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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0212

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192

Verbreitung und Formen der Tronie

den Anspruch des Malers auf Ebenbürtigkeit seines
Faches mit der Dichtkunst.77 Die Tatsache, dass der
Dargestellte auf Backers Gemälde die von Raupp als
charakteristisches Zeichen des Künstlerbildnisses er-
mittelte >geniale Kopfwendung<78 aufweist und mit
ernstem Blick zum Betrachter schaut, unterstützt
die Annahme, dass wir es mit einem intentionalen
Selbstbildnis zu tun haben und Backer hier seine
Auffassung von der eigenen künstlerischen Befähi-
gung zum Ausdruck bringt.
Gleichzeitig entsprechen die äußeren Merkmale
des Bildes dem Erscheinungsbild einer Tronie: Ba-
cker wählte einen knappen Ausschnitt, der nicht
über die Schultern des lebensnah dargestellten Mo-
dells hinausgeht; durch die Bündelung des Lichts
wird besonders das Gesicht des Mannes betont; vor
allem aber die ausgesprochen freie Malweise ist im
Unterschied zur Amsterdamer Porträtmalerei um
1637/40 - der Entstehungszeit des Bildes - ein ty-
pisches Merkmal von Tronien.79 Backer schuf also
nicht nur ein Konterfei seiner selbst, in welchem er
als Maler mit Vertretern der Dichtkunst in Wettstreit
tritt, sondern gestaltete es gleichzeitig in der Art ei-
ner Tronie, die seinen individuellen Stil und seine
malerische Virtuosität exemplifiziert. Sollte das Ge-
mälde - etwa aufgrund häufigen Besitzerwechsels -
von den Zeitgenossen nicht mehr als (Sclbst-)Bildnis
Backers erkannt worden sein, blieb es als Tronie für
die Käufer interessant.
Die unterschiedlichen Darstellungstraditionen
reduzierter Einfigurenbilder des 17. Jahrhunderts
laufen in Backers Selbstbildnis als Hirte zusammen:
Erstens schließt das Motiv des Bildes an eine in Ita-
lien im 16. Jahrhundert begründete Tradition halbfi-
guriger Hirtendarstellungen und damit an eine Form
reduzierter Genrebilder mit nur einer Figur an;80
zweitens greift es auf das Vorbild von Tronien, die
in den 1620er und 1630er Jahren in den Nördlichen
Niederlanden geschaffen wurden, zurück; drittens
übernimmt es offenbar die Funktionen der Porträt-
malerei und ist damit als Bildnis in tronieartiger Auf-
fassung anzusehen.

2.6 Fazit
Die in diesem Kapitel getroffenen Beobachtungen
sind als wesentliche Voraussetzung für die weitere
Untersuchung zu verstehen, da sie zur Klärung der
Frage beitragen, welche Einfigurenbilder sinnvoller-
weise in die Behandlung des Bildtyps der Tronie ein-
bezogen und welche ausgeschlossen werden sollten.
Es konnte gezeigt werden, dass bestimmte einfi-
gurige Genre- und Historienbilder wegen ihrer von
Tronien abweichenden Eigenschaften oder aufgrund
ihrer grundsätzlich differierenden Entstehungsbedin-
gungen leicht von Tronien abzugrenzen sind. Ande-
re, im Bildausschnitt reduzierte Einfigurenbilder mit
signifikanten Attributen orientieren sich dagegen
so deutlich am Vorbild von Tronien anderer Meister
oder weisen im äußeren Erscheinungsbild so offen-
sichtliche Übereinstimmungen mit den Tronien ihrer
Schöpfer auf, dass von ähnlichen Darstellungsab-
sichten auszugehen ist. Eine trennscharfe Abgrenzung
der verschiedenen Formen einfiguriger Bilder, die
holländische Maler im 17. Jahrhundert hervorbrach-
ten, ist damit gerade in diesen Fällen nicht möglich.
Vielmehr ist festzustellen, dass viele Maler stereotype
Ein- bzw. Halbfigurenbilder, die in ikonographischer
Hinsicht an etablierte Traditionen der Historien- und
Genremalerei anknüpfen, in neuartiger Weise auffass-
ten und belebten, indem sie sie im Sinne der künstleri-
schen Aufgabenstellung der Tronie gestalteten. Diese
Bilder gehören damit dem Grenzbereich der Tronie an
und entziehen sich einer schematischen Einteilung in
festumrissene Bildkategorien.
Um Aussagen über Erscheinungsweisen, Ver-
breitung, Funktion und Bedeutung von Tronien
treffen zu können, ist es notwendig, >die Tronie< als
Untersuchungsgegenstand im Sinne einer eigenen
Bildgruppe zu definieren. Zu diesem Zweck bietet es
sich an, von dem auszugehen, was als »Grundkon-
zept der Tronie< angesehen werden kann, und im
Folgenden in erster Lime jene Bilder einzubeziehen,
die aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften ein-
deutig als Tronien bestimmt sowie von einfigurigen

77 Vgl. Emmens 1968, S. 30-38, bes. S. 147f.; Kat. Amsterdam /
Groningen 1983, Kat. Nr. 1, S. 92; Kettering 1983, S. 77f.;
Raupp 1984, S. 175f., 187-189, 222-224; Kat. Den Haag
2004a, Kat. Nr. 2, S. 31. Zur Doktrin des ut pictura poesis in
Renaissance und Barock immer noch grundlegend Lee 1940
(vgl. Lee 1991). Vgl. auch Müller Hofstede 1976-78.
78 Vgl. Raupp 1984, S. 181-220.
79 Sowohl Bauch 1926, S. 37, als auch Sumowski 1983-1994,

Bd. 1, Kat. Nr. 36, datieren das Gemälde um 1640. Quentin
Buvelot datiert es in Kat. Den Haag 2004a, Kat. Nr. 2, S. 29,
um 1637.
80 Raupp 1984, S. 188f., nennt als eines der frühesten italie-
nischen Beispiele, die als Vorläufer von Backers Selbstbildnis
gelten können, Gerolamo Savoldos Hirten mit Flöte (früher
Bowood, Lansdowne Collection, Kettering 1983, Fig. 23).
Für weitere Beispiele vgl. Kettering 1983, S. 37f., Fig. 22-24.
 
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