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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0318

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Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

wirkenden Tronien motivisch wesentlich näher ste-
hen als Honthorsts höfischen Bildnissen in Phanta-
sietracht. Ganz offensichtlich orientierten sich die
Schöpfer bürgerlicher Kostümporträts unmittelbar
an ihren eigenen oder aber den Tronien anderer
Meister. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass das
Interesse an entsprechend ausstaffierten Bildnissen
bei der Auftraggeberschaft gerade durch die Kennt-
nis von Tronien, die als >Phantasieporträts< gestaltet
waren, geweckt wurde. Erwähnenswert ist in diesem
Zusammenhang das bereits genannte Inventar des
Jan Pietersz. Bruyningh.122 Dieser besaß nicht nur em
von Salomon Köninck gemaltes Bildnis seiner selbst
a l’antique, sondern auch »Een oude mans tronie van
Govert Flinck met een ebbe lijst.«123 Offenbar war
Bruyningh also mit Tronien vertraut und fand Gefal-
len an ihnen. Dieser Umstand dürfte die Bestellung
seines Porträts in einer mit Tronien vergleichbaren
Aufmachung begünstigt haben.
Aber nicht nur Tronien im eigentlichen Sinne
können Auftraggeber in dieser Hinsicht beeinflusst
haben. Noch ehe sich das Kostümporträt in Tronie-
Manier im Bereich des Auftragsporträts als Möglich-
keit repräsentativer Selbstdarstellung durchgesetzt
hatte, wählten Künstler eine entsprechende Art der
Inszenierung für ihre Selbstbildnisse. Es wurde be-
reits gezeigt, dass Rembrandt schon in den dreißiger
Jahren Selbstdarstellungen in Phantasiekostümen
malte und radierte, die wohl als intentionale Selbst-
bildnisse konzipiert waren und auch als solche vom
Publikum verstanden wurden.124 Diese Entwicklung
kulminierte in den programmatischen Selbstbildnissen
der Jahre 1639 [Kat. 475, Taf. 100] und 1640 (London,
National Gallery) [Kat. 433, Taf. 92]. Die Werke verliehen
Rembrandts Selbstverständnis als Künstler Ausdruck,
indem sie den von ihm beanspruchten Status gegenüber
den herausragenden Meistern der Vergangenheit, aber
auch innerhalb der eigenen Lebenswelt und Gesellschaft
evident machten. Nicht nur Rembrandt-Schüler wie

Govaert Flinck und Ferdinand Boi, sondern auch andere
Meister, z. B. Frans van Mieris oder Godfried Schalcken,
übernahmen den von Rembrandt eingeführten Typus
des Selbstbildnisses in historisierender Phantasietracht,
zu deren wesentlichen Kennzeichen die für den
Künstler typische Kopfbedeckung des Baretts ge-
hört. Damit stellen Künstler- bzw. Selbstbildnisse
eine wichtige Gruppe innerhalb der Kategorie des
bürgerlichen Kostümporträts dar [Kat. 47, Taf. 9,
Kat. 56, Abb. 63, S. 303, Kat. 57, Taf. 11, Kat. 152,
Taf. 32, Kat. 353, Taf. 75, Kat. 433, Taf. 92, Kat.
506, Taf. 105, Kat. 521, Taf. XV, 108].125 Gleich-
zeitig finden sich unter ihnen die frühesten Bei-
spiele dieser an der Tronie orientierten Form des
holländischen Porträts. Nahe liegend ist somit die
Annahme einer Entwicklung von der Tronie über
das Künstlerbildnis in Tronietracht hin zum bür-
gerlichen Auftragsporträt in phantasievoller Kostü-
mierung.
Was die Übernahme eines anhand der Selbstdar-
stellung entwickelten Darstellungsprinzips in die
offizielle Porträtmalerei angeht, findet sich eine in-
teressante Parallele in van Manders Biographie des
Cornelis Ketel. Der Autor berichtet, dass es Ketel im
Jahr 1599 in den Sinn gekommen sei, anstatt mit dem
Pinsel mit den Fingern zu malen:
»In’t Jaer 1599 quam hem in den sin eenen lust / te schilderen
sonder Pinceelen metter handt / welck by velen wort ghehouden
voor eenen belachlijcken wanschapen lust [...]. Doch om maet-
lijcker hier van te spreken / soo is seer te verwonderen / dat het
hem soo wel gheluckt is / en datter geen wanschapen vruchten
van zijn ghecomen. Het eerste dat hy dede / was zijn eyghen
Conterfeytsel / welck hy op verscheyden manieren dede / en ge-
leeck so wel oft beter / als een ander met reetschap ghedaen / en
stondt wel uyter handt.«126
Ketel erprobte die neue Art des Malens mit der Hand
also zunächst anhand des eigenen Bildnisses und ge-
langte zu einem Ergebnis, das van Mander ausdrück -

122 Vgl. oben, Kap. IV.2.2.2.
123 Gemeentearchief Amsterdam, Arch. 5073, Inv. Nr. 973, Akte
4 (Inv. Jan Pietersz. Bruyningh, Amsterdam 1647). Zu dem
Inventar vgl. auch Dudok VAN Heel 1980, S. 118; Veen 2006,
S. 171.
124 Vgl. hierzu sowie zu den folgenden Ausführungen oben,
Kap. III.1.9, S. 164-168.
125 Für weitere Künstler- und Selbstdarstellungen in Phantasie¬
tracht, die als intentionale Bildnisse klassifiziert werden kön-
nen, vgl. Dirck van Hoogstraten (1596-1640), Selbstbildnis,
Holz, 36 x 24,5 cm, USA, Privatbesitz, Brusati 1995, S. 21,
24, Fig. 7, S. 23; Wybrand de Geest, Adam Joseph Pynacker

(1621-1673), Holz, 72 x 56,5 cm, bez.: V. de Geest f 1660,
Leeuwarden, Fries Museum, Vries 1982, Kat. Nr. 18, S. 63f.,
Abb. S. 64 (mit weibl. Pendant: Vries 1982, Kat. Nr. 13, S.
58f., Abb. S. 59); Jan Spruyt (1628-1671), Selbstbildnis, Holz,
29 x 23 cm, bez.: J. Spruyt Fc 1661 aet. 33, Wassenaar, Samm-
lung Baron van Styrum, Kat. Amsterdam 1984, Kat. Nr. 45,
S. 198f. (mit weibl. Pendant: Kat. Amsterdam 1984, Kat. Nr.
45, S. 199). Vgl. außerdem Sumowski 1983-1994, Bd. 3, Kat.
Nr. 1034.
126 Mander / Miedema 1994-1999, Bd. 1, S. 371 (fol. 278r, Z.
8-10, 12-16).
 
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