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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0302

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274

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

de Gelders Ausbildung Anfang der sechziger Jah-
re in Rembrandts Werkstatt und in seinem engeren
Umkreis gängige Praxis war.
Die angeführten Beispiele zeigen - kaum überra-
schend dass für Kostümporträts die gleichen ge-
genständlichen Standardmotive und Würdeformeln
gewählt werden konnten, die in der konventionellen
Porträtmalerei üblich waren. Dennoch kann die Ver-
wendung entsprechenden Beiwerks für eine Halb- oder
Dreiviertelfigur in Phantasietracht nur als Indiz, nicht
aber als eindeutiges Kriterium für ihre Klassifizierung
als Porträt gewertet werden. Dass entsprechende Mo-
tive auch bei der Herstellung von Tronien eingesetzt
werden konnten, zeigt z.B. Ferdinand Bois Stehender
Orientale mit Prunkschwert in Milwaukee (Art Muse-
um) [Kat. 42, Taf. 7]. Ein weiteres Beispiel ist Frans van
Mieris’ Mann in orientalischem Kostüm in Den Haag
(Galerie Willem V.) [Kat. 349, Taf. 75]. Beide Figuren
können aufgrund des dargestellten Modells eindeutig
als Tronien klassifiziert werden.48 Bois Orientale stützt
sich in selbstbewusster Geste auf einen Tisch, während
im Hintergrund Säule und Vorhang den hohen Rang
des Dargestellten unterstreichen.49 Der orientalisch ge-
kleidete Mann auf dem Gemälde von van Mieris dage-
gen erscheint vor einer Fensteröffnung, die den Blick
auf eine bergige Landschaft freigibt.
Da Tronien als >Phantasiebildnisse< konzipiert
waren, kann die Übernahme zusätzlicher, den Darge-
stellten nobilitierender Motive aus der Porträtmalerei
nicht verwundern. Dennoch stellen entsprechende
Werke in der Art der genannten Bilder von Boi und
van Mieris die Ausnahme innerhalb des Bildtyps dar.
Ein Spezifikum und damit auch ein wesentlicher Reiz
von Tronien bestand gerade in der Konzentration auf
ein interessantes Gesicht sowie im Verzicht auf die
48 Vgl. oben, Kap. III.3.1, S. 195.
49 Vgl. unten, Kap. IV.2.2.4, S. 299.
50 In Bois Darstellung einer Jungen Frau mit Perlenkette im
Flaar (Stockholm, Nationalmuseum) [Kat. 55, Taf. 10] z.B.
wird der Vorhang nicht zur Nobilitierung der Figur ein-
gesetzt, sondern verweist darauf, dass es sich bei der Dar-
gestellten um eine Kurtisane handelt. Die ausgesprochen
skizzenhafte Malweise des Bildes, die freizügige Kleidung
der jungen Frau und das dargestellte Modell (vgl. Blankert
1982, Kat. Nr. 132, PI. 141) ermöglichen eine eindeutige
Klassifizierung als Tronie.
51 Vgl. u.a. Blankert 1982, Kat. Nr. 76, PI. 84, Kat. Nr. 88, PI.
96, Kat. Nr. 91, Pl. 99, Kat. Nr. 108, Pl. 117, Kat. Nr. 110, Pl.
119, Kat. Nr. 111, Pl. 120, Kat. Nr. 124, Pl. 133, Kat. Nr. 145,
Pl. 156, Kat. Nr. 146, Pl. 157, Kat. Nr. 157, Pl. 168, Kat. Nr.
158, Pl. 169, Kat. Nr. 163, Pl. 174, Kat. Nr. 164, Pl. 175, Kat.
Nr. 172, Pl. 184.

Einhaltung starrer Regeln und formelhaft eingesetz-
ter Standardmotive. Daher erscheint die Mehrzahl
der niederländischen Tronien vor neutralem Hin-
tergrund oder ist mit Beiwerk ausgestattet, das nicht
zwingend im Sinne einer Würdeformel der Porträt-
malerei zu begreifen ist.50 Balustrade, Säule (oder
Pfeiler) und Vorhangdraperien mit dicken Quasten
gehören in den konventionellen Porträts Ferdinand
Bois zu den am häufigsten im Hintergrund ange-
brachten Motiven.51 In der Gruppe seiner Tronien
dagegen stellt der genannte Orientale ein Einzelbei-
spiel dar. Mit ihm treibt Boi die Konzeption einer
Tronie als fiktives Bildnis einer herausragenden Per-
sönlichkeit gleichsam auf die Spitze.
Auf den bisher behandelten Kostümporträts erschei-
nen die Dargestellten in reicher Phantasietracht, die
historisierende bzw. an die Kleidung des 16. Jahrhun-
derts erinnernde Elemente aufnimmt.52 Zwei weitere
Beispiele, die ebenfalls aus dem Rembrandtumkreis
stammen, veranschaulichen, dass auch die für Tronien
typische Einkleidung in orientalisierende Kostüme in
die holländische Bildnismalerei übernommen wurde.
In Kapstadt (Michaelis Collection) befindet sich ein
Gemälde, das einen Orientalen mit Bogen und einem
Köcher voller Pfeile [Kat. 489, Abb. 52] als Hüftfi-
gur zeigt. In der Forschung gilt es als Schulwerk
Rembrandts, wobei Hans Fransen zuletzt für eine
Zuschreibung an Jan Victors plädierte.53 Die Kostüm-
details des Orientalen sind in weiten Teilen recht sum-
marisch erfasst oder in kräftiger Impastomalerei model-
liert - ein Aspekt, der auf eine Tronie hindeuten könnte.
Zudem entspricht nicht nur das Kostüm der Ausstaffie-
rung von Tronien, manche Künstler versahen diese auch
mit Pfeil und Bogen [Kat. 187, Kat. 146, Taf. 31].54
52 Vgl. z. B. das Barett im Bildnis Adriaen Vroesens (ca. 1610/15-
1669) [Kat. 541, Taf. XXI, 111], die Puffärmel des Mannes
mit Harnisch und Federhut [Kat. 484, Taf. XXIV] oder den
rechteckigen Brustausschnitt des Kleides der Frau mit Fä-
cher in Phantasietracht [Kat. 485, Taf. XXIV], Zu Barett und
rechteckigem Brustausschnitt vgl. oben, Kap. III.3.2, S. 212.
Die voluminösen Puffärmel des Unbekannten auf dem New
Yorker Bild sind als venezianisches Kostümelement der ers-
ten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu identifizieren, vgl. z.B.
Tizians Porträt eines Musikers (Rom, Galleria Spada, Joan-
nides 2001, Fig. 198, S. 221) und sein als Ariost bekanntes
Bildnis eines unbekannten Mannes (London, National Gallery,
Joannides 2001, Fig. 185, S. 208).
53 Fransen in Kat. Kapstadt 1997, Kat. Nr. 53, S. 134.
54 Vgl. auch den von Sumowski 1983—1994, Bd. 4, Kat. Nr. 1700,
Jacob van Spreeuwen zugeschriebenen Alten Mann mit Bo-
gen, Kupfer, 22 x 17,5 cm, unbekannter Besitz.
 
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