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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0218

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198

Verbreitung und Formen der Tronie

wurde bereits auf eine mögliche Anregung Vermeers
durch die Tronien des Michael Sweerts hingewiesen.
Daneben könnten aber auch Werke anderer Meister
Vermeers Interesse an der Bildaufgabe geweckt ha-
ben. Hierfür kommt insbesondere Carei Fabritius in
Frage, dessen Ende der vierziger und in der ersten
Hälfte der fünfziger Jahre entstandene Gemälde sich
ähnlich wie die Werke Vermeers gerade durch ihre
luminaristischen Qualitäten auszeichnen.2/ In diesem
Zusammenhang bemerkenswert ist die Tatsache, dass
in Vermeers am 29. Februar 1676 aufgenommenen
Inventar zwei Tronien von Fabritius, aber auch zwei
Tronien von van Hoogstraten verzeichnet sind.27 28
In Amsterdam wurde die bisher beschriebene
Entwicklung in der ersten Hälfte der fünfziger Jah-
re fortgesetzt, indem neben Rembrandt vor allem
dessen Schüler Willem Drost (1633-1658) Tronien
hervorbrachte. Drost entfaltete eine große Produk-
tivität auf diesem Gebiet, verließ die Niederlande
allerdings bereits im Jahr 1655, um nach Italien zu ge-
hen.29 Danach malten in Amsterdam, von Rembrandt
abgesehen, noch einige unbekanntere Meister, wie
z. B. Abraham van Dijck (1635/36-1672) und Jan van
Noordt (1624-nach 1676) Tronien.30 Allerdings wur-
de die Tronieproduktion der Stadt um 1660 durch
die Werke des flämischen Malers Michael Sweerts
(1618-1664) noch einmal kurzzeitig um eine reiz-
volle Facette bereichert.
Spätestens ab der zweiten Hälfte der sechziger
Jahre beschäftigte sich keiner der bedeutenderen
Amsterdamer Maler mehr in nennenswertem Maße
mit Tronien. Zwar führte Rembrandts letzter Schü-
ler Aert de Gelder (1645-1727) die Produktion von
Tronien in der Art seines Meisters fort, er hielt sich
jedoch nur während seiner Lehrzeit in der ersten
Hälfte der sechziger Jahre, wohl für zwei Jahre,31

in Amsterdam auf und zog danach wieder in seine
Heimatstadt Dordrecht, wo er noch Anfang des 18.
Jahrhunderts Tronien malte.32
Dordrecht
Zwischen den Amsterdamer Künstlern, in deren
Schaffen Tronien einen festen Platz einnahmen, und
ihren Kollegen in Dordrecht bestanden enge Bezie-
hungen, die zweifellos zur Entfaltung des Bildtyps
in Dordrecht beitrugen. Drei bedeutende Schüler
Rembrandts, die sich im Malen von Tronien her-
vortaten - Ferdinand Boi, Samuel van Hoogstraten
und Aert de Gelder -, wurden in Dordrecht gebo-
ren.33 Nach ihrer Lehre bei Rembrandt kehrten van
Hoogstraten und de Gelder wieder dorthin zurück
und gehörten damit zu den Meistern, die das Bild der
Dordrechter Tronieproduktion wesentlich bestimm-
ten. Boi blieb zwar zeit seines Lebens in Amsterdam,
unterhielt jedoch offenbar weiterhin Kontakte zu
seiner Heimatstadt, da er z.B. den dort geborenen
Cornelis Bisschop (1630-1674) in die Lehre nahm.34
Dieser ließ sich anschließend wieder in Dordrecht
nieder, wo er nachweislich in den fünfziger Jahren
Tronien malte.35
Auch Dordrechter Künstler, für die nicht be-
zeugt ist, dass sie von Rembrandt oder einem seiner
Schüler ausgebildet wurden, fertigten Tronien an, die
den Werken des Rembrandt-Kreises nahe stehen. Zu
nennen sind hier in erster Lime Paulus Lesire (1611—
nach 1656) und Pieter Vereist (um 1618-um 1675).36
Lesire schuf in den dreißiger Jahren durch das Vor-
bild Rembrandts angeregte Tronien in Dordrecht.'
Vereist war zwischen 1638 und 1643 als selbständiger
Meister in Dordrecht ansässig, beschäftigte sich aber
nachweislich schon in den frühen dreißiger Jahren mit

27 Für weitere Künstler, die Vermeers Tronien angeregt haben
könnten, vgl. Liedtke 2001b, S. 243f.
28 Brown 1981, Dok. 43, S. 157 (Inv. Catharina Bolnes, Delft
29.2.1676); Montias 1989, Dok. 364, S. 339, Nr. 3, S. 340, Nr.
5. Vgl. auch Liedtke 2001b, S. 242; Kat. Den Haag 2004a,
Kat. Nr. 59, S. 261.
29 Bikker 2005, S. 1.
30 Zu den Tronien van Dijcks vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 1,
Kat. Nr. 368, 376-378, 389, 390, Bd. 5, Kat. Nr. 2050, 2051,
Bd. 6, Kat. Nr. 2262, 2264. Zu den Tronien van Noordts vgl.
Witt 2007, Kat. Nr. 5, S. 97f, Kat. Nr. 37, 38, S. 161-163,
Kat. Nr. 42, S. 170, Kat. Nr. Ul, S. 215f.
31 Pastoor 1994, S. 4.
32 Vgl. Kat. Dordrecht / Köln 1998/99, Kat. Nr. 31, S. 192f.,
Kat. Nr. 44, S. 226f.

33 Zu Dordrechter Schülern und Nachfolgern Rembrandts vgl.
Chong / Wieseman 1992/93, S. 16-26.
34 Vgl. Chong / Wieseman 1992/93, S. 23.
35 Vgl. Raupp 1996a, Kat. Nr. 6, S. 39. Vgl. auch Sumowski
1983-1994, Bd. 3, S. 1965f., Anm. 80, Abb. S. 1991, Bd. 5,
Kat. Nr. 2000, Bd. 6, Kat. Nr. 2189, 2190.
36 Zur Frage nach der Ausbildung Lesires vgl. Jansen 1983, S.
78; Chong / Wieseman 1992/93, S. 18, 20; Kat. Dordrecht
1992/93, S. 213. Zur Ausbildung Verelsts vgl. unten, S. 199 m.
Anm. 42.
37 Zu Lesires Tronien vgl. Kat. Amsterdam / Groningen 1983,
Kat. Nr. 47, S. 186; Sumowski 1983-1994, Bd. 3, Kat. Nr.
1145-1147; Kat. Hannover 2000, Kat. Nr. 113, S. 239f.
 
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