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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0144

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132

Verbreitung und Formen der Tronie

Rembrandts<106 [Kat. 88, Taf. 15], die so genannte
>Mutter Rembrandts<107 [Kat. 89] und einen Jungen
mit spitzer Stupsnase und langem Haar108 [Kat. 94,
Taf. 18]. Darüber hinaus kommen Brustbilder junger
Frauen vor, die aufgrund der ermittelten Kriterien
als Tronien bewertet werden können. Die Halbfigur
einer jungen Frau im Profil in Manchester (City Art
Galleries) [Kat. 93, Taf. X, 18] von ca. 1635/40 z.B.
wird zwar von Ronm Baer als Porträt in pastora-
ler Kleidung klassifiziert.109 Gegen diese Auffassung
sprechen jedoch das ungewöhnlich stark verschattete
Gesicht der Figur, der gegenüber Dous Bildnissen aus
derselben Zeit deutlicher sichtbare Pinselduktus und
die freizügige Darstellung des Brustansatzes. Hinzu
kommt, dass Dous junge Frau an einen Figurentypus
anschließt, den Rembrandts Schüler und Nachfolger
wiederholt für ihre Tronien verwandten. In den drei-
ßiger und vierziger Jahren entstanden - offensicht-
lich in Ahnlehnung an den von Rembrandt mit sei-
ner Jungen Frau mit Fächer im Profil in Stockholm
(Nationalmuseum) [Kat. 409, Taf. 87] geprägten Fi-
gurentyp - eine Reihe von Brustbildern und Halbfi-
guren, die phantasiereich kostümierte junge Frauen
im strengen Profil zeigen.110 Die Haare sind wie bei
Dous Figur meist am Hinterkopf zu einem Knoten
gebunden. Die Frisur ist mit Perlen- oder Juwelen-
ketten und häufig zusätzlich mit einem Schleier ge-
schmückt. Darüber hinaus tragen die Dargestellten
in der Regel ein tief ausgeschnittenes, mit Schmuck
reich verziertes Kleid und darunter ein hochge-
schlossenes, gefälteltes weißes Hemd, das im Brust-
und Halsbereich sichtbar wird [Kat. 14, Taf. 3, Kat.
43, Taf. 8]. Auch können die Figuren durch Attribute

wie Schäferstab oder Blumenkranz als Hirtinnen
charakterisiert sein, sind dann aber häufig weniger
reich gekleidet [Kat. 144, Taf. 30],
Bereits für Lievens wurde festgestellt, dass sich
unter seinen Tronien der zwanziger Jahre sehr viele
Profilköpfe finden, während diese Darstellungsform
in der gleichzeitigen Porträtmalerei nicht gängig war.
Auch in den dreißiger und vierziger Jahren des 17.
Jahrhunderts sind insbesondere weibliche Bildnisse
im Profil selten und auf die höfische Porträtmalerei
beschränkt. Demgegenüber ist gerade in dieser Zeit
ein gehäuftes Auftreten in dieser Weise präsentierter,
weiblicher Büsten in Phantasietracht zu verzeichnen,
die nicht als Porträts bestimmter Personen zu iden-
tifizieren sind, dafür aber typische Merkmale von
Tronien aufweisen. Dieser Befund ermöglicht die
Umschreibung der Werke als Gruppe, die eine eige-
ne Bildtradition herausbildete und dem Bildtyp Tro-
nie zugerechnet werden kann. Zwar bedeutet dies
nicht, dass es keine Ausnahmen von der Regel gibt.
Generell kann die Profilansicht bei Büsten anonymer
junger Frauen in Phantasietracht jedoch als Indiz für
ihren Status als Tronie gewertet werden. Noch die in
atmosphärisches Licht getauchte, 1654 datierte Frau
im Profil mit Federbarett und Perlenschmuck (Han-
nover, Niedersächsisches Landesmuseum) [Kat. 133,
Taf. 28], deren Status als authentisches Werk des
Carei Fabritius bis in die jüngste Forschung hinein
kontrovers diskutiert wird,111 gehört diesem Figu-
rentypus an.112
Hinsichtlich der Malweise von Dous Tronien fällt
auf, dass sie sich durch einen lebhafteren Pinselduktus
deutlich von seinen gleichzeitigen Porträts unterschei-

106 Für Tronien Dous, die dieses Modell zeigen vgl. z.B. Sumowski
1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr. 254 (bzw. Kat. Kassel 1996, Bd.
1, Kat. Nr. GK 257, S. 104, Bd. 2, Taf. 126); Sumowski 1983-
1994, Bd. 6, Kat. Nr. 2245.
107 Für Tronien Dous, die dieses Modell zeigen, vgl. Sumowski
1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr. 245, 253; Kat. Kassel 1996, Bd.
1, Kat. Nr. GK 258, S. 104, Bd. 2, Taf. 126. Vgl. auch Martin
1913, S. 37-43.
108 Für Tronien, die dieses Modell zeigen, vgl. Sumowski 1983—
1994, Bd. 1, Kat. Nr. 258-260.
109 R. Baer in Kat. Washington / London / Den Haag
2000/01, Kat. Nr. 9, S. 80.
110 Vgl. u.a. Bauci-i 1926, Kat. Nr. 108, S. 86, Kat. Nr. 110, S.
87, Kat. Nr. 113, S. 87, Taf. 21, Kat. Nr. 197, S. 96, Taf. 37;
Kat. Braunschweig 1983, Kat. Nr. 283, S. 18; Blankert 1982,
Kat. Nr. 126, S. 139, Abb. 135; Sumowski 1983-1994, Bd. 1,
Kat. Nr. 43, 44, Bd. 5, Kat. Nr. 2082, 2104a, Bd. 6, Kat. Nr.
2279a; Kat. Braunschweig / Utrecht / Köln / München
1988/89/90, Kat. Nr. 42, S. 148; Wirr 2007, Kat. Nr. Ul, S. 215.

Vgl. außerdem Pieter Verelsts Tronie eines Jungen aufblickenden
Mädchens, Holz, 45,5 x 41,3 cm, unbekannter Besitz (Ver-
steigerung Monaco, Christie’s, 4.12.1992), Foto RKD, Den
Haag. Auch in der Druckgraphik kommen Tronien jünger
Frauen und Mädchen im Profil vor, vgl. z.B. Werke von Jan
Lievens und Pieter Cornelisz. Verbeeck (um 1610-1654)
in Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings 1949ff., Bd.
11 (o.J.), Kat. Nr. 43, S. 41, Kat. Nr. 45, S. 43; Hollstein’s
Dutch and Flemish Etchings 1949ff., Bd. 35 (1990), Kat.
Nr. 5, S. 167.
111 Zur Zuschreibung des Gemäldes an Carei Fabritius sowie
zur aktuellen Forschungsdiskussion vgl. Kat. Hannover
2000, Kat. Nr. 63, S. 164-166. Duparc 2004/05, S. 60f., Abb.
56, S. 61, bestimmt das Bild im jüngsten Ausstellungskatalog
zum Werk des Carei Fabritius als Arbeit von dessen Bruder
Barent Fabritius.
112 Vgl. auch Drosts Junge Frau mit Federbarett (Cincinnati,
Art Museum) [Kat. 98].
 
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