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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0084

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Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahre

größeren Formats ihrer Attribute, wie die Beispiele
des Peeckelhaering und der >ZzgezmerzA< zeigten.
Dieser Vorgang kann ebenfalls als Prozess der Re-
duktion begriffen werden und stellt ein wichtiges
Phänomen bei der Schöpfung von Tronien dar.
Die auf ein Kopf- oder Schulterstück beschränkten
Tronien von Frans Hals zeigen bemerkenswerterwei-
se ausnahmslos Kinder. Bei keinem zu Hals’ Lebzei-
ten tätigen holländischen Künstler lassen sich meiner
Kenntnis nach frühere Beispiele für eine solcherart
reduzierte Wiedergabe dieses Sujets finden. Anders
verhält es sich in der flämischen Malerei, wo Kopf-
studien von Kindern bereits vor 1620 auftreten. Erik
Larsen verzeichnet drei Kopfstudien von Knaben
mit gelocktem Haar, die er als Werke Anthonis van
Dycks deklariert.292 Diese Zuschreibungen werden
von der aktuellen van Dyck-Forschung nicht be-
stätigt.293 Einer der Kinderköpfe [Kat. 503, Taf. 104]
zeigt jedoch hinsichtlich Figurentypus und Formbil-
dung Ähnlichkeit mit Rubens’ Gemälde eines Kindes
mit Vogel [Kat. 499, Taf. 104], das Rubens ca. 1614
begann und 1624/25 teilweise übermalte.294 Vermut-
lich entstand die anonyme Tronie also im Umkreis
Rubens’. Ob freilich Larsens’ Datierung des Bildes
um 1617/18 zutrifft, bleibt zu prüfen. In jedem Fall
ist die Studie in mancher Hinsicht mit Hals’ Haager
Tronie des lachenden Knaben vergleichbar. Wie diese
zeigt das anonyme Werk nur den Kopf des Kindes.

Zudem ist ihm, wie bei flämischen Kopfstudien üb-
lich, keinerlei Beiwerk zugefügt. Eine weitere Ähn-
lichkeit besteht in der freien Ausführung der Ge-
mälde. Die flämische Tronie ist mit breiten, deutlich
sichtbaren Pinselstrichen und in stellenweise pas-
tosem Farbauftrag wiedergegeben. Der Schulterbe-
reich ist wie bei Hals nur andeutend skizziert. Auch
die Art, wie Hals die Haare seines Knaben modelliert
und an verschiedenen Stellen des Kopfes sehr helle
Lichtreflexe mit einigen parallelen Strichen setzt, die
dem Verlauf der Haare folgen, erinnert an flämische
Vorbilder. Emer vergleichbaren Darstellungsweise
bediente sich Rubens in seiner Studie Zweier kleiner
Kinder im Bett (Tokyo, National Museum of Wes-
tern Art) [Kat. 498] von ca. 16 1 2/13.295 Dem porträt-
haften Charakter von Hals’ Haager Kindertronie,
der sich durch die aufrechte Haltung und frontale
Ansicht des Kindes ergibt, steht allerdings Jordaens’
Studie eines Kindes mit Apfel (Privatbesitz) [Kat.
249] näher.296
Da Hals’ sich 1616 nachweislich für drei Monate
in Antwerpen aufhielt, kannte er flämische Kopf-
studien wahrscheinlich aus eigener Anschauung.297
Ähnlich wie Lievens, dürften diese dem Haarlemer
Meister eine wichtige Anregung für die Reduktion
seiner genrehaften Einfigurenbilder auf den Kopf der
Figuren geliefert haben.

292 Larsen 1988, Bd. 2, Kat. Nr. 118, 119, 130, S. 60f.
293 Barnes et al. 2004, nehmen keine der drei bei Larsen auf-
geführten Studien von Kinderköpfen als authentische Werke
van Dycks auf. Die einzige Ölskizze eines Kinderkopfes (Pa-
pier auf Holz, 38 x 29,5 cm, unbekannter Besitz), die Barnes
ET AL. 2004, Kat. Nr. III. 198, verzeichnen, stammt H. Vey,
dem Autor des betreffenden Abschnitts, zufolge aus der
zweiten Antwerpener Periode (1627—1632).
294 Zur Datierung des Bildes vgl. Kat. Haarlem / Antwerpen
2000/01, Kat. Nr. 16, S. 122-124.

295 Zu Zuschreibung, Datierung und Sujet des Bildes vgl. Held
1980, Bd. 1, Kat. Nr. 439, S. 603-606.
296 Bei Jordaens’ Studie handelt es sich um das Fragment einer
Ölskizze, auf der ursprünglich zusätzlich eine Frau im Profil
links von dem Kinderkopf dargestellt war, M. Vandenven in
Kat. Antwerpen 1993a, Kat. Nr. Al7, S. 86. Vandenven da-
tiert das Bild um 1620.
297 Thiel-Stroman 1989/90, Dok. 17, S. 377, Dok. 22, S. 378.
 
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