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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0115

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Möglichkeiten der Unterscheidung von Porträt und Tronic

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oder sein Trinkender Junge (Schwerin, Staatliches
Museum) [Kat. 213, Taf. 45] entsprechende Tätig-
keiten ausführen. Im Porträt ließ man sich weder sin-
gend noch trinkend darstellen. Zwar kommt es vor,
dass ein Auftraggeber ein Glas in der Hand hält. So
stellte etwa Pickenoy den Weinhändler Maerten Rey
(gest. 1632) (Amsterdam, Rijksmuseum) [Kat. 128] in
einem 1627 gemalten Porträt als Verweis auf dessen
Beruf mit Weinrömer dar.14 Den Vorgang des Trin-
kens zu zeigen, war jedoch nicht üblich.
Führt die Figur auf einer Tronie eine bestimm-
te Handlung aus, so sind hiermit häufig spezifische
Gesten verbunden, die nicht unbedingt zum Code
der Porträtmalerei gehörten. Hierzu zählt z.B. die
Geste von Hals' Singendem Mädchen: Das Heben
der Hand mit ausgestreckten Fingern und zum Be-
trachter gewandter Handfläche findet sich regelmä-
ßig auf Genrebildern singender Figuren, nicht aber
auf Porträts.15
Auch die Körperhaltung von Tronien, die sich
wie ihre Gestik nach der Tätigkeit der Figur oder ih-
rem Affektausdruck richtet, ist in bestimmten Fällen
nicht mit den Konventionen der Porträtmalerei zu
vereinbaren. Dies verdeutlicht Hals’ Leipziger Pee-
ckelhaenng [Kat. 219, Taf. 47], der seinen Kopf beim
Lachen zurückwirft, sowie der Violine spielende
Junge in Montreal [Kat. 212, Taf. 44], bei dem das
Zurücklegen des Kopfes eine für Porträts der Zeit
unzulässige Verkürzung des Gesichtes bewirkt. Des
Weiteren kann die Haltung unter Umständen auch
bei Figuren, die keine bestimmte Handlung ausfüh-
ren und einen indifferenten Gesichtsausdruck zeigen,
zur Unterscheidung von Porträts dienen. Dies ist vor
allem bei Tronien von Greisen und Greisinnen der
Fall, die sich nicht aufrecht halten, sondern die Schul-
tern hängen und das Kinn wie Lievens’ Kahlköpfiger
Mann in Dublin (National Gallery of Ireland) [Kat.
283] auf die Brust sinken lassen.
Das Dubliner Bild zeigt den alten Mann inter-
essanterweise im Profil - eine Ansicht, die Lievens
unabhängig von Geschlecht und Alter der Figuren

ausgesprochen häufig für seine Tronien verwandte
[vgl. Kat. 282, 284, Taf. 59, Kat. 283, Kat. 286-287,
Taf. 60].16 In der Porträtmalerei kommen im Unter-
suchungszeitraum nur sehr wenige Profilköpfe vor.17
Zwar kann die Seitenansicht im Einzelfall nicht als
Unterscheidungskriterium gewertet werden, in der
Summe der entsprechend dargestellten Tronien stellt
sie sich jedoch als durchaus typische Eigenschaft
heraus.18
Kommen wir nun zu einem weiteren wichtigen
Aspekt, der nicht so sehr die Figur selbst, als viel-
mehr die Verwendung der künstlerischen Mittel
betrifft: die Lichtführung und damit verbunden der
Einsatz von Kontrasten. Wie bereits dargelegt, be-
dienten sich Rembrandt und Lievens bei der Gestal-
tung ihrer frühen Tronien häufig einer äußerst kon-
trastreichen und effektvollen Beleuchtung. Dies hat
zur Folge, dass bei manchen Tronien nur das Gesicht
bzw. ein Teil davon vom Licht erhellt wird, während
der Rest der Figur im Schatten verschwindet [Kat.
298, Taf. 63, Kat. 294, Taf. 62]. In der gleichzeitigen
Porträtmalerei ist eine solch dramatische Zuspitzung
der Beleuchtungssituation nicht anzutreffen. Ebenso
widersprach es dem decorum, das Gesicht des Dar-
gestellten im Bildnis so stark zu verschatten, wie
Lievens und Rembrandt dies in vielen ihrer Leidener
Tronien tun. So hegen z.B. große Teile des Gesichts
bei Lievens’ Greisenkopfiim Profil nach rechts (unbe-
kannter Besitz) [Kat. 278, Taf. 59] und seinem Jun-
gen Mann mit Halsberge (Dresden, Gemäldegalerie
Alte Meister) [Kat. 286, Taf. 60] im Schatten. Dies
gilt gleichermaßen für Rembrandts Alten Mann mit
Turban (Privatbesitz, Collection Fondation Aetas
Aurea) [Kat. 385, Taf. 81] und sein Amsterdamer
>Selbstbildms< [Kat. 386]. Bei den genannten Tronien
verschwindet die Augenpartie völlig im Dunkel.
Kein Auftraggeber des fraglichen Zeitraumes hätte
sich in dieser Weise darstellen lassen. Ein vergleich-
barer Umgang mit Licht und Schatten ist für die Tro-
nien von Frans Hals, der eher mit Tageslichteffekten
experimentierte, nicht festzustellen.

14 Kat. Washington / London / Haarlem 1989/90, S. 215.
15 Besonders die Utrechter Caravaggisten verwendeten das Mo-
tiv der beim Singen erhobenen Hand häufig für ihre Halbfi-
guren. Vgl. z.B. Judson / Ekkart 1999, Kat. Nr. 244, PI. 137,
Kat. Nr. 255, PI. 144, Kat. Nr. 288, PI. 173. Zur Bedeutung
des Motivs vgl. Kat. Washington / London / Haarlem
1989/90, Kat. Nr. 15, S. 172, 175, Anm. 2.
16 Vgl. auch Lievens’ radierte Tronien, Kat. 323, 325, 326, Taf.
69, Kat. 324, 329.

17 Vgl. Honthorsts Darstellungen von Frederik Hendrik (1584-
1647) im Profil nach rechts, Amalia van Solms (1602-1675)
im Profil nach links und Elizabeth Stuart von Böhmen (1596-
1662) in Phantasietracht im Profil in Den Haag, Stichting
Historische Verzamelingen van het Huis van Oranje-Nassau
[Kat. 231-232, Taf. 50, Kat. 239], Vgl. oben, Kap. II.2.4, S.
91.
18 Vgl. auch unten, Kap. III.1.3, S. 132.
 
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