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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0137

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Die Entwicklung nach 1630

125


Abb. 16 Tobias Stimmer, Baiazetes II., Holzschnitt (aus Paolo
Giovios Porträtbuch Elogia. virorum illustrium, Basel 1575) [Kat.
508]

dass Rembrandts Figur auf gerade dieses Vorbild
rekurriert. Wahrscheinlicher ist, dass es dem Meis-
ter vor allem um die Wiedererkennbarkeit einer für
Herrscherporträts üblichen Bildformel ging. Dies
spricht dafür, das Gemälde als fiktive Darstellung
eines orientalischen Potentaten zu betrachten. Für
ein holländisches Auftragsporträt wäre die Wahl der
Profilansicht dagegen äußerst ungewöhnlich, zumal
kein entsprechender Auftrag an Rembrandt aus ad-
ligen Kreisen überliefert ist, bei denen am ehesten In-
teresse an einem Profilbildnis vorausgesetzt werden
darf.63 Hinzu kommt, dass die freie Vortragsweise
des Bildes mit der Ausführung der sicher als Tronien
bestimmbaren Werke der dreißiger Jahre, nicht aber
mit den gleichzeitigen Porträts vergleichbar ist. Das-
selbe trifft, wie schon erwähnt, auf die großzügig-

breite Malweise der Halbfigur in Washington [Kat.
430, Taf. X] zu. Das Bild wurde in der älteren For-
schung zwar zumeist als Porträt verstanden, was zu
unterschiedlichen Identifikationsversuchen führte.64
Tatsächlich erweisen sich diese jedoch in keinem Fall
als haltbar; Quellenbelege dafür, dass es sich bei dem
>Russen< um ein Bildnis handelt, fehlen.
Im Jahr 1640 malte Rembrandt zum ersten Mal
ein Bild, das ohne jeden Zweifel als Kostümporträt
intendiert war: sein Selbstbildnis in der Londoner
National Gallery [Kat. 433, Taf. 92]. Durch den
programmatischen Anspruch des Bildes, der sich
aus Rembrandts aemulatio mit Tizian und Raffael
sowie nordischen Meistern wie Dürer und Lucas
van Leyden ableiten lässt, ist das Gemälde eindeu-
tig als repräsentatives Selbstporträt ausgewiesen,
das Rembrandts gehobenen Status als Künstler und
damit seine anerkannte Stellung in der Gesellschaft
propagiert.65 Zudem trägt das Bild interessanterwei-
se unterhalb der Signatur die zwar nicht eigenhän-
dige, aber höchstwahrscheinlich im 17. Jahrhundert
angebrachte Aufschrift »Conterfeycel«.66 Es wurde
bereits dargelegt, dass dies die im 17. Jahrhundert
für Porträts allgemein übliche Bezeichnung war, die
insbesondere auf die Anfertigung einer Darstellung
nach dem Leben und damit die Ähnlichkeitsbezie-
hung zwischen Wirklichkeit und Abbild abhob.67
Durch den Zusatz »Conterfeycel« wird das Gemäl-
de also explizit als naturgetreues Abbild Rembrandts
und damit als Porträt mit Memorialfunktion ausge-
wiesen. Lyckle de Vries geht davon aus, dass Rem-
brandt mit dem Werk ein gebildetes Publikum von
Kennern und Sammlern ansprach.68
Bezeichnenderweise bediente sich der Meister im
Londoner Bild einer in weiten Teilen, vornehmlich
im Bereich des Gesichts und Kragens, wesentlich
detaillierteren Malweise als dies bei der Halbfigur in
Washington [Kat. 430, Taf. X, 91] und dem Orienta-
len in München [Kat. 417, Taf. XVII, 88] der Fall ist.69
Alle Indizien sprechen damit dafür, dass Rembrandt
die beiden letztgenannten Bilder mit der Intention

63 Vgl. oben, Kap. II.2.4, S. 91.
64 Vgl. z.B. Odlozilik 1963. Für weitere Identifikationen der
älteren Forschung vgl. RRP 1982-2005, Bd. 3, Kat. Nr. 122,
S. 246f.
65 Zu Anspruch, Bedeutung und den Vorbildern des Gemäldes
sowie für weitere Literatur vgl. Jongh 1969; Raupp 1984,
S. 168-178; RRP 1982-2005, Bd. 3, Kat. Nr. A139, S. 379f.;
Chapman 1990, S. 69-78; Kat. Berlin / Amsterdam / Lon¬
don 1991/92a, Kat. Nr. 32, S. 218-221; Dickey 1994, bes. S.
105-128; Kat. London / Den Haag 1999/2000, Kat. Nr. 54,

S. 173-175; Manuth 1999/2000, S. 43f.; Winkel 1999/2000,
S. 68-70; Dickey 2004, S. 89-106; Winkel 2005, S. 69f., 77f.
Vgl. außerdem unten, Kap. IV.2.2.4, S. 297f.
66 RRP 1982-2005, Bd. 3, Kat. Nr. A139, S. 380; Kat. Berlin
/ Amsterdam / London 1991/92a, Kat. Nr. 32, S. 221; Kat.
London / Den Haag 1999/2000, Kat. Nr. 54, S. 173.
67 Vgl. oben, Kap. 1.4, S. 32.
68 Vries 1989, S. 198.
69 Zur Malweise des Bildes vgl. RRP 1982-2005, Bd. 3, Kat. Nr.
A139, S. 375, 379.
 
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