kommen werden. Der
Frieden, ſo ſehr er gewünſcht war, um die Leiden des
verheerenden Krieges zu mildern, hat unſere Staaten in
eine noch ſchrecklichere Lage gebracht, als im Kriege ſelbſt;
eine große Armee hält unſere ſammtliche Provinzen, blos
Eu ͤ 2en. his .Dailanannd
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Ein ſehr ernſtes Wort an die Frauen richtet ein
Feuilletoniſt des Wiener „Sonn⸗ und Feiertags⸗Courier“
anläßlich des kürzlich in der Donauſtadt zur Verhand-
lung gekommenen „Prozeß Raffelsberger“.
Wir entnehmen dem ſehr beherzigenswerthen Auf-
ſatz das Nachfolgende:
Man glaube übrigens nicht daß der Prozeß Raffels-
berger auf unſere Damenwelt einen abſchreckenden Ein-
druck gemacht hat ... Aber für die Männerwelt liegt
doch eine handgreifliche Moral in dem Raffelsberger'ſchen
Prozeß, die Moral nämlich, ja nicht zu heirathen, wenn
man nicht ein Kroſu t. Können die Frauen nicht
von ihrer Putzſucht laſſen, — nun gut, ſo ſollen die
Männer auch ihren Kopf aufſetzen und zu dem einzigen
Mittel greifen, das hier helfen kann: ſie ſollen einen
großartigen Heiraths-Strike machen. Ein ungeheurer
Junggeſellenbund möge die ganze heirathsfähige Männer-
welt von Wien zu dem feierlichen Schwur vereinigen, ſich
nicht früher unter Hymens Fahne zu ſtellen, bis die
Frauenzimmer von ihren Toilette-Prätenſionen geheilt und
zu jener Einfachheit des Coſtüms zurückgekehrt ſind, welche
es auch nichtmillionäriſchen Ehemännern möglich macht,
die Blößen ihrer Frauen zu bedecken. ö
So ſpaßig auch immer dieſer ſcherzhafte Vorſchlag
iſt, ſo liegt demſelben doch eine ſehr herbe Wahrheit zu
Grunde. Täuſchen wir uns nicht über die entſetzlichen
Dimenſionen, welche die weibliche Leichtfertigkeit in Folge
des unerſchwinglichen Kleiderluxus bereits bei uns ange-
nommen hat. Wer jemals die Koſten einer Haushaltung
beſtritten und für die Bedürfniſſe einer Frau geſorgt hat,
der wird ſich von Niemand einreden laſſen, daß Beamte,
kleine Kaufleute, Gewerbetreibende und ſonſtige auf ein
Jahreseinkommen von zwei⸗ bis dreitauſend Gulden be-
ſchränkte Ehemänner aus ihrer Caſſa den Kleiderluxus,
welchen ihre Frauen und Töchter zur Schau tragen, zu
beſtreiten im Stande ſind. Man rechne nur nach und
es wird ſich zur vollſten Evidenz herausſtellen, daß in
den meiſten ſolchen Familien die Frauenzimmer mindeſtens
ſo viel auf den Putz ausgeben, als das geſammte Ein-
kommen des reſpectablen Familien⸗Oberhauptes beträgt.
Die junge Frau mag eine noch ſo reine Tugend in die
Ehe mitgebracht haben: wenn der Mann nicht im Stande
iſt, jenen Anſprüchen zu genügen, welche die Welt gegen-
wärtig an die Toilette einer Dame aus den beſſeren
Ständen zu ſtellen gewohnt iſt, ſo wird ſich die junge
Frau bald unglücklich fühlen, und fühlt ſich eine junge
Frau nur erſt unglücklich, ſo iſt auch bald — ein Tröſter
bei der Hand. Das erſte Geſchenk, welches ſie von einem
Fremden nimmt, reißt ſie unrettbar ins Verderben und
von Stufe zu Stufe ſinkt ſie dann bis zur vollſtändigen
moraliſchen Verkommenheit herab. Es gehört ein hoher
Grad von Feſtigkeit und Charakterſtärke dazu, wenn ein
junges, hübſches Frauenzimmer es über ſich gewinnen
ſoll, ihre geputzten Freundinnen und Nachbarinnen neid-
los an ſich vorüberſtolziren zu ſehen und als Aſchenbrödel
im einfachen Kattunkleidchen reſignirt alle jene Zurück-
ſetzungen zu erdulden, welche die weibliche Eitelkeit ſo tief
verletzen. Tritt dann der Verſucher in Geſtalt eines
reichen Elegants heran und verſteht es nur halbwegs
ſein Handwerk, ſo iſt es bald um das arme Ding geſche-
hen. „Und wenn Dich nur erſt einer hat,“ ſagt Valentin
zu Gretchen, „ſo hat Dich bald die ganze Stadt.“ Das
