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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0151

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Die Entwicklung nach 1630

139

»A decisive factor in Drost’s choice of subjects for his tronies
seems to have been their potential for the display of virtuoso
pictorial effects, rather than iconography. Drost’s major aim in
painting the Standing Man in Armour [...] was arguably the ren-
dering of the shiny armour and the figure’s melanchohc disposi-
tion. Also, it was likely that factors such as the virtuoso handling
of texture, colour and light, facial expressions, lively poses and
fantastic costumes in this and the artist’s other tronies attracted
buyers.«161
Auf die von Bikker aufgeworfene Frage, mit welcher
Intention Künstler wie Drost ihre Tronien schufen
und aus welchen Gründen diese so gefragt waren,
wird in Teil V zurückzukommen sein.

Aert de Gelder
Der letzte Schüler Rembrandts, in dessen Werk Tro-
nien eine nennenswerte Rolle spielen, war Aert de
Gelder. Dieser ging zunächst bei Rembrandts ehema-
ligem Schüler Samuel von Hoogstraten in Dordrecht
und anschließend, wohl im Zeitraum zwischen 1662
und 1664, bei Rembrandt selbst in die Lehre.162
Ähnlich wie Drosts Tronien weisen auch de
Gelders Bilder eine starke Affinität zum Stil seines
Lehrmeisters auf, der gerade in der Spätzeit durch
einen ausgeprägt experimentellen Umgang mit der
Farbmaterie charakterisiert ist. De Gelders Tronien
umfassen Darstellungen (junger) Frauen und Männer
in Kostümen, die den phantastischen Verkleidungen
der Figuren in den Historienbildern des Meisters
entsprechen [Kat. 162, Kat. 163, Taf. 34].163 Zudem
malte de Gelder eine Reihe von Kostümporträts, die
in eine für Tronien typische Phantasietracht geklei-
det sind.164 Die Klassifizierung der Werke als Porträts
ist deshalb möglich, weil die dargestellten Auftragge-
ber in mehreren Fällen identifiziert werden können.
Dies trifft z. B. auf de Gelders Porträt Ernst de Beve-

rens (1660-1722) (Amsterdam, Rijksmuseum) [Kat.
164, Taf. XI, 34] und die Pendantbildnisse Johan van
der Burghs (1660-1732) und seiner Frau Charlotte
Elisabeth van Blijenburgh (1663-1729) in Dordrecht
(Museum Mr. Simon van Gijn) [Kat. 166-167, Taf.
34] zu.165 Auch die vermutlich um 1670 entstande-
ne Darstellung eines Mannes in Phantasietracht im
Louvre [Kat. 160] war sicher als Porträt intendiert,
da ein weibliches Pendant erhalten ist, auf dem die
Porträtierte ein der aktuellen Mode entsprechendes
Kleid trägt [Kat. 161].166
Es fällt auf, dass die Dargestellten auf den Kos-
tümporträts generell modisch frisiert sind, was
im Falle der Männer zur Schaffenszeit de Gelders
meist das Tragen einer Perücke beinhaltete. Dem-
gegenüber stattete der Meister seine Tronien mit
phantastischen Kopfbedeckungen aus, wie das Bei-
spiel eines Jungen Mannes mit Barett in Hannover
(Niedersächsisches Landesmuseum) [Kat. 163, Taf.
34] veranschaulicht. Die Jünglingsgestalt ist sicher
nicht, wie Joachim W. von Moltke, Ekkehard Mai
und Ulrike Wegener glauben,167 als Porträt aufzu-
fassen. Dem stehen nicht nur die für ein Porträt de
Gelders ungewöhnliche Kopfbedeckung und Haar-
tracht entgegen. Auch ist in keinem der Bildnisse
des Meisters eine vergleichbar offene Malerei im
Gesicht des Dargestellten sowie eine Wiedergabe
des Kostüms zu verzeichnen, die so bewusst wie
hier auf den Eindruck des Unvollendeten abzielt.
Die Gesichtszüge des Modells bleiben zudem für ein
Porträt zu vage. Selbst in de Gelders besonders rau
gemalten Bildnissen ist das individuelle Aussehen
der Auftraggeber wesentlich deutlicher erfasst. Auch
andere Tronien, wie z. B. die Junge Frau mit Schleier
und Federhut in Chicago (Art Institute) [Kat. 162],
werden m. E. durch von Moltke zu Unrecht als Por-
träts deklariert.168

161 Bikker 2005, S. 31.
162 Zur Ausbildung de Gelders vgl. Pastoor 1994, S. 3f.
163 Zu de Gelders Tronien vgl. Moltke 1994, Kat. Nr. 79, 89, 90,
92, 94, 96, 98. Für dieselben Bilder vgl. Sumowski 1983-1994,
Bd. 2, Kat. Nr. 791, 794, 803, 805, 808, 812, Bd. 6, Kat. Nr.
2297.
164 Für de Gelders Kostümporträts vgl. u.a. Moltke 1994, Kat.
Nr. 84-86, 91, 95, 97, 103, 104.
165 Zu den genannten Bildern vgl. Kat. Dordrecht / Köln
1998/99, Kat. Nr. 21, S. 170, Kat. Nr. 35/36, S. 202f.; Vgl.
außerdem ebd., Kat. Nr. 30, S. 190, Kat. Nr. 56, S. 250.
166 Vgl. Kat. Dordrecht / Köln 1998/99, Kat. Nr. 3-4, S. 128f.,
dort auch weitere Literatur.

167 Moltke 1994, Kat. Nr. 94, S. 104; E. Mai in Kat. Dordrecht
/ Köln 1998/99, Kat. Nr. 44, S. 226; U. Wegener in Kat.
Hannover 2000, Kat. Nr. 77, S. 184-186.
168 Moltke 1994, Kat. Nr. 96, S. 105. Für die von Marieke de
Winkel zu Recht getroffene Einschätzung des Bildes als Tro-
nie vgl. M. de Winkel in Kat. Dordrecht / Köln 1998/99,
Kat. Nr. 28, S. 186. Auch von Moltkes Beurteilung des Jun-
gen Mannes in Phantasietracht und mit Stock in der Hand
von 1687 (Detroit, Detroit Institute of Arts, Sumowski 1983—
1994, Bd. 2, Kat. Nr. 791) als >Porträt eines Schauspielers« ist
abzulehnen, Moltke 1994, S. 31f., Kat. Nr. 92, S. 103. Das
Erscheinungsbild des Gemäldes spricht dafür, dass wir es mit
einer Tronie zu tun haben.
 
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