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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0107

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Erscheinungsformen des holländischen Porträts 1615-1633

95

liehen Niederlanden - in den letzten Jahrzehnten des
16. Jahrhunderts stark zurück und fand keine nen-
nenswerte Fortsetzung in der Folgezeit.100
Der erste im 17. Jahrhundert aktive holländische
Maler, der sich in größerem Umfang mit der Aufga-
be des portrait historie als Brustbild oder Halbfigur
auseinandersetzte, war Gerard van Honthorst. Nach
seiner Rückkehr aus England malte er in erster Li-
nie adlige Auftraggeber, die zur Familie oder zum
Hof des Statthalters Frederik Hendrik oder des böh-
mischen Königs Friedrich V. von der Pfalz gehörten,
in verschiedenen, vornehmlich mythologischen Rol-
len, aber auch als biblische und historische Figuren
sowie in pastoraler Verkleidung als Schäfer und
Schäferinnen. Amalia van Solms beispielsweise ließ
sich 1632 als Diana (Wörlitz, Gothisches Haus) [Kat.
236] und 1633 als Esther (Northhampton/Mass.,
Smith College Museum of Art) [Kat. 241] darstellen,
ihre Schwester Elisabeth van Solms figurierte 1632 als
Minerva (unbekannter Besitz) [Kat. 237, Taf. 51]. Die
beiden ältesten Kinder des Winterkönigs, Karl Lud-
wig und Elisabeth, erscheinen auf Pendantbildnissen
von ca. 1632 als Apollo und Diana (München, Alte
Pinakothek) [Kat. 233-234].101 Von der Tracht und
den beigegebenen Attributen abgesehen, unterschei-
den sich die Bildnisse nicht von den in den zwanzi-
ger und frühen dreißiger Jahren allgemein üblichen
Darstellungsnormen und -konventionen emfigunger
Bildnisse in zeitgenössischer Kleidung.
Dies gilt auch für eine weitere Gruppe von Por-
träts, mit deren Herstellung Honthorst neben der
Produktion von portraits historzes zu Beginn der
dreißiger Jahre begann. Es handelt sich dabei um
Bildnisse in Phantasietracht, denen der Meister kei-
nerlei Attribute beigab und die damit offenbar nicht
auf eine bestimmte Rolle festgelegt waren. Ein gutes
Beispiel hierfür ist das 1632 geschaffene Bildnis der
Amalia van Solms in rotem Brokatgewand und mit
Schleier in Utrecht (Centraal Museum) [Kat. 235,

Taf. XVII, 51]. Kragen und Manschetten, welche
die zeitgenössische Mode vorsah, fehlen; stattdessen
entspricht Amalias leuchtend rotes Kleid mit dem
ovalen Ausschnitt, den weiten Puffärmeln und dem
an der Schulter mit Juwelen festgesteckten Tuch den
Kostümen, welche die Dargestellten auf Honthorsts
Historien sowie auf seinen mehrfigurigen, aber auch
auf den einfigurigen portraits histories tragen. Auch
Elizabeth Stuart und andere Mitglieder des Hofes
ließen sich auf diese Weise porträtieren.102 Aufgrund
der fehlenden Festlegung durch Attribute oder an-
dere Kennzeichen erlaubt die Kostümierung der Dar-
gestellten unterschiedliche Assoziationen. Diese sind
allerdings ohne Zweifel an die Sphäre der Historien-
malerei gebunden, wie aus der kostbaren Tracht der
Figuren, die sich deutlich von den Kostümen der Gen-
refiguren Honthorsts unterscheidet, zu schließen ist.
Da das charakteristische Merkmal der Porträts
die Einkleidung der Dargestellten in phantasievolle
Tracht ist, bietet sich ihre Bezeichnung als >Kos-
tümporträts< an. Wie in Kapitel III. 1 dargelegt wird,
handelt es sich bei anderen zu Beginn der dreißiger
Jahre in den Nördlichen Niederlanden produzierten
Einfigurenbildern in fiktiver Kostümierung und
ohne Attribute in der Regel um Tronien, nicht aber
um Bildnisse. Somit war Honthorst zu dieser Zeit ei-
ner der wenigen niederländischen Künstler, die auf
eine genauere inhaltliche Festlegung von Porträts in
Phantasietracht verzichteten.103
Die wohl größte Gruppe halbfigunger Einzel-
porträts, auf denen die Dargestellten keine zeitge-
nössische Kleidung tragen, machen im untersuchten
Zeitraum pastorale Bildnisse aus. Wie schon erwähnt,
beschäftigte sich Paulus Moreelse bereits zu Beginn
der zwanziger Jahre mit dieser Form des Porträts.
Während Moreelse jedoch vor allem ganzfigurige
Darstellungen schuf, verlegten sich andere Utrechter
Maler darauf, auch pastorale Einzelbildnisse in Halb-
figur oder als Brustbild zu malen.104 Als eines der

100 Wishnevsky 1967, S. 33—38. Als eines der wenigen Beispiele
für ein Gemälde des 17. Jahrhunderts, bei dem es sich ver-
mutlich um einportrazi historie in Gestalt einer Heiligen han-
delt, kann Hendrick Bloemaerts Halbfigur einer Jungen Frau
in Gestalt der Heiligen Agnes (Holz, 72,4 x 58,4 cm, bez.: H
Bloemaertft / A° 1641, unbekannter Besitz, Roethlisberger
1993, Bd. 1, Kat. Nr. H78, Bd. 2, Fig. H79) angeführt werden.
Jonge 1938, Kat. Nr. 258, S. 118, Abb. 162, schreibt das Bild
noch Paulus Moreelse zu. Vgl. dagegen die Zuschreibung an
Hendrick Bloemaert bei Domela Nieuweni-iuis 2001, Bd. 2,
Kat. Nr. SZH96, S. 742.
101 Vgl. Judson / Ekkart 1999, S. 30.

102 Vgl. z. B. Honthorsts Porträt von Elizabeth Stuart von Böh-
men in Phantasietracht im Profil (Den Haag, Stichting Histo-
rische Verzamelingen van het Huis Oranje-Nassau), Judson
/ Ekkart 1999, Kat. Nr. 337, PI. 226 [Kat. 239],
103 Auch für Cornelis van Poelenburch lässt sich ein Kostümporträt
nachweisen, vgl. unten, S. 96, Anm. 106. Interessant ist in diesem
Zusammenhang, dass van Poelenburch in den zwanziger und
dreißiger Jahren ebenso wie Honthorst für den Oranierhof
und das böhmische Königspaar tätig war, Sluijter-Seijffert
1984, S. 30f.
104 Vgl. Sluijter-Seijffert 1984, S. 110; Kettering 1983, S. 63f.;
Brink 1993/94, S. 13.
 
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