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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0026

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22

Einleitung

sein wird.60 Von Bedeutung ist zudem, dass Schna-
ckenburg Studienköpfe flämischer Künstler des 17.
Jahrhunderts, insbesondere Anthonis van Dycks, als
entscheidendes Vorbild für die Tronien des Jan Lie-
vens betrachtet.
Ebenfalls im Katalog der in Kassel und Amsterdam
gezeigten Ausstellung zum Werk des jungen Rem-
brandt erschien mein Beitrag zu terminologischen
Fragen, die den Begriff >tronie< und seine Bedeutung
im 17. Jahrhundert betreffen.61 Ein weiterer, jüngst
publizierter Aufsatz schließt an die Erkenntnisse
der vorliegenden Arbeit an und untersucht, welche
Funktionen Tronien erfüllten, die Rembrandts Schü-
ler während ihrer Tätigkeit bzw. Ausbildung in der
Werkstatt des Meisters anfertigten.62
In der bisherigen Forschung werden zwar überwie-
gend Bilder von Lievens, Rembrandt sowie dessen
Schülern und Nachfolgern als Tronien bezeichnet. Seit
dem Ende der achtziger Jahre wird der Begriff >Tronie<
allerdings auch vermehrt auf Bilder niederländischer
Maler übertragen, die nicht zu diesem Künstlerkreis
gehören. In einem Aufsatz von 1988 verwendet Josua
Bruyn die Bezeichnung >Tronie< als Oberbegriff für
die phantasievoll kostümierten Halbfiguren der Ut-
rechter Caravaggisten. Er analysiert die Ikonographie
der einfigurigen Genrebilder, erläutert jedoch nicht,
aus welchen Gründen und aufgrund welcher Krite-
rien er die Werke als Tronien klassifiziert.63
Christiane Stukenbrock führt den in der Rem-
brandt-Forschung geläufigen Tronie-Begriff für Frans
Hals’ »Darstellungen von Kindern, Musikanten,
Fischverkäufern etc.«64 ein. Dabei setzt sie als bewie-
sen voraus, dass Tronien »eine literarische oder alle-
gorische Identität« besitzen. Dies hat zur Folge, dass
sich aus Stukenbrocks Sicht ein Bild wie Hals’ La-
chender Junge in Den Haag (Mauritshuis) [Kat. 203,
Taf. VI] nicht ohne weiteres dem Bildtyp der Tronie
zuordnen lässt.65 Problematisch ist, dass die Autorin

60 Vgl. hierzu ausführlich unten, Kap. II.1.1, S. 43f.
61 Hirschfelder 2001/02.
62 Hirschfelder 2006.
63 Bruyn 1988a.
64 Stukenbrock 1993, S. 36. Das folgende Zitat ebd. Stukenbrock
stützt sich auf Bruyn 1982, S. 40, Anm. 8; Raupp 1990a, S.
205.
65 Vgl. Stukenbrock 1993, S. 76f., 80.
66 Seelig 1997, S. 120-126.
67 E Lammertse in Kat. Rotterdam 1998, Kat. Nr. 41-43, S.
126-131. Auch Muylle 2001, S. 123-125, zufolge stehen van

die Kriterien, aufgrund derer Hals’ Einfigurenbilder
als Tronien klassifiziert werden können, nicht an-
hand der Werke selbst ermittelt, sondern stattdessen
eine nur in Ansätzen entwickelte, nicht ausreichend
erprobte Definition aus einem anderen Forschungs-
zweig zur holländischen Kunst übernimmt.
Überzeugender ist demgegenüber Gero Seeligs
Verwendung des Begriffs für Abraham Bloemaerts
Brustbilder alter Männer und Frauen in bäuerlicher
Kleidung, da der Autor die Werke zu den Tronien
Rembrandts und Lievens’ in Beziehung setzt und
charakteristische Übereinstimmungen feststellt.66
Neben den Einfigurenbildern des Frans Hals wer-
den in der jüngeren Forschung auch Köpfe, Brustbil-
der und Halbfiguren anderer Haarlemer Maler dem
Bildtyp der Tronie zugeordnet. Dies gilt z.B. für
Adriaen van Ostades Brustbilder und Halbfiguren
von Bauern, die Friso Lammertse mit der von Pieter
Bruegel d. Ä. begründeten Tradition der Darstellung
isolierter Bauernköpfe in Verbindung bringt.67 In an-
derem Zusammenhang weist Lammertse darauf hm,
dass Tronien eine wichtige Bildgruppe innerhalb des
CEuvres des Haarlemer Malers Salomon de Bray aus-
machen.68 Pieter Sutton stellt dasselbe für de Brays
Malerkollegen Pieter de Grebber fest.69 Welche Werke
im Einzelnen zu den Tronien der genannten Meister
zu zählen sind und wie sie sich von anderen Einfi-
gurenbildern der Maler abgrenzen lassen, wird aller-
dings nicht thematisiert.
Als weitere Maler, auf deren Tronien sich in jüngs-
ter Zeit das Interesse der Forschung richtete, sind
schließlich Michael Sweerts und Johannes Vermeer
zu nennen. Dem Schaffen von Sweerts wurde im Jahr
2002 eine in Amsterdam, San Francisco und Hartford
gezeigte Ausstellung gewidmet, auf der auch mehre-
re Tronien des Meisters präsentiert und im Katalog
als solche besprochen wurden.70 Ebenso hat sich für
Vermeers Brustbilder phantasievoll kostümierter
Mädchen die Beurteilung als Tronien durchgesetzt.71

Ostades Bauerntronien in der Tradition der Charakterköpfe
Bruegels d. Ä.
68 E Lammertse in Kat. Rotterdam / Frankfurt 1999/2000,
Kat. Nr. 9, S. 100-103.
69 Sutton 1995, S. 242.
70 Kat. Amsterdam / San Francisco / Hartford 2002, Kat. Nr.
XXII-XXV, S. 142-151, Kat. Nr. XXVII-XXVIII, S. 154-157.
Vgl. auch Sutton 2002, S. 22f.
71 Kat. Washington / Den Haag 1995/96, Kat. Nr. 14, 15, S.
160-169; Kat. New York / London 2001, Kat. Nr. 74, 75, S.
386-393; Kat. Den Haag 2004a, Kat. Nr. 59, S. 259.
 
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