Kattunkleidchen macht einer reichen Seidenrobe Platz, und
wenn der gefallene Engel ſich dann mit ſeiner neuen
Herrlichkeit im Spiegel beſchaut, ſo treten ihr wohl auch
Gretchens Worte auf die Lippen: „Man ſieht doch gleich
ganz anders drein. Was nützt Euch Schönheit, junges
Blut? Das iſt wohl alles ſchön und gut allein mar
läßt's auch Alles ſein. Man lobt Euch halb mit Er-
barmen — nach Gold drängt, am Golde hängt doch
Alles!“
Nicht überall iſt es ſo, wie in Wien. In Deutſch-
land kennt man den Toilettenluxus, wie er bei uns graſ-
ſirt, nur dem Namen nach. Ich erinnere mich noch ſehr
gut des verblüffenden Eindruckes, welchen vor etwa
zwanzig Jahren, als ich das erſtemal nach Deutſchland
ging, die ſchönere Hälfte des Münchener Hoftheater⸗Pu-
blikums auf mich machte. Ich war an die glänzenden
Toiletten gewöhnt, die man in Wien und Prag im Thea-
ter ſieht. Das Münchener Damen⸗-Publikum kam mir
wie eine Verſammlung von Dienſtmädchen vor. Nichts
wie Zitzkleider, kein Schmuck, keine Blumen im Haar,
keine „Friſuren“ — ich wußte nicht, was ich in den
Zwiſchenacten mit meinem Operngucker anfangen ſollte.
Es verlohnte ſich wirklich nicht der Mühe, irgend wohin
zu ſehen. Ebenſo fand ich es in Stuttgart, Karlsruhe,
Mannheim, Mainz, nur in Frankfurt gab es einigen
Putz. Ju Norddeutſchland fand ich es wo möglich noch
ärger. Ich beſuchte das Theater in Kaſſel, Hannover,
Braunſchweig, Weimar — überall ſah ich die Damen in
den allereinfachſten Hauskleidchen im Parquet und ſogar
in den Logen ſitzen, und ſelbſt in Berlin war es nicht
viel anders. In München habe ich ſelbſt noch vor zwei
Jahren während eines vierzehntägigen Aufenthaltes nicht
ein einziges Seidenkleid geſehen. Wenn in einer deutſchen
Stadt eine Bürgersfrau oder ihre Töchter ſolchen Staat
auf ſich hängen wollten, wie ſich ihn bei uns ſchon faſt
jede Magd erlaudt, man würde mit Fingern auf ſie
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Alſo herunter mit dem Flitterkram, dem Brandmal
des Laſters und der Entehrung! So lange anſtändige
Frauen und Mädchen wie Loretten gekleidet gehen, müſſen
Sie es ſich auch gefallen laſſen, daß man ſie für Loretten
hält. Der permanente häusliche Zwiſt, die eheliche Un-
treue, die Zerrüttung des Familienlebens kommt in den
meiſten Fällen von dem Toilettenluxus her. Freilich ſind
aber auch die Männer mitſchuldig daran, denn ſo lange
bei ihnen die geputzteſte Dame auch die geſchätzteſte iſt,
kann man es einem eitlen Weibe nicht übel nehmen, wenn
ſie ſich das einzige Mittel, den Herren der Schöpfung zu
gefallen, mit ihrer Ehre zu erkaufen ſucht.
Brief eines preußiſchen Bramten nach der
Schlacht bei Jena.
Die „Darmſt. Zig.“ veröffentlicht den nachſtehenden
Brief eines preußiſchen Beamten an die Gemahlin eines
heſſiſchen Beamten nach der Schlacht bei Jena, derſelbe
lautet wörtlich, wie folgt: „In dieſen Tagen des Elends
und der Trübſale, wovon leider nur wenige deutſche Pro-
vinzen frei ſind, habe ich oft jeden meiner Freunde glück-
lich geprieſen, der in einer beſſern Welt, den zunehmenden
Jammer in unſerm Vaterland nicht mehr ſehen kann.
Daß den Preußiſchen Staat endlich die Reihe treffen
würde, konnte man zwar vorher ſehen, aber wer konnte
ein ſolches Ende ahnden? Daß der Staat in einer ſo
kurzen Zeit ſo herunterkommen ſollte, daß er ſich in 100
Jahren nicht erholen kann, konnte niemand einfallen, und
Gott weiß es, wann wir in Ruhe kommen werden. Der
Frieden, ſo ſehr er gewünſcht war, um die Leiden des
verheerenden Krieges zu mildern, hat unſere Staaten in
eine noch ſchrecklichere Lage gebracht, als im Kriege ſelbſt;
eine große Armee hält unſere ſammtliche Provinzen, blos
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