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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0121

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Möglichkeiten der Unterscheidung von Porträt und Tronie

109

male nicht problemlos von Porträts unterscheiden
lassen, können mit Hilfe der genannten Kriterien aus-
nahmslos als Tronien klassifiziert werden. Der Ver-
gleich von Porträt und Tronie bestätigt, dass sich die
beiden Bildformen hinsichtlich ihres Bestimmungs-
zwecks grundsätzlich voneinander unterscheiden.
Porträts waren funktionsbedingt an die Einhaltung
bestimmter Regeln und Darstellungskonventionen
gebunden, diese aber stellten sich für Tronien als
nicht verbindlich heraus. Außerdem zeigten Tronien
offensichtlich keine bestimmten Individuen, sondern
aus Sicht der Käufer anonyme Modelle, deren Dar-
stellung nicht auf eine Memorialfunktion abzielte.
Dementsprechend erfüllten Tronien auch nicht die
auf eine reale Person bezogenen repräsentativen und
exemplarischen Aufgaben von Bildnissen, sondern
dienten anderen Zwecken, die in Teil V ausführlich
untersucht werden.
Dass der Unterschied zwischen Porträts und Tro-
nien noch den Rezipienten des frühen 18. Jahrhun-
derts bewusst war, zeigt sich in einer Bemerkung,
die Arnold Houbraken mit Bezug auf Rembrandts
druckgraphisches Werk in seiner Groote Schouburgh
der Nederlandtsche Konstschilders en Schilderessen
(1718-21) macht: »Veel geestige Historien, Beeldjes,
Pöurtretjes, en een menigte van Manne-en Vrouwe-
Kopstukjes zyn door hem met de naald ten eersten,
en veele onder die heel uitvoerig in koper geetst, die
tot genoegen der liefhebbers door den druk verspreit
zyn.«48 Deutlich hebt der Autor die radierten Bildnis-
se Rembrandts von den Tronien oder, wie Houbraken
sie nennt, von den »Manne-en Vrouwe-Kopstukjes«
des Meisters ab, die offensichtlich ein beliebtes Sam-
melobjekt der Kunstliebhaber darstellten.

3.4 Zum Sonderfall der Selbstdarstellungen
Als problematisch bei der Unterscheidung von Tro-
nien und Porträts stellt sich die Beurteilung jener
Bilder in der Gruppe der untersuchten Tronien dar,
die die Physiognomie von Lievens und Rembrandt
selbst zeigen. Es fragt sich, ob die Maler ihr eigenes
Gesicht in der Leidener Zeit lediglich als stets ver-
fügbares Modell bei der Anfertigung von Tronien
nutzten und die Identität der Dargestellten damit
keine Rolle für die Bildaussage spielte oder ob die
entsprechenden Werke - im Unterschied zu den an-
deren Figuren in Phantasietracht - mit Bildnisintention
geschaffen wurden und als Ausdruck eines bestimm-
ten Selbstverständnisses der Künstler interpretiert
werden müssen. Ihre unkonventionelle Darstel-
lungsweise wäre in letzterem Fall darauf zurückzu-
führen, dass die Maler im Selbstbildnis nicht an die
äußeren Vorgaben gebunden waren, an die sie sich im
Auftragsporträt hätten halten müssen.49
Rembrandts frühe Selbstbildnisse können hin-
sichtlich ihrer künstlerischen Auffassung stark dif-
ferieren. Einige Werke besitzen einen besonders
deutlich ausgeprägten Studiencharakter, wie die
Selbstdarstellungen in Amsterdam [Kat. 386], Mün-
chen [Kat. 387, Taf. 81] und Indianapolis [Kat. 390,
Taf. IV, 83].50 Hier kann kein Zweifel daran beste-
hen, dass das Experimentieren mit unterschiedlichen
Gesichtsausdrücken und Beleuchtungseffekten so-
wie variabler Pinselführung im Vordergrund des
Interesses stand und dem Modell keine vorrangige
Bedeutung zukam.51 Zwar können die Bilder als
»Zeugnisse der künstlerischen euplastike«52 verstan-
den werden, da sie Rembrandts Vermögen demons-
trieren, sich in unterschiedliche Gemütsregungen
einzufühlen und diese im Bild darzustellen. Dies
bedeutet jedoch nicht, dass die Köpfe zur Gattung
Porträt zu rechnen sind, deren Funktionen erfüllten
und dementsprechend Auskunft über Rembrandt
als Vertreter seines Berufsstandes und seine Stellung
in der Gesellschaft geben?3 Vielmehr geht aus dem

48 Houbraken 1753, Bd. 1, S. 270. In der ersten Auflage er-
schien der erste Band von Houbrakens Groote Schouburgh
im Jahr 1718.
49 Vgl. Raupp 1984, S. 167.
50 Vgl. Bruyn / Wetering 1982, S. 8; Bruyn 1989, S. 25; Kat.
London / Den Haag 1999/2000, Kat. Nr. 5, S. 95f., Kat.
Nr. 7, S. 98, Kat. Nr. 8, S. 100; Wetering 2005b, S. 158, 164.
Zu dem Gemälde in Indianapolis vgl. jüngst RRP 1982-2005,
Bd. 4, Kat. Nr. I A22, S. 598-601.

51 Vgl. Wetering 1999/2000, S. 21, sowie oben, Kap. II.1.1, S.
42. Zu den als >Ausdrucksstudien< nach dem eigenen Gesicht
aufzufassenden Radierungen der Leidener Zeit vgl. ebenfalls
oben, Kap. II.1.5, S. 54.
52 Raupp 1984, S. 253. Vgl. hierzu auch unten, Kap. V.2.1, S.
330.
53 Zur zeitgenössischen Auffassung des Selbstbildnisses als
Porträt eines Maler von seiner eigenen Hand vgl. Wetering
1999/2000, S. 17-19.
 
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