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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0299

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Der Einfluss des Bildtyps Tronie auf die Porträtmalerei

271

identifizierenden Einfigurenbilder in Tronietracht
von Meistern, deren Auftraggeberschaft sich auch
auf dem Gebiet der konventionellen Porträtmalerei
überwiegend aus Angehörigen der städtischen Elite
zusammensetzte.
Signifikante Einzelbeispiele
Kurioserweise stammt das früheste Bildnis, das ohne
jeden Zweifel als Auftragsporträt eines niederlän-
dischen Bürgers in Tronietracht identifiziert werden
kann, von einem Maler, der nicht zu jenen Meistern
zählt, die sich erwiesenermaßen intensiv mit der
Bildaufgabe Tronie beschäftigten. Gemeint ist das
von Abraham de Vries (um 1590-1649/50) gemalte
Porträt des Rotterdamer Kaufmanns Adriaen Vroe-
sen (ca. 1610/15-1669) (Rotterdam, Historisch Mu-
seum) [Kat. 541, Taf. XXI, 111] aus dem Jahr 1639.35
Verschiedene Indizien ermöglichen die eindeutige
Identifizierung des Dargestellten: Das Bild ist mit
einem wahrscheinlich authentischen Wappen verse-
hen und trägt eine spätere Aufschrift, die unter an-
derem den Namen des Porträtierten nennt. Zudem
lässt sich die Vererbungsgeschichte des Gemäldes bis
zu seinem ersten Besitzer, dem Dargestellten selbst,
zurückverfolgen.36
Das Bildnis von de Vries zeigt einen jungen,
noch nicht dreißigjährigen Mann mit schwarzem
Samtbarett und einem vermutlich ebenfalls sam-
tenen schwarzen Wams mit goldenen Knöpfen und
Ärmeln, die nur bis zum Ellenbogen reichen und
in einer gestickten, goldenen Borte mit Fransen
enden. Unter dem Wams trägt der Dargestellte ein
rotes Oberteil mit enganliegenden Ärmeln und da-
runter ein weißes Hemd. Um den Hals geschlungen
ist ein in goldenen Farbtönen schimmernder Sei-
denschal mit Streifenmuster, und in der Hand hält
Vroesen einen langen glatten Stab. Es ist unmittel-

bar ersichtlich, dass die Kleidung des Dargestellten
die Kostümierung der Tronien junger Männer bzw.
der phantasievoll ausstaffierten Selbstdarstellungen
Rembrandts und seiner Schüler voraussetzt. Mo-
tivisch besonders nahe steht dem Bild z.B. Flincks
>Selbstbildnis< in Phantasietracht (London, National
Gallery) [Kat. 142, Taf. XX, 30] von 16 3 9.37 Auch
ist ein Befehlshaberstab Tronien als Attribut nicht
fremd [Kat. 430, Taf. X, 91]. Ferner übernimmt de
Vries ein rembrandteskes Beleuchtungsschema, in-
dem er Kopf, Schulter und Hand seines Modells in
helles Licht taucht und so einen starken Kontrast zu
den dunklen Gewandpartien und dem Hintergrund
des Bildes erzeugt. Freilich muss sich der Meister in
dieser Hinsicht nicht an Tronien, sondern könnte sich
auch an Rembrandts konventionellen Porträts orien-
tiert haben. In deutlichem Gegensatz zur Gestaltung
der meisten Tronien Rembrandts und seines Um-
kreises steht de Vries’ sorgfältig-glatte Ausführung
des Bildes, die Unebenheiten in der Farboberfläche
sowie das Sichtbarwerden der individuellen Hand-
schrift des Künstlers vermeidet. In der Hauptsache
ist somit die phantasievolle Kostümierung Vroesens
mit dem Erscheinungsbild rembrandtesker Tronien
vergleichbar.
Anders verhält sich dies bei dem Mann mit
Harnisch und Federhut in New York (Metropoli-
tan Museum of Art) [Kat. 484, Taf. XXIV, 102], der
einem Rembrandt-Schüler oder Nachfolger zuge-
schrieben wird und vermutlich um 1645/48 ent-
stand:38 Sein Phantasiekostüm mit weiten Puffär-
meln und Umhang ist in einer Malweise ausgeführt,
die Details eher andeutet als exakt ausformuhert
und deren Wirkung auf die Assoziationsfähigkeit
des Betrachters baut. Eine solche Behandlung ist für
die Phantasiekostüme der Tronien, die während der
vierzigerJahre im Umkreis Rembrandts gemalt wur-
den, typisch, während die Kleidung konventioneller

35 Zu Werk und Biographie des Abraham de Vries vgl. Kat.
Lyon 1991, S. 148-150; Kat. Rotterdam 1995, Kat. Nr. 71,
S. 198; Ekkart 2006.
36 Kat. Rotterdam 1994/95, Kat. Nr. 69, S. 244. Auch ist eine
unverkennbare Ähnlichkeit mit einem der fünf von Jan Dae-
men Cool 1653 in einem Gruppenporträt dargestellten Re-
genten des >Heiligen Gasthauses< in Rotterdam (Leinwand,
207 x 272,5 cm, bez.: ANo 1653, Historisch Museum, Rotter¬
dam, Kat. Rotterdam 1994/95, Kat. Nr. 13, S. 177, Abb. S.
70) festzustellen. Die Porträtierten sind namentlich bekannt
- auch Vroesen gehörte zu ihnen, Kat. Rotterdam 1994/95,
Kat. Nr. 13, S. 177.
37 Vgl. auch Rembrandts >Selbstbildnis< mit feder geschmücktem

Barett in Boston (Isabella Stewart Gardner Museum) [Kat.
391, Taf. 83] oder Flincks Jungen Mann mit Federbarett und
Juwelenschmuck in St. Petersburg (Eremitage) [Kat. 136, Taf.
29], In der Infrarotaufnahme des Porträts von de Vries ist eine
Vorzeichnung zu erkennen, die belegt, dass der Maler zunächst
geplant hatte, das Barett des Dargestellten mit einer Feder zu
schmücken, Kat. Rotterdam 1994/95, Kat. Nr. 69, S. 244.
38 Zu Datierung und Zuschreibung des Bildes vgl. Liedtke 1993,
S. 128-131; W. Liedtke in Kat. New York 1995/96b, Kat. Nr.
27, S. 103-107; Kat. New York 2007, Bd. 2, Kat. Nr. 164/165,
S. 718-723: Liedtke betont die Nähe zu Werken Bois und
schlägt eine Zuschreibung an Jan Victors vor; andere Autoren
halten Boi für den möglichen Schöpfer des Bildes.
 
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