Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0048

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
44

Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahr<

ckenburg aufgestellten Bildgruppen gemeinsam ist.
Zwar trifft es zu, dass Rembrandt bei besonders rau
gemalten Tronien häufig auf aufwendige Kostüme
verzichtete. >Ausdruck< im Sinne der Demonstration
künstlerischer Mittel und der veristischen Darstellung
eines individuellen, besonders charaktervollem Ge-
sichts zeichnet jedoch auch die von Schnackenburg als
>Kostümtronien< definierten Figuren aus. Somit ist es
kaum gerechtfertigt, sie unter der Prämisse, dass die
reiche Ausstaffierung als primäres Merkmal der Bilder
zu werten sei, explizit von den >Ausdruckstronien< ab-
zuheben. Darüber hinaus variiert der Grad der reichen
Ausstattung von Rembrandts >Kostümtronien< so
sehr, dass ihre Unterscheidung von den >Ausdrucks-
troniem auch aus diesem Grund schwer fällt. So fragt
sich z. B., ob eine Tronie wie Rembrandts Alter Mann
mit Mütze und goldener Kette (Privatbesitz) [Kat.
398, Taf. 84] aufgrund des Schmucks und Pelzmantels
zu den >Kostümtronien< gezählt werden sollte oder
wegen der malerisch-freien Ausführung des Gesichts
eher zu den >Ausdruckstronien<. Gleiches gilt, wenn
man Schnackenburgs Terminologie auf Lievens’ Tro-
nien zu übertragen sucht - die Alte Frau mit buntem
Kopftuch [Kat. 284, Taf. IV] z.B. kann trotz der exo-
tisch wirkenden Kopfbedeckung kaum ausschließlich
als >Kostümtronie< bewertet werden, da das beleuch-
tete und detailreich geschilderte Gesicht der Alten
zentrales Thema des Bildes ist. Aus diesen Gründen
verzichte ich auf die Übernahme der von Schnacken-
burg gebrauchten Begriffe.

1.2 Lievens als Initiator in Leiden
Die Auseinandersetzung mit Lievens’ Werk ist in der
Forschung eng an die Untersuchung seiner künstle-
rischen Beziehung zu Rembrandt geknüpft.47 Dem-
entsprechend wird auch immer wieder die Frage
nach einer möglichen Führungsrolle des einen oder
anderen Malers in der Leidener Zeit gestellt. Wäh-
rend in der frühen Forschung häufig die Abhängig-
keit Lievens’ von dem begabteren Rembrandt be-
tont wurde, setzte sich in der Folge immer mehr die
Auffassung durch, dass es zunächst Rembrandt war,
der sich am Werk seines künstlerisch erfahreneren
Kollegen orientierte.48 Folgt man den Angaben Jan
Orlers’, muss Lievens seine Ausbildung, die er zu-
nächst bei Joris van Schooten begann und mit einer
zweijährigen Lehrzeit bei Pieter Lastman abschloss,
zwischen 1619 und 1621, also mit 12-14 Jahren be-
endet und sich der selbständigen Arbeit zugewandt
haben.49 Damit war er Rembrandt, der nicht früher
als um 1620 in die Lehre eintrat, in seiner künstleri-
schen Entwicklung voraus.50 Dies erklärt, warum die
Forschung Lievens wiederholt eine die ersten Lei-
dener Jahre bestimmende Vorreiterrolle zuerkennt,
was allerdings selten anhand von Bildbeispielen kon-
kretisiert wird.51 In der aktuellen Diskussion wird
die Beziehung der beiden Künstler verstärkt als ge-
genseitiger Austausch, als Dialog oder gemeinsame
Suche nach neuen Wegen in der Malerei, gleichzeitig
aber auch als Konkurrenzverhältnis verstanden.52 So

47 In jüngerer Zeit widmeten sich eine Ausstellung und eine Dis-
sertation der Untersuchung des beiderseitigen Verhältnisses
der Künstler: Kat. Leiden 1991; Gutbrod 1996. Schon die
frühe Beschäftigung Kurt Bauchs mit Lievens entstand aus
dem Bestreben, ein möglichst konturiertes Bild des jungen
Rembrandt zu gewinnen. Vgl. Bauch 1939; Bauci-i 1960, S.
112-119, 208-218; Bauch 1967. Eine 1979 in Braunschweig
organisierte Ausstellung versuchte, Lievens als unabhän-
gigem Künstler zu neuem Recht zu verhelfen, doch blieb
die Beurteilung von Lievens’ Kunst im Ausstellungskatalog
an die Gegenüberstellung mit Rembrandt gebunden, Kat.
Braunschweig 1979; darin bes. Bialostocki 1979.
48 Für eine zusammenfassende Diskussion der Forschung vgl.
Gutbrod 1996, S. 13-38. Zur Auffassung, Lievens habe in der
Frühzeit anregend auf Rembrandt gewirkt, vgl. BlALOSTOCKi
1979, S. 15; Schwartz 1987, S. 78-90, bes. S. 80; Wetering
1991/92, S. 26-30; Sumowski 1983-1994, Bd. 3, S. 1764f.; We¬
tering 2001/02a, S. 39f., 49-55. Schon Schneider betont in
seiner 1932 erschienenen Monographie, dass Lievens Rem-
brandt »in starkem Masse angeregt haben muss.« Schneider
/ Ekkart 1973, S. 20.

49 Orlers 1641, S. 375f. Einige Autoren gehen davon aus, dass
Lievens’ Amsterdamer Lehrzeit von 1617—19 dauerte, vgl.
Kat. Leiden 1991, S. 82; Wetering 2001/02a, S. 39. Andere
geben die Jahre 1619-21 an, vgl. Schneider / Ekkart 1973, S.
2; Kat. Braunschweig 1979, S. 36; Gutbrod 1996, S. 45-48.
50 Orlers 1641, S. 375, erwähnt eine dreijährige Lehrzeit
Rembrandts bei Jacob Isaacsz. van Swanenburg und eine
anschließende halbjährige Ausbildung bei Pieter Lastman.
Da Rembrandt am 20. Mai 1620 an der Leidener Universität
eingeschrieben wurde, ist ein früherer Antritt seiner Lehre
nicht wahrscheinlich. Vgl. Tümpel 1986, S. 13; Kat. Berlin /
Amsterdam / London 1991/92a, S. 10; Wetering 2001/02a,
S. 44. Schwartz 1987, S. 20f., glaubt, Rembrandt habe seine
Lehre bereits 1623 beendet. Broos 2000, plädiert dafür, dass
Rembrandts Ausbildung bei Lastman erst 1625/26 stattfand.
51 Trotz dieser Einschätzung beruhen z.B. die Datierungen von
Lievens’ Bildern im Katalog der Braunschweiger Ausstel-
lung vielfach auf ihrer Bewertung als Reaktionen auf Werke
Rembrandts. Vgl. Kat. Braunschweig 1979, Kat. Nr. 10-13,
S. 56, Kat. Nr. 15, S. 64, Kat. Nr. 22, S. 78, Kat. Nr. 23, S. 80.
52 Tümpel 1986, S. 41-47; Wetering 1991; Schnackenburg
2001/02, S. 102; Wetering 2001/02a, S. 49-55.
 
Annotationen