15435 Kaiser Friedrich II.
und daß in jenem Jahrhundert, welches sich wie kein anderes der Zeiten-
fülle gegenübersah, wirklich die Erfüllung gekommen schien des tau-
sendjährigen Weltzieles: Justitia. Doch in dem ganzen Juristengetriebe
brachte nur ein einziges Werk, wie das immer zu sein pflegt, einen ent-
scheidenden Durchbruch: Friedrichs II. Liber Augustalis. Hier flössen
gewisse Voraussetzungen so in Eines zusammen, daß in dem sizilischen
Gesetzeswerk die Justitia selbst ihre Apotheose feierte. Denn kraft seines
Kaisertums und höchsten Richteramtes warf sich Friedrich II. zum
Führer und Vollender auf der ganzen Justitia-Bewegung, um durch sie
den rein weltlichen Staat zu schaffen, der ohne die Geistigkeit der Kirche
dennoch ein von geistigen Kräften durchwirktes Gebilde darstellen
sollte. —
Entsprechend der das Mittelalter beherrschenden Zweiheit von Ver-
gänglich und Ewig kannte man zwei schlechterdings unvereinbare Arten
des Rechts: ein ewiges Gottes- oder Naturrecht und das von diesem stets
abweichende positive oder menschliche Recht. Dieses Menschenrecht,
in den Erdenstaaten gültig und wie alles Irdische unvollkommen, be-
ruhte teils auf den überlieferten Gewohnheits- und Volksrechten, teils
auf den in den Heiligen Schriften offenbarten Gesetzen, die als Offen-
barung dem Göttlichen wenigstens nahekamen .. schließlich in jüngster
Zeit noch auf dem römischen Recht, das geweiht war und als rechts-
gültig anerkannt, weil sich ihm auch der Heiland unterworfen hatte.
Aufgabe der Fürsten war zunächst, den Frieden zu erhalten, und da jede
Veränderung der Rechte notwendig irgend jemanden schädigen und da-
durch Unfrieden bringen mußte, so hatten die Fürsten als Schirmer des
Friedens auch das bestehende Recht zu erhalten. Die notwendige Fort-
bildung des Rechts begründete man deshalb eher mit dem Hinweis etwa
auf alte [in Mißbrauch geratene Rechte und betrachtete dann die herr- I ;
scherlichen Verordnungen lieber als eine Durchführung und Wiederher-
stellung der vergessenen alten Gesetze, als daß man sich zu rühmen ge-
wagt hätte: man habe selbst „neues Recht“ gegründet.) Rechtserhai- ] 11
tend und rechtsbewahrend, kaum rechtsschöpfend“ war also der mittel-
alterliche Staat, und damit wäre die Aufgabe der' Herrscher im wesent-
lichen umschrieben: auch sie waren vor allem rechtserhaltend und
rechtsbewahrend. Vor den andern Machthabern aber hatten gemäß der
gestuften Ordnung der mittelalterlichen Welt ganz besonders die Kaiser
dieses Schirmeramtes zu walten. „Was Gott im Himmel, ist auf Erden
der Kaiser!“ das war der gültige Satz. Ein Gleichnis Gottvaters waren
daher die römischen Kaiser seit den Tagen Karls des Großen .. als Gipfel
der Erdenordnung ein Gleichnis des Herrschers der Himmelshierarchie,
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20g
und daß in jenem Jahrhundert, welches sich wie kein anderes der Zeiten-
fülle gegenübersah, wirklich die Erfüllung gekommen schien des tau-
sendjährigen Weltzieles: Justitia. Doch in dem ganzen Juristengetriebe
brachte nur ein einziges Werk, wie das immer zu sein pflegt, einen ent-
scheidenden Durchbruch: Friedrichs II. Liber Augustalis. Hier flössen
gewisse Voraussetzungen so in Eines zusammen, daß in dem sizilischen
Gesetzeswerk die Justitia selbst ihre Apotheose feierte. Denn kraft seines
Kaisertums und höchsten Richteramtes warf sich Friedrich II. zum
Führer und Vollender auf der ganzen Justitia-Bewegung, um durch sie
den rein weltlichen Staat zu schaffen, der ohne die Geistigkeit der Kirche
dennoch ein von geistigen Kräften durchwirktes Gebilde darstellen
sollte. —
Entsprechend der das Mittelalter beherrschenden Zweiheit von Ver-
gänglich und Ewig kannte man zwei schlechterdings unvereinbare Arten
des Rechts: ein ewiges Gottes- oder Naturrecht und das von diesem stets
abweichende positive oder menschliche Recht. Dieses Menschenrecht,
in den Erdenstaaten gültig und wie alles Irdische unvollkommen, be-
ruhte teils auf den überlieferten Gewohnheits- und Volksrechten, teils
auf den in den Heiligen Schriften offenbarten Gesetzen, die als Offen-
barung dem Göttlichen wenigstens nahekamen .. schließlich in jüngster
Zeit noch auf dem römischen Recht, das geweiht war und als rechts-
gültig anerkannt, weil sich ihm auch der Heiland unterworfen hatte.
Aufgabe der Fürsten war zunächst, den Frieden zu erhalten, und da jede
Veränderung der Rechte notwendig irgend jemanden schädigen und da-
durch Unfrieden bringen mußte, so hatten die Fürsten als Schirmer des
Friedens auch das bestehende Recht zu erhalten. Die notwendige Fort-
bildung des Rechts begründete man deshalb eher mit dem Hinweis etwa
auf alte [in Mißbrauch geratene Rechte und betrachtete dann die herr- I ;
scherlichen Verordnungen lieber als eine Durchführung und Wiederher-
stellung der vergessenen alten Gesetze, als daß man sich zu rühmen ge-
wagt hätte: man habe selbst „neues Recht“ gegründet.) Rechtserhai- ] 11
tend und rechtsbewahrend, kaum rechtsschöpfend“ war also der mittel-
alterliche Staat, und damit wäre die Aufgabe der' Herrscher im wesent-
lichen umschrieben: auch sie waren vor allem rechtserhaltend und
rechtsbewahrend. Vor den andern Machthabern aber hatten gemäß der
gestuften Ordnung der mittelalterlichen Welt ganz besonders die Kaiser
dieses Schirmeramtes zu walten. „Was Gott im Himmel, ist auf Erden
der Kaiser!“ das war der gültige Satz. Ein Gleichnis Gottvaters waren
daher die römischen Kaiser seit den Tagen Karls des Großen .. als Gipfel
der Erdenordnung ein Gleichnis des Herrschers der Himmelshierarchie,
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