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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0139

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Die Entwicklung nach 1630

127

Falle, dass bei ihm ein Bildnis in Phantasiekostüm
in Auftrag gegeben wurde, eine lockere, sogar raue
Malweise, die bis dahin nur für seine Tronien zu
erwarten war, zur Anwendung brachte. Dass Rem-
brandt früher oder später tatsächlich entsprechende
Kostümporträts schuf, kann anhand einiger sicher
als Bildnisse zu bestimmender Werke der sechziger
Jahre belegt werden. Um 1661 malte Rembrandt das
in rauer Manier ausgeführte Bildnis des Dordrechter
Kaufmanns Jacob Trip (1575-1661) (London, Natio-
nal Gallery) [Kat. 457, Taf. X, 97] in reicher Phan-
tasietracht und mit Stock in der Hand. Die Identifi-
zierung des Dargestellten anhand des Vergleichs mit
anderen Bildnissen Trips durch Cornelis Hofstede de
Groot ist von der jüngeren Forschung nie in Zweifel
gezogen worden und erweist sich auch angesichts der
Tatsache, dass ein gleich großes Pendant von Trips
Frau Margaretha de Geer (1583-1672) [Kat. 458, Taf.
97] erhalten ist, als überzeugend.72
Außerdem lässt sich für zwei in New York (Me-
tropolitan Museum of Art) aufbewahrte, wohl um
1662 geschaffene Pendants, den Mann mit Vergröße-
rungsglas und die Frau mit Melke [Kat. 459-460, Abb.
17-18, S. 128, Taf. 98],73 nachweisen, dass es sich um
Kostümporträts handelt: Im Jahr 1651 malte Jan Vic-
tors, der vermutlich ein Schüler Rembrandts war,74
konventionelle Bildnisse in zeitgenössischer Tracht,
auf denen ohne jeden Zweifel dieselben Personen wie
auf den New Yorker Pendants zu sehen sind [Kat.
534-535, Abb. 19-20, S. 128].75 Zwar sind die Darge-
stellten auf Rembrandts Bildern deutlich gealtert, die
charakteristischen Züge ihrer Gesichter lassen sich
jedoch problemlos wiedererkennen. Beide Figuren
tragen eine reiche Phantasietracht mit Elementen,
die an die Kleidung des 16. Jahrhunderts erinnern.76

Walter Liedtke identifizierte die Dargestellten jüngst
überzeugend als Pieter Gerritz. Haringh (1609-1685)
und dessen Frau Elisabeth Jansdr. Delft (ca. 1620-
1679).77 Da Haringh von Beruf Auktionator war, er-
weist sich das Vergrößerungsglas als Instrument, mit
dem der Dargestellte die zu versteigernde Ware, z.B.
Stoffe, Münzen oder Schmuck, prüfte.78 Dass die Bild-
nisse nicht tXs portraits histories zu interpretieren sind,
auf denen die Dargestellten eine bestimmte Rolle ein-
nehmen, verdeutlicht auch das weibliche Pendant: Die
Nelke, welche die Frau in der Hand hält, ist em auch
in konventionellen Porträts gebräuchliches Attribut,79
und auf dem Bild im Hintergrund ist kein bestimm-
tes Sujet zu erkennen. Die ausgesprochen freie Aus-
führung der Bildnisse betont die Bandbreite unter-
schiedlicher Möglichkeiten des Farbauftrags und ist
in den Kostümpartien als geradezu experimentell zu
bezeichnen.80 Offensichtlich entschied sich das Ehe-
paar, nachdem es sich viele Jahre zuvor auf herkömm-
liche Weise hatte porträtieren lassen, in den sechziger
Jahren für einen weiteren Porträtauftrag, ließ sich aber
diesmal von Rembrandt in einer Weise darstellen, die
auch für seine Tronien charakteristisch war.
Es lässt sich nicht konkretisieren, wann genau
Rembrandt damit begann, seine Auftraggeber in rei-
chen Phantasiekostümen darzustellen. Wie gezeigt
wurde, beschäftigte er sich vor 1650 offenbar noch
nicht mit dieser Form des Porträts. Ab den fünfziger
Jahren aber entstanden Bilder, bei denen sich nicht
entscheiden lässt, ob sie als Kostümporträts bestimm-
ter Auftraggeber oder als nach anonymen Modellen
gemalte Phantasiefiguren und damit als Tronien zu
verstehen sind. Dies gilt beispielsweise für den Mann
mit pelzgefüttertem Mantel von ca. 1654 in Toledo
(Museum of Art) [Kat. 446, Taf. 95].81

72 Hofstede de Groot 1928. Vgl. Kat. Melbourne / Canberra
1997/98, Kat. Nr. 23, S. 164-167, Kat. Nr. 67/68, S. 309, dort
auch weitere Literatur.
73 Zu den Pendants vgl. Kat. New York 1995/96b, Kat. Nr.
17/18, S. 81-85; Kat. New York 2007, Bd. 2, Kat. Nr.
158/159, S. 693-705.
74 Jansen 1983, S. 81; Broos 1983, S. 50; Miller 1985, S. 17-21;
Sumowski 1983-1994, Bd. 4, S. 2589; Kat. Berlin / Amster-
dam / London 1991/92a, S. 334.
75 Sumowski 1983-1994, Bd. 4, Kat. Nr. 1814,1815; Miller 1985,
117-121; Kat. New York 1995/96b, Kat. Nr. 17/18, S. 81; Kat.
New York 2007, Bd. 2, Kat. Nr. 158/159, S. 693, 696.
76 Zur niederländischen Tracht des 16. Jahrhunderts vgl. JoNGE
1918/1919; Mortier 1986. Zur deutschen Tracht dieser Zeit
vgl. Sichart 1926, Bd. 1, S. 249-268, Bd. 2, S. 269-291; Ti-iiel
1980a, S. 167-188. Zur italienischen Tracht der Hochrenais¬
sance vgl. Thiel 1980a, S. 162-166.

77 Kat. New York 2007, Bd. 2, Kat. Nr. 158/159, S. 698f. Liedt-
kes Identifikation der Dargestellten basiert neben einer äl-
teren Identitätszuweisung aus dem 19. Jahrhundert auf dem
Vergleich des männlichen Bildnisses mit Rembrandts Ra-
dierung des Pieter Gerritz. Haringh von 1655, Hollstein’s
Dutch and Flemish Etchings 1949ff., Bd. 18/19 (1969),
Kat. Nr. B. 275.
78 Zur Deutung des Vergrößerungsglases in der vorausgehenden
Forschung als Instrument zur Kontrolle der Qualität von
Stoffen vgl. Veen 1992, S. 247; Kat. New York 1995/96b,
Kat. Nr. 17/18, S. 84.
79 Vgl. Smith 1982, S. 60-63; Bruyn 1991, S. 251; Briels 1997,
S. 31.
80 Zu Rembrandts Spätstil vgl. Raupp 1993/94, S. 89-91; Wete-
ring 1997, S. 203-222.
81 Vgl. hierzu jüngst Kat. Amsterdam / Berlin 2006, Kat. Nr.
68, S. 380f.
 
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