Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0046

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
42

Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahre

gründ erscheinen, phantasievoll kostümiert sind und
in keinem Fall eine ikonographisch genau bestimm-
bare Rolle einnehmen, können sie zur behandelten
Bildgruppe hinzugerechnet werden - immer voraus-
gesetzt, dass es sich nicht um Porträts handelt.
Geht man vom heutigen Stand der Forschung und
damit den aktuellen Zuschreibungen an Rembrandt
aus, so sind aus seiner Schaffenszeit in Leiden etwa 17
Brustbilder erhalten [Kat. 381, Taf. 80, Kat. 385-387,
Taf. 81, Kat. 389-398, Taf. 82-84], darunter sieben
Selbstdarstellungen.34 Die Figuren entsprechen im We-
sentlichen den auch bei Lievens anzutreffenden Typen.
Rembrandt malte Greise in auffälliger, auch orientali-
sierender, oder schlichter Kostümierung, Greisinnen in
reicher, phantasievoller Tracht sowie (junge) Männer
mit oder ohne Barett und Halsberge, wobei es sich
bei Letzteren häufig um Selbstdarstellungen handelt.
Im Unterschied zu Lievens fällt auf, dass Rembrandts
Figurenspektrum in der Frühzeit eingeschränkter ist.
Weder junge Frauen noch Kinder kommen vor.
Die größte Gruppe unter Rembrandts Büsten der
Leidener Zeit bilden seine heute als Tronien betrach-
teten Selbstdarstellungen [Kat. 386, 387, Taf. 81, Kat.
390, Taf. 83, Kat. 391, Taf. 83, Kat. 396, 397, Taf. 84].35
In der Forschung ist hinlänglich erörtert worden, dass
der Meister anhand dieser Bilder unterschiedliche
Haltungen, Gesichtsausdrücke und Möglichkeiten
der Lichtführung studierte, aber auch mit verschie-
denen malerischen Vortragsweisen experimentierte.36
Gerade, was den letzten Punkt betrifft, ist festzustel-
len, dass Rembrandts frühe Brustbilder in der Art der
maltechnischen Ausführung besonders stark variie-
ren.37 Das breite Spektrum verschiedener Malweisen
34 Zur Zuschreibung der als authentisch akzeptierten Tronien
Rembrandts aus den Leidener Jahren vgl. RRP 1982-2005, Bd.
1, Kat. Nr. A8, A14, A19, A20, A27, A29, A33 (die Authentizität
von RRP I A33 wird neuerdings bezweifelt in RRP 1982-2005,
Bd. 4, S. 91f., 179f., 601), Bd. 2, Kat. Nr. A40a; Kat. Melbourne
/ Canberra 1997/98, Kat. Nr. 4, S. 96-98; Kat. London / Den
Haag 1999/2000, Kat. Nr. 8, S. lOOf, Kat. Nr. 14a, S. 112-117,
Kat. Nr. 18, S. 122f.; Kat. Kassel / Amsterdam 2001/02, Kat.
Nr. 75, S. 356-359, Kat. Nr. 79, S. 366-369; Kat. Den Haag
2004a, Kat. Nr. 46, S. 200-204; RRP 1982-2005, Bd. 4, S. 166,
602 (RRP I B5), S. 629-636 (RRP II C61); Wetering 2005b,
S. 172, Anm. 225. Vgl. außerdem RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat.
Nr. B4, B7. Zur Zuschreibung von RRP B4 an Rembrandt vgl.
Liedtke 1995a; Kat. Boston 2000/01, Kat. Nr. 17, S. 117-120.
35 Zur Bewertung der frühen Selbstdarstellungen Rembrandts
als Tronien vgl. Bruyn / Wetering 1982, S. 8; RRP 1982—
2005, Bd. 1, Kat. Nr. A33, S. 326, Bd. 2, Kat. Nr. A71, S. 336;
Bruyn 1989, S. 25; Kat. London / Den Haag 1999/2000,

reicht von einer glatten, sorgfältig-detaillierten Aus-
arbeitung [Kat. 381, Taf. IV] über eine stellenweise
flottere, assoziative Darstellung von Materialien und
Oberflächenstrukturen [Kat. 394, Taf. V] bis hin zur
Demonstration einer durch breite Pinselschläge cha-
rakterisierten rauen Manier [Kat. 392, Taf. V], bei der
die Farbmaterie stofflichen Eigenwert erhält.38
Die betonte Artikulation künstlerischer Gestal-
tungsmöglichkeiten, die sich bisweilen in einer un-
gewöhnlich freien, sogar skizzenhaften malerischen
Vortragsweise äußert, ist ein wesentliches Merkmal
der frühen Tronien Rembrandts. Auch hinsichtlich
der Lichtbehandlung erweist er sich als vielseitig;
charakteristisch ist dabei wie bei Lievens die poin-
tierte Zuspitzung auf besonders effektvolle Kon-
trastwirkungen. In gegenüber seinem Malerkollegen
noch verstärktem Maße interessierte sich Rembrandt
darüber hinaus für die nuancenreiche Wiedergabe
unterschiedlicher Oberflächenstrukturen und die je
nach Material spezifische Reflexion des Lichtes. So
tritt die differenzierte Darstellung des Kostüms und
seiner stofflichen Beschaffenheit bei Lievens’ männ-
lichen Tronien gegenüber der Konzentration auf die
lebendige Gestaltung des Gesichts oftmals zurück.
Rembrandt dagegen stattete seine Brustbilder schon
sehr früh mit besonders aufwendigen Kostümen aus
[Kat. 381, Taf. IV, 80, Kat. 385, Taf. 81],
Eine wesentliche Gemeinsamkeit der Tronien
Lievens’ und Rembrandts besteht in ihrer natur-
nahen Darstellungsweise. Rembrandt ging wie Lie-
vens vom lebenden Modell aus, worauf die wieder-
holte Verwendung wiedererkennbarer Individuen
schließen lässt. Nicht nur >Rembrandts Mutten,39
sondern auch der alte Mann, der in der älteren For-
Kat. Nr. 5, S. 95, Kat. Nr. 8, S. 100, Kat. Nr. 10, S. 106, Kat.
Nr. 14a+b, S. 117, Kat. Nr. 18, S. 122; Wetering 2005b, S.
172-178.
36 Vgl. u.a. Bauch 1960, S. 174-176; Bruyn / Wetering 1982, S.
8; RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. A14, S. 172, Kat. Nr. A19, S.
216f., Kat. Nr. A20, S. 222; Kat. Nr. A33, S. 326f.; Raupp 1984,
S. 250-252; Tümpel 1986, S. 64; Veen 1997/98, S. 69; Wete-
ring 1999/2000, S. 21; Kat. London / Den Haag 1999/2000,
Kat. Nr. 5, S. 95, Kat. Nr. 7, S. 98, Kat. Nr. 10, S. 106, Kat. Nr.
14a, S. 113, Kat. Nr. 18, S. 122; Wetering 2005b, S. 158-166.
37 Vgl. Bruyn / Wetering 1982, S. 7f.; RRP 1982-2005, Bd. 1,
S. 326; Schatborn 1986, S. 61; Wetering 2005b, S. 111.
38 Zur Malweise der aufgeführten Tronien vgl. RRP 1982-2005,
Bd. 1, Kat. Nr. A8, S. 126-128, Kat. Nr. A29, S. 285, 289, Kat.
Nr. B6, S. 427f. Gerade ihre unterschiedliche Ausführung er-
schwert die Zuschreibung vieler Tronien der Leidener Zeit
an Rembrandt.
39 Vgl. oben, S. 39f.
 
Annotationen