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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0021

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Zum aktuellen Stand der Forschung

17

lerweile als falsch erwiesen haben oder sich nicht durch
schriftliche Belege stützen lassen, ist die jüngere For-
schung bezüglich der Identifizierung von Familienan-
gehörigen Rembrandts auf dessen Gemälden wesent-
lich zurückhaltender.16 Albert Blankert vertritt sogar
die Ansicht, dass »despite the various >identifications<
suggested over the centuries, the only people with a
rightful claim to a place in the >family album< are Rem-
brandt himself and Saskia.«17 Ob dies zutrifft oder
nicht - für die Klassifizierung eines Bildes als Tronie
ist die Identität des dargestellten Modells letztlich
nicht von Bedeutung. Natürlich ist denkbar, ja so-
gar wahrscheinlich, dass Rembrandt unter anderem
auf Familienangehörige zurückgriff, wenn er Model-
le für seine Tronien benötigte. Dies bedeutet jedoch
nicht, dass der Meister mit den entsprechenden Bil-
dern auch Porträtabsichten verband oder intendierte,
dass potentielle Käufer die dargestellten Personen als
bestimmte Individuen erkannten.18 Dasselbe gilt für
Tronien, für die der Meister die eigenen Gesichts-
züge als Vorbild nutzte.19 Nicht haltbar ist dagegen
die Auffassung der Bauchs Monographie von 1960
vorausgehenden Forschung, dass sowohl die (ver-
meintlichen) Porträts der Angehörigen Rembrandts
als auch seine Selbstdarstellungen in Phantasietracht
als autobiographische Zeugnisse zu verstehen seien,
die der persönlichen Beziehung Rembrandts zu sei-
nen Mitmenschen Ausdruck verliehen bzw. eine
psychologisch motivierte Auseinandersetzung mit
sich selbst gespiegelt hätten.20 Dieser Sichtweise liegt
der anachronistische Versuch zugrunde, Rembrandts
künstlerische Intentionen auf der Basis einer expres-
sionistischen Kunstauffassung und moderner Psy-
chologie zu erfassen, und lässt sich historisch nicht
rechtfertigen.21
Wie Bauch verwendet auch Albert Blankert den
aus den Quellen abgeleiteten Begriff >tronie< für

eine bestimmte Werkgruppe: In seiner Monogra-
phie über Ferdinand Boi legt der Autor dar, dass das
GEuvre Rembrandts und seiner Schüler neben His-
torienbildern und Porträts »a third category, a sort
of >in-between< form«22 enthalte, die man als >trome<
bezeichnen könne. Damit führt Blankert den Begriff
als Fachterminus ein.23 Zu der entsprechenden Bild-
kategorie zählt er Einfigurenbilder in Phantasietracht
wie die von Rembrandt seit etwa 1630 gemalten
Köpfe und Halbfiguren von Orientalen, Gelehrten
oder von Figuren, die Goldketten, Helme und Ba-
rette tragen. Dabei behandelt Blankert auch Halbfi-
guren von Männern in Phantasietracht als Tronien,
die in der vorausgehenden Forschung als Selbst-
porträts betrachtet worden waren. Blankert zufolge
erfüllten Tronien sowohl didaktische als auch kom-
merzielle Zwecke: Zum einen habe ihre Anfertigung
als Übung zur Vorbereitung auf die Aufgaben des
Historien- und Porträtmalers gedient, zum anderen
seien die Bilder verkauft worden, wie sich aus der
großen Zahl der in zeitgenössischen Inventaren als
solche verzeichneten Tronien schließen lasse.24
Im Gegensatz zu Bauch weist Blankert auf die
Schwierigkeit einer klaren Abgrenzung zwischen
Porträt und Tronie sowie Historie und Tronie hin.
Allerdings unternimmt er nicht den Versuch, Ab-
grenzungskriterien zu entwickeln, die zur Klassifi-
zierung von Bildern mit nur einer Figur in phantasie-
voller Kostümierung herangezogen werden könnten.
Auch geht der Autor nicht explizit auf die funktio-
nalen Unterschiede von Porträt und Tronie ein. Dass
diese bestehen, ist allerdings eine Grundvorausset-
zung für die Konstituierung eines eigenständigen
Bildtyps >Tronie<: Die Zuordnung eines Gemäldes
zu dieser Bildkategorie macht nur dann Sinn, wenn
es sich von der Gattung Porträt in funktionaler Hin-
sicht unterscheidet. Ein Bild, das aussieht wie eine

16 Vgl. u. a. RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. A8, S. 128; Schwartz
1987, S. 61-66; Blankert 1997/98a, S. 45-49; Schwartz 2006, S.
47-51. Vgl. außerdem unten, Kap. II.1.1, S. 39f., 43, Anm. 40.
17 Blankert 1997/98a, S. 46.
18 Vgl. Vries 1989, S. 194.
19 Vgl. Wetering 1999/2000, S. 21.
20 Vgl. u.a. Valentiner 1905, S. 9-13; Valentiner o. J. [ca.
1906], S. 18-21, 44; Pinder 1943, bes. S. 3-16; Rosenberg
1948, Bd. 1, bes. S. 22-24; Hamann 1948, bes. S. 11, 13f., 22,
28-53; Münz 1953, bes. S. 148, 150, 152-153, 190; Bauch
1960, S. 168. Die Tatsache, dass Rembrandt bei der Darstellung
seiner Familienangehörigen nicht an Auftraggeberwünsche
gebunden war, konnte der frühen Forschung als Erklärung

für die unkonventionelle Darstellung der Modelle dienen, so
etwa Weisbach 1926, S. 256f., 281, 531; Rosenberg 1948, Bd.
1, S. 34f. Vgl. Raupp 1995b, S. 13.
21 Vgl. Raupp 1980, S. 7; ders. 1983, S. 415; Wetering 2003, S.
28-33.
22 Blankert 1982, S. 26. Vgl. bereits ders. 1976, S. 28. Zum
Folgenden vgl. Blankert 1982, S. 26-28, 57—59, 66f.
Blankerts auf Holländisch verfasste Dissertation liegt in
einer maschinenschriftlichen Fassung des Jahres 1976 vor, im
Folgenden wird jedoch die gedruckte, englische Version von
1982 zitiert.
23 Vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 1, S. 23, Anm. 68.
24 Vgl. unten, Kap. 1.4, S. 30f., Kap. III.5.1.
 
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