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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0109

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Erscheinungsformen des holländischen Porträts 1615-1633

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keine bestimmte Rolle einnehmen, ist eine stärkere
inhaltliche Festlegung zu konstatieren als bei den
erwähnten >Kostümporträts<. Die Bildnisse bezie-
hen sich auf den Ideenhorizont der zeitgenössischen
pastoralen Literatur und Dichtung, die sich an den
Maßgaben einer bis in die Antike zurückreichenden
Tradition orientierte, und können mit den an diese
geknüpften aristokratisch geprägten Konzepten ei-
ner idealen und fiktiven Lebensweise in Verbindung
gebracht werden.111 Die >Kostümporträts< dagegen
sind nicht in dieser Weise thematisch gebunden: Wie
der Vergleich mit anderen Werken Honthorsts evi-
dent macht, wäre ihre reiche Phantasietracht ebenso
für eine historische wie auch für eine mythologische
oder literarische und sogar für eine pastorale Figur
geeignet. Aus diesen Gründen scheint es sinnvoll,
pastorale Porträts, auch dann, wenn sie nicht als eine
bestimmte fiktive Gestalt zu erkennen sind, zu den
portraits histories zu zählen.
Eine ähnliche Zwischenstellung nehmen auch
verkleidete Bildnisse ein, die durch Kostüm und/
oder Attribute zwar einem bestimmten Figuren-
typ zugeordnet, jedoch nicht als eine benennbare
Person identifiziert werden können. So präsentiert
Honthorst beispielsweise Friedrich V. auf einem
- wenn auch erst ca. 1635 geschaffenen - Gemälde
in London (National Portrait Gallery) [Kat. 242, Taf.
51] als römischen Kaiser, indem er ihn in antikisie-
render Kleidung und mit Lorbeerkranz darstellt.112
Die Festlegung auf einen bestimmten Herrscher lässt
sich jedoch nicht feststellen, vielmehr setzt das Bild
offensichtlich die antike Tradition des Kaiserporträts
fort.113 In bestimmten Fällen, etwa bei Honthorsts
Porträt von Elizabeth Stuart mit Krone und Zepter
(unbekannter Besitz) [Kat. 240], lässt sich zudem
nicht mit Sicherheit sagen, ob die Darstellung einer
bestimmten historischen oder fiktiven Persönlich-
keit intendiert war oder ob sich die inhaltliche Fest-
legung auf die Veranschaulichung eines Typus - bei
Honthorsts Bild auf den der mächtigen Herrscherin
- beschränkt.114

2.6 Fazit
Die relativ geringe Zahl von insgesamt kaum mehr
als 30 identifizierbaren portraits histories und Kos-
tümporträts, die für den Untersuchungszeitraum
ermittelt werden konnten, erklärt sich zweifellos
daraus, dass solche Werke erst in den 1620er Jahren
in Mode kamen. Für unsere Fragestellung entschei-
dend ist, dass keines der Gemälde, abgesehen von
der Tracht und den Attributen der Auftraggeber, von
den für konventionelle Porträts in der fraglichen Pe-
riode verbindlichen Darstellungskonventionen und
den entsprechenden Motiven des Codes abweicht:
Die Bildnisse sind charakterisiert durch eine auf-
rechte Haltung mit erhobenem Kopf, durch einen
ernsten Gesichtsausdruck, zurückhaltende Gestik,
gleichmäßige Beleuchtung ohne Forcierung starker
Hell-Dunkel-Kontraste und damit verbunden gut
erkennbare Gesichtszüge. Sie weisen eine detaillierte
Malweise mit insbesondere im Gesicht sorgfältigem
Farbauftrag auf, bei dem auf die Betonung der Hand-
schrift des Künstlers verzichtet wird. Der Blick der
Dargestellten ist - abgesehen von Profilbildnissen -
zum Betrachter gerichtet. Dieselben Beobachtungen
konnten für Porträts in zeitgenössischer Tracht ge-
troffen werden.
Weiterhin ist festzuhalten, dass sich die Verklei-
dung der Dargestellten sowohl xmportrait historie als
auch im Kostümporträt in der Regel durch Buntfar-
bigkeit, besonderen Reichtum und Vielfältigkeit der
Stoffe und Schmuckelemente sowie damit verbunden
eine Reihe aufwendiger Details auszeichnet. Nur in
pastoralen Porträts fällt die Kleidung gelegentlich
schlichter aus, aber auch hier tragen die Damen im
Gegensatz zu vielen halbfigungen Genrebildern
meist kostbaren Perlenschmuck.
Der Bildbefund spricht klar gegen die Annah-
me, dass eine unkonventionelle Darstellungsweise,
die ein Einzelbildnis in Phantasietracht in die Nähe
einfigunger Genre- bzw. Historienbilder oder Tro-
nien gerückt hätte, im Untersuchungszeitraum von

111 Kettering 1983, S. 10f., 35, 64-66. Zur holländischen Hir-
tendichtung vgl. Kettering 1983, S. 19-31; Smits-Veldt /
Luijten 1993/94. Zur aristokratischen Prägung pastoraler
Porträts vgl. Kettering 1983, bes. S. 8-13, 67-69, 71-77.
112 Für weitere Porträts in entsprechender Verkleidung vgl. Jud-
son / Ekkart 1999, Kat. Nr. 332, PI. 222, Kat. Nr. 343, PI.
233, Kat. Nr. 358, Pl. 251.
113 Zur Deutung der Rolle des Dargestellten als der eines >römischen

Kaisers< vgl. Kat. San Francisco / Baltimore / London
1997/98, Kat. Nr. 27, S. 210-213; Kat. Amberg 2003, Kat. Nr.
13.2, S. 369 (erweiterter Text auf der zugehörigen CD-ROM).
114 Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 339, Pl. 228. In Kat. Amberg
2003, Kat. Nr. 12.2, S. 361 (erweiterter Text auf der zuge-
hörigen CD-ROM), wird in Anlehnung an Klooster 1999,
angenommen, Elizabeth sei als biblische Fürstin Esther dar-
gestellt.
 
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