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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0132

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Verbreitung und Formen der Tronie

schließt das jeweils dargestellte Modell doch eindeu-
tig aus, dass es sich bei den Figuren um Bildnisse han-
delt: Der Alte Mann mit Federbarett zeigt die Züge
des als >Rembrandts Vater< bekannten Modells;18
und auch das Gesicht des Orientalen taucht sowohl
im Werk Rembrandts als auch in Bildern anderer
Meister wiederholt auf.19 Zudem schließt die Figur
des Orientalen motivisch eng an Lievens’ Potsda-
mer Gemälde [Kat. 290, Taf. 61] an, für das belegt
werden konnte, dass es nicht als Bildnis verstanden
wurde.20 Aufgrund seiner Nähe zu Rembrandts und
Lievens’ in Leiden entstandenen Onentalentronien
kann der New Yorker Orientale trotz des Dreiviertel-
ausschnitts, in dem die Figur erscheint, dem Bildtyp
der Tronie angeschlossen werden.
Sowohl das Bild in New York als auch die Tro-
nie in Chicago ist durch eine besonders variations-
reiche Pinselführung charakterisiert. Der Alte Mann
mit Federbarett zeigt sowohl im Gewand als auch im
Gesicht eine im Vergleich mit den ersten in Amster-
dam entstandenen Auftragsporträts ungewöhnlich
lockere Pinselführung.2' Zudem kommt die Ver-
schattung der gesamten linken Gesichtshälfte auf
Rembrandts Auftragsbildnissen der dreißiger Jahre
nicht vor. Die Ausführung des Orientalen erweist
sich vor allem in den verschatteten Partien des Ge-
wandes als besonders großzügig und breit angelegt,
aber auch in der beleuchteten Zone des Kostüms sind
Details eher summarisch angegeben. Die Autoren des
Rembrandt-Corpus streichen heraus, dass zudem
das Gesicht in freierer Manier behandelt sei, als dies

bei den bis zu diesem Zeitpunkt von Rembrandt ge-
malten Porträts zu beobachten ist.22 Allerdings blieb
die besonders lockere Ausführung eines Gesichts in
Rembrandts Gemälden der dreißiger Jahre nicht auf
Tronien beschränkt, wie das 1634 gemalte Bildnis der
83-jährigen Aechje Claesdochter Pesser in London
(National Gallery) [Kat. 425, Taf. 90] belegt.23 Ge-
sichter von Greisen und Greisinnen eigneten sich für
die Anwendung einer skizzenhaft-breiten Malweise
besonders gut, da ihr vom Alter gezeichnetes Gesicht
eine Falten und Unebenheiten suggerierende Struk-
tur von sich aus vorgab.24 Zwar stellt das Porträt der
Aechje Pesser hinsichtlich der Pinselführung eine
Ausnahme unter Rembrandts Porträts der dreißiger
und selbst der vierzigerJahre dar. Gleichzeitig belegt
es jedoch, dass eine besonders freie Ausführung des
Gesichts greiser Figuren in Phantasietracht spätes-
tens ab 1634 nicht als eindeutiges Indiz dafür gewer-
tet werden darf, dass es sich bei dem entsprechenden
Bild um eine Tronie handelt.
Was die malerische Gestaltung des Kostüms von
Rembrandts phantasievoll gekleideten Figuren im
Vergleich zur Darstellung der Tracht auf seinen kon-
ventionellen Porträts angeht, ist zu beobachten, dass
die Bildnisse der dreißiger und vierzigerJahre grund-
sätzlich eine sorgfältigere Darstellung der Kleidung
aufweisen als die gleichzeitig entstandenen Figuren
in Phantasietracht. Besonders frei ist beispielsweise
der Mantel der Halbfigur eines Mannes in russischem
Kostüm? in Washington (National Gallery of Art)
[Kat. 430, Taf. X, 91] wiedergegeben: Breite, zügig

18 Vgl. oben, Kap. II.1.1, S. 42f.
19 Der alte Mann stand z. B. für Rembrandts Apostel Petrus von
1632 (Stockholm, Nationalmuseum) [Kat. 404, Taf. 85] Mo-
dell, aber auch für die Rembrandt zugeschriebene Kasseler
Tronie von 1632 [Kat. 406] sowie das Brustbild eines Orien-
talen (Privatbesitz) und die Tronie eines Greises mit Barett
(Privatbesitz), die von Sumowski 1983—1994, Bd. 5, Kat. Nr.
2082a, Bd. 6, Kat. Nr. 2279b, Govaert Flinck zugeschrieben
werden. Vgl. auch Schnackenburg 2001/02, S. 114, 116.
Außerdem verwandte Jacob Backer das Modell sowohl für
Tronien als auch in seiner Historie Hippokrates besucht De-
mokrit in Abdera (Milwaukee, Sammlung Alfred Bader),
RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A48, S. 156. Für die ent-
sprechenden Bilder Backers vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 1,
Kat. Nr. 3, 17-19, 22, 30.
20 Vgl. oben, Kap. II.3.3, S. 107. Vgl. außerdem Kat. Berlin /
Amsterdam / London 1991/92a, Kat. Nr. 9, S. 148; Bahre
2006, S. 132f.
21 Zur maltechnischen Ausführung des Bildes vgl. RRP 1982—
2005, Bd. 1, Kat. Nr. A42, S. 391, S. 394f.
22 RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A48, S. 156.

23 Zur Identifizierung der Dargestellten vgl. Dudok van Heel
1992.
24 Zur Verlebendigung des Ausdrucks durch einen rauen Mal-
stil vgl. außerdem unten, Kap. V.3.2.
25 Marieke de Winkel identifizierte die Kostümierung des Dar-
gestellten in einem Vortrag (»Het kostuum bij de interpre-
tatie van >tronies<«) als russische Adelstracht des 17. Jahr-
hunderts (Symposium in Den Haag, Königliche Bibliothek,
19.-20. Oktober 2000: »>Tronies< in de Italiaanse, Vlaamse
en Nederlandse schilderkunst van de 16de en 17de eeuw«,
vgl. hierzu Hirschfelder / Raupp 2001). Vgl. auch Wete-
ring 2003, S. 9, 20; ders. 2005b, S. 139; RRP 1982-2005, Bd.
4, S. 623. Die Beispiele in Gutkowska-Rychlewska 1968, S.
545, Abb. 636b, 636c, S. 546, Abb. 637b; Faulstich 1998, S.
184-186, Abb. 66, bestätigen diese Einschätzung vor allem
hinsichtlich der Kopfbedeckung des Mannes. Allgemein zur
russischen Tracht des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. Turnau
1991, S. 86-102, 105-113. Zuvor galt das Gemälde als Dar-
stellung eines Mannes in polnischer Tracht, vgl. OdlozilIk
1963; Broos 1974, S. 210; RRP 1982-2005, Bd. 3, Kat. Nr.
122, S. 246f.
 
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