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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0156

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144

Verbreitung und Formen der Tronie

augenscheinlich um Produkte aus der Lehrzeit der
Söhne. Hierauf lassen nicht nur die vielen Kopien203
schließen, sondern auch die vier Bilder, die als »niet
opgemaeckt«, also als >unvollendet<, charakterisiert
sind.204 In dieser Weise wird keines der Bilder be-
schrieben, die in den anderen Räumen des Hauses
hingen. Für Philips und Jacob, die mit ihrer Tätig-
keit als Maler gerade erst begonnen hatten, ist kaum
anzunehmen, dass sie wegen anderer Aufgaben bzw.
Aufträge keine Zeit dazu fanden, die Bilder fertig zu
stellen. Wahrscheinlicher ist, dass die Werke nicht für
den Verkauf, sondern als Übungsstücke intendiert
waren, deren Vollendung nicht notwendig war. Mög-
lich wäre auch, dass es sich um missglückte Werke
handelte. In beiden Fällen stand bei der Herstellung
der Bilder die malerische Schulung des Schöpfers im
Vordergrund, so also auch bei den drei als >nicht voll-
endet< bezeichneten Tronien.205 Des Weiteren zeigen
die unvollendeten Bilder, die sieben Kopien und die
in zwei Stücke zerbrochene »vrouwetronie«206 an,
dass im Raum über dem Esszimmer weniger wert-
und qualitätvolle Werke aufbewahrt wurden. Auch
dies unterstreicht ihren Status als Lehrlingswerke.
Für die Dekoration der Repräsentationsräume des
Hauses waren die Bilder offensichtlich nicht geeig-
net.207
Die Analyse des Inventars bestätigt die Annahme,
dass Philips Köninck bei Rembrandt in die Lehre
ging, und auch für seinen Bruder Jacob ist dies nicht
203 Da sich eine Kopie nach einer Landschaft von Claes Moeyaert
in dem Raum befindet, ist eine Ausbildung Jacob Könincks
durch Moeyaert in Erwägung zu ziehen. Für diese These
spricht auch, dass noch weitere Kopien nach Moeyaert im
Inventar verzeichnet sind. Eine ebenfalls plausible Erklärung
wäre, dass die Bilder von Salomon Köninck stammen, der
nachweislich ein Schüler Moeyaerts war und der zu Aert Co-
ninck in einer nicht genauer geklärten verwandtschaftlichen
Beziehung stand, DA 1996, Bd. 18, S. 226-228, dort auch
weitere Literatur.
204 Als »niet opgemaekt« werden bezeichnet: »een ruyntge in een
lantschap«, »een antyck jongetge, nae ‘t leven geschildert«,
»een tronie van een antycks dochtertge«, »een tronie, van
Jacob Coninck«, GPI 1994-2003, N-2071, Nr. 0120, 0122,
0125, 0124. Dass >opmaken< im Zusammenhang mit Kunst-
werken im 17. Jahrhundert wollenden* bedeutete, ist belegt
inWNT 1882ff., Bd. 11 (1910), Sp. 1027-1035, bes. Sp. 1034,
Nr. V.4.o; Pauw de-Veen 1969, S. 297f.
205 Vgl. die vorhergehende Anm.
206 GPI 1994-2003, N-2071, Nr. 0129.
207 Zur Hängung von Bildern im 17. Jahrhundert sowie zu
Funktion und Wertigkeit der Räume holländischer Häuser
vgl. Loughman / Montias 2000; Westermann 2000; Sluijter
2001/02; Kat. Newark / Denver 2001/02.

gänzlich auszuschließen.208 Ganz offensichtlich ge-
hörte das Kopieren von Tronien zu Übungszwecken
in Rembrandts Werkstatt zum Lehrprogramm.209
Darüber hinaus scheint es - zumindest in den drei-
ßiger Jahren - sogar einen Schwerpunkt innerhalb
der Ausbildung zum Historienmaler gebildet zu ha-
ben. Hierauf deutet auch die Tatsache, dass sich im
Inventar des Aert Coninck keine nach Rembrandt
kopierten Historien finden, obwohl erhaltene Werke
belegen, dass Philips als selbständiger Künstler durch-
aus Historien schuf.210
Die wichtige Rolle, die Tronien im Frühwerk
vieler Schüler Rembrandts spielen, kann als weiteres
Indiz dafür gewertet werden, dass sich die Maler be-
reits während ihrer Ausbildung bei Rembrandt mit
dem Bildtyp auseinandersetzten.211 Denn nichts liegt
näher, als dass junge Maler zunächst solche Bilder
für den Verkauf produzierten, deren Herstellung sie
aufgrund ausgiebiger Studien bereits besonders sou-
verän beherrschten.212
Für einen Anfänger waren Tronien als Studien-
material vor allem deshalb geeignet, weil keine kom-
plizierten kompositorischen oder anatomischen Pro-
bleme gelöst werden mussten. Ein Lehrling konnte
anhand des Malens von Tronien die Fähigkeit er-
werben, ein menschliches Gesicht in überzeugender
Weise darzustellen. Selbst wenn er dies nicht vor
dem lebenden Modell, sondern anhand einer Vorlage
übte, wurde das individuelle Aussehen eines Modells
208 Vgl. oben, S. 143, Anm. 199.
209 Für diese Annahme sprechen auch vier im Inventar des
Cornelis Aertsz. van Beyeren enthaltene Kopien nach Tro-
nien Rembrandts (GPI 1994—2003, N-2302, Nr. 0024, 0045,
0046, 0047 (Inv. Cornelis Aertsz. van Beyeren, Amsterdam
7.5.1638), vgl. Strauss / Meulen 1979, Dok. 1638/5, S. 151f.).
Die Kopien stammen aller Wahrscheinlichkeit nach von van
Beyerens Sohn Leendert, der nachweislich ein Schüler Rem-
brandts war (Strauss / Meulen 1979, Dok. 1637/2, S. 141,
undat. Dok. 3, S. 594. Vgl. auch Bredius 1915-1922, Bd. 1, S.
127f.), vgl. Veen 1997/98, S. 72. Dafür, dass den Bildern der
Status von Übungsstücken zukommt, spricht nicht zuletzt,
dass drei von ihnen auf dem Dachboden aufbewahrt wurden.
Sluijter 1988b, S. 35, vermutet, dass auch Dou seine Lehr-
linge Tronien zu didaktischen Zwecken kopieren ließ.
210 Vgl. Gerson 1936, Kat. Nr. 110-148, S. 114-118.
211 Wetering 1983, bes. S. 62, zeigt für Isaac de Jouderville auf,
dass Tronien zu den Werken gehörten, die der Maler offen-
bar schon während seiner Lehrzeit bei Rembrandt malte.
212 Zu weiteren Gründen für die Produktion von Tronien zu
einem frühen Zeitpunkt in der Karriere eines Malers vgl. un-
ten, Kap. III.5.1, S. 239-241.
 
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