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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0188

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176

Verbreitung und Formen der Tronie

Künstler mit Hilfe von Selbstporträts aufmerksam
gemacht hätten.417 Üblich war vielmehr, dass Gemäl-
de von Lehrlingen und Gesellen unter dem Namen
ihres Meisters verkauft wurden.418
Zwar ist nicht auszuschließen, dass sich unter
den vor allem ab Beginn der vierzigerJahre entstan-
denen anonymen Darstellungen junger Männer, die
motivisch an Rembrandts Selbstporträts in Phanta-
sietracht anknüpfen, auch Künstler- bzw. Freund-
schaftsbildnisse befinden. Die Mehrzahl der phan-
tasievoll ausstaffierten Selbstdarstellungen junger
Künstler, deren Laufbahn als Maler gerade erst be-
gonnen hatte, wurde jedoch wahrscheinlich als Iro-
nien verkauft. So ist z.B. Samuel van Hoogstratens
im Jahr 1644 und damit vermutlich noch während
seiner Tätigkeit in Rembrandts Werkstatt geschaf-
fenes >Selbstbildnis< mit perlengeschmücktem Barett
und Hermelinkragen (Den Haag, Museum Bredius)
[Kat. 245, Taf. 52] als Tronie und nicht als Selbstport-
rät einzuschätzen, wofür auch die Farbbehandlung
des Bildes spricht.419
Festzuhalten bleibt, dass das Erkennen der Gesichts-
züge eines bestimmten Malers auf einem Gemälde,
das ein Brustbild oder eine Halbfigur in Phantasie-
tracht zeigt, noch nicht bedeutet, dass wir es mit
einem repräsentativen Künstlerbildnis zu tun haben.
Die Maler benutzten das eigene Gesicht (und auch
das anderer Maler) ebenso zur Herstellung von Tro-
nien. Die Werke können häufig mit Hilfe formaler
Kriterien oder aufgrund ihres Entstehungskontextes
als Tronien identifiziert werden. Immer ist dies aller-

dings nicht möglich. Die Akzeptanz und Beliebtheit
von Tronien führte offensichtlich dazu, dass ab einem
bestimmten Zeitpunkt auch Künstlerbildnisse mit
Tronie-Qualitäten gefragt waren. Je mehr Bedeutung
die ab 1640 an Einfluss zunehmende Kunsttheorie den
ästhetischen Werten von Kunstwerken auf Kosten
ikonograpischer Aspekte beimaß,420 desto interes-
santer dürften aus Sicht der Käufer Künstlerbildnisse
gewesen sein, die sich wie Tronien durch besondere
malerische Qualitäten auszeichneten, selbst wenn
dabei herkömmliche Porträtkonventionen vernach-
lässigt wurden. Spätestens ab den dreißiger Jahren ist
damit zu rechnen, dass bestimmte Künstler für ihre
Selbstporträts eine mit (porträthaften) Tronien ver-
gleichbare Darstellungsweise wählten. Hieraus erge-
ben sich nicht selten erhebliche Zuordnungsschwie-
rigkeiten. Möglicherweise verwechselten selbst die
Zeitgenossen phantasievoll gekleidete Selbst- bzw.
Künstlerbildnisse mit Tronien, sofern sie mit der
Entstehungsgeschichte der Werke nicht vertraut wa-
ren.421 Letzteres kann z.B. dann der Fall gewesen
sein, wenn ein Käufer ein entsprechendes Gemälde
auf dem freien Markt erwarb, ohne den Maler oder
den ursprünglichen Besitzer zu kennen.422 Die Pro-
duktion von Selbst- bzw. Künstlerbildnissen, deren
Erscheinungsbild an Tronien erinnert, hatte für die
Künstler also den Vorteil, dass die Werke gegebenen-
falls auch als Tronien zu verkaufen waren. Statt meh-
rere Funktionen gleichzeitig zu erfüllen, konnten die
Bilder - je nach Kontext, in dem sie verwendet bzw.
zum Verkauf angeboten wurden - in unterschied-
licher Weise rezipiert werden.

417 Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die These Stefa-
nie Marschkes, der zufolge Künstler Selbstdarstellungen zur
gezielten Eigenwerbung nutzten. Ein Selbstbildnis eignete
sich »hervorragend zum direkten Nachweis der Kunstfer-
tigkeit eines Künstlers: Konnte es doch dem Auftraggeber
bei Bedarf als Probe des Könnens vorgeführt werden. In-
dem sich der Maler in Natura und zugleich sein eigenes, von
ihm selbst gefertigtes Porträt präsentierte, demonstrierte er
dem potentiellen Kunden [...] überzeugend sein Talent in
der genauen Wiedergabe der menschlichen Physiognomie.«
Marschke 1998, S. 127. Vgl. auch Sluijter 1998, S. 175. Im
direkten Kontakt mit Kunden können nach dem eigenen Ge-
sicht gemalte Tronien insofern werbewirksam gewesen sein,
als die Bilder durch die Verbindung von Porträtähnlichkeit
mit malerischen und koloristischen Raffinessen sowie der
Darstellung eines interessanten Phantasiekostüms die über
das Porträtfach hinausgehende Begabung des Malers doku-
mentierten. Die Aufgaben repräsentativer Porträts müssen
die Werke deswegen allerdings nicht erfüllt haben.

418 Zu der in Rembrandts Atelier geübten Praxis, dass Werke
von seinen Schülern oder Assistenten mit der Signatur des
Meisters versehen oder von diesem selbst signiert und unter
seinem Namen verkauft wurden, vgl. Bruyn 1986b, S. 105f.;
Veen 2005, S. 27-29. Allgemein zur Praxis des Signierens
im 17. Jahrhundert vgl. Veen 2005, S. 10—17. Allgemein zur
Werkstattpraxis Rembrandts vgl. u. a. Wetering 1986c, bes.
S. 45-59; Bruyn 1989; Bruyn 1991/92.
419 Vgl. oben, Kap. III.1.4, S. 145.
420 Vgl. Wetering 1999/2000, S. 25-27.
421 Schwartz 1989, S. 114. Vgl. auch Vries 1989, S. 194.
422 Im 17. Jahrhundert bestand nicht zwingend ein direkter Kon-
takt zwischen dem Produzenten eines Gemäldes und dessen
Käufer. Häufig wurden Bilder durch Kunsthändler oder auf
Auktionen veräußert. Vgl. u.a. Montias 1982, S. 206-216;
Montias 1988, bes. S. 244-247; Montias 1996, S. 131-148;
Montias 1999; Goosens 2001, S. 238-252.
 
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