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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0236

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216

Verbreitung und Formen der Tronie

stimmten Tronietypen und der Genremalerei auf der
einen sowie der Historienmalerei auf der anderen
Seite besteht, zeigt sich gerade dann, wenn man den
mimischen und gestischen Ausdruck von Tronien in
reicher Tracht und solchen in einer Kleidung, die im
weitesten Sinne als >genrehaft< umschrieben werden
kann, vergleicht.
Tronien in kostbaren Kostümen oder blitzenden
Rüstungen werden überwiegend in würdevoller Hal-
tung und mit ernstem Gesichtsausdruck präsentiert
oder sind in kontemplativer Nachdenklichkeit be-
griffen. Den Regeln des decorum nach ist eine solche
Darstellungsweise gerade für Figuren, die als Pro-
tagonisten der Historienmalerei in Frage kommen,
besonders angemessen, da es sich bei diesen um Per-
sonen hervorgehobener Bedeutung, hohen Ranges
oder von besonderer Weisheit handelt.117
Verglichen mit den Tronien in reicher Tracht wei-
sen solche in genrehafter Kleidung meist eine we-
sentlich bewegtere Mimik, Gestik und Haltung auf.
Häufig wird ein bestimmter Gemütszustand oder so-
gar ein starker Affekt zum Ausdruck gebracht. Dies
ist etwa bei lachenden Tronien der Fall [Kat. 203, Taf.
VI, Kat. 392, Taf. V, Kat. 217, Taf. 46, Kat. 365-366,
Taf. 78]. Sie stehen in enger Beziehung zur Genre-
malerei, weil die Darstellung lachender Figuren zum
festen Bildrepertoire der Maler des niederen bäuer-
lichen wie auch des bürgerlichen Genres gehörte.118
Am Beispiel lachender Tronien lässt sich nicht nur
das Abhängigkeitsverhältnis, in dem >Kostümierung<
und >Ausdruck< von Tronien stehen, sondern auch
der Zusammenhang zwischen >Alter/Geschlecht< und
>Ausdruck< besonders gut verdeutlichen: Bei der über-
wiegenden Mehrheit lachender Figuren handelt es sich
um junge Männer und Kinder, gelegentlich auch um
junge Frauen. Greise und Greisinnen wurden dage-
gen - mit Ausnahme von Vertretern des bäuerlichen

Genres - in der Regel nicht lachend dargestellt. Im
17. Jahrhundert wurde das Lachen, von moralisch
zweifelhaften Charakteren des niederen Genres ein-
mal abgesehen, gerade für Kinder oder junge Men-
schen als typisch angesehen, da sie noch nicht gelernt
haben, ihre Affekte zu beherrschen.119 Van Mander
empfiehlt, bei der Darstellung junger Leute ihre Nei-
gung zur Freude zu berücksichtigen.120 Und auch in
Cesare Ripas Iconologia wird die Personifikation
des Lachens (>Riso<) mit der Jugend in Verbindung
gebracht.121 Die Maler von Tronien junger Männer,
junger Frauen und Kinder, die mit offenem Mund la-
chen, folgten also den Maßgaben der im 17. Jahrhun-
dert geltenden Regeln des decorum. Dies gilt auch für
andere Tronietypen: So verhalten sich beispielsweise
Greise und Greisinnen, die in Gedanken versunken
sind oder beten [Kat. 393, Taf. I, Kat. 35, Taf. 6, Kat.
261, Taf. 55, Kat. 476, Taf. 101], nach zeitgenössischer
Vorstellung - ebenso wie lachende Kinder - ihrem
Alter gemäß.122 Die Mimik lachender oder grimas-
sierender Bauerntronien dagegen ist Ausdruck des
niederen Standes und der lasterhaften Eigenschaften,
die dem bäurischen Wesen der zeitgenössischen Cha-
rakterlehre nach innewohnen.123
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Tronien
eigene Bildtraditionen herausbildeten, wobei die
Ausprägung unterschiedlicher Tronietypen an das
durch die Historien- und Genremalerei vorgegebene
Repertoire feststehender Figurentypen gebunden
war und sich innerhalb des Rahmens der Regeln an-
gemessener Darstellung bewegte. Einerseits erlangte
der Bildtyp Tronie also bemerkenswerte Eigenstän-
digkeit, andererseits bestand offenbar ein enger Zu-
sammenhang zwischen Tronien und der Histonen-
bzw. Genremalerei, worauf in Kapitel III.4.2 noch
ausführlicher einzugehen sein wird.

117 Für Literatur zum Prinzip des decorum vgl. oben, Kap. II.2.2,
S. 86, Anm. 36.
118 Vgl. oben, Kap. II.1.7, S. 74f.
119 Verberckmoes 1998, S. 49, 51, 67.
120 Mander / Miedema 1973, Bd. 1, S. 124 (fol. 14v), Str. 35.
121 Vgl. Ripa 1593, S. 240f.; Ripa / Pers 1644, S. 278: »De Lach
wort Jongh geschildert, om dat de teere en jonge Ieughd,
meest tot laechen is genegen, ‘t welck ten meestendeel van

de vrolijckheyt herkomt.« Vgl. auch Ripa / Pers 1644, S. 499,
unter >Malinconia< (Melancholie).
122 Vgl. u.a. Franits 1993, S. 161-194, bes. S. 164-167; Döring
1993/94, bes. S. 18f.; Franits 1993/94, bes. S. 79; Franits in
Kat. Braunschweig 1993/94, Kat. Nr. 45, S. 176; Wiebel
1993/94. Vgl. auch unten, Kap. V.l, S. 310-312.
123 Vgl. unten, Kap. III.4.1, S. 227f.
 
